6807145-1972_14_04.jpg
Digital In Arbeit

Wie sozialistisch ist die SPÖ?“

19451960198020002020

Der traditionelle Osterputz hat auch auf Parteiebene eingesetzt. Die österreichische Volkspartei ist bemüht, sich durch ein „Grundsatzprogramm“ über ihren Standort klar zu werden (siehe auch Seite 1), die Sozialistische Partei tut dasselbe mit ihren „Roten Markierungen“ (Europa-Verlag, Wien). Beide Parteien gehen davon aus, daß die Parteiprogramme mit ihren zentralen Aussagen nach wie vor ihre Gültigkeit haben, daß aber seit der Abfassung derselben die Zeit sich gewandelt habe, neue Probleme aufgetreten seien, mit denen sich die Parteien auseinanderzusetzen hätten.

19451960198020002020

Der traditionelle Osterputz hat auch auf Parteiebene eingesetzt. Die österreichische Volkspartei ist bemüht, sich durch ein „Grundsatzprogramm“ über ihren Standort klar zu werden (siehe auch Seite 1), die Sozialistische Partei tut dasselbe mit ihren „Roten Markierungen“ (Europa-Verlag, Wien). Beide Parteien gehen davon aus, daß die Parteiprogramme mit ihren zentralen Aussagen nach wie vor ihre Gültigkeit haben, daß aber seit der Abfassung derselben die Zeit sich gewandelt habe, neue Probleme aufgetreten seien, mit denen sich die Parteien auseinanderzusetzen hätten.

Werbung
Werbung
Werbung

Karl Blecha, auf dessen Beitrag noch näher einzugehen ist, sieht die Hauptaufgabe der SPÖ darin, das bestehende System zu überwinden; ein System, das er als „postfaschistisch“ bezeichnet und mit den Inhalten versieht: „Nachwirken faschistischer Nebenideologien aus der Zeit des Ständestaates und der nationalsozialistischen Okkupation, Intellektuellen- und Fremdenfeindlichkeit, Repression gegen Minderheiten, Status- und obrigkeitsorien-tiertes Denken, konservatives Beharrungsvermögen und undurchschaubare Elitenbildung.“

Für Karl Blecha („Zielpunkte: Modernisierung und Demokratisierung“) geht es in erster Linie um systemverändernde Reformen, um eine Modernisierung des Lebensraumes, auf deren Grundlage erst Demokratisierung einsetzen kann.

Die in den letzten Jahren und Jahrzehnten vor sich gegangene Wissensexplosion hat einen Wandel in der Verwaltung, in der Organisati ons-struktur und im Management, hat eine neue Führungsschicht mit sich gebracht. Die Versachlichung von EntScheidungsprozessen, der Trend zur Öffentlichkeit, das Streben, möglichst vielen Menschen das Bewußtsein ihrer aktiven Verantwortung für die gesellschaftliche Entwicklung zu vermitteln, kennzeichnen die neue Situation. Was immer an Reformen unternommen werden soll, müsse sich daran orientieren, „was letztlich dem Wohl des Menschen dient und seiner Würde entspricht“. Damit erteilt Blecha dem angeblich wertneutralen Stand der Technokraten, den „Verwaltern und Besitzern der Wissensexplosion“, eine klare Absage. Blecha — und das stellt ihn, wenngleich sicher ungewollt, in die Nähe der Autoren des ÖVP-Grundsatzpro-gramms — spricht von „unverrückbaren Grundsätzen“, die ÖVP von „unveränderten Grundsätzen“. Es genügt nicht, sich auf jahrelang gleichbleibende Formulierungen zu berufen, um die Unveränderlichkeit nachzuweisen. Zeichen, Begriffe, Worthülsen mögen gleichbleiber., was sich ändert, ist der Inhalt.

An den Beginn seines Beitrages stellt Blecha die Behauptung, daß die Grundsätze der österreichischen Sozialisten (wobei er auf die Zielformulierungen des „Neuen Par-teiprogrammes“ von 1958 Bezug nimmt) auch heute unbestritten seien. „Nicht die Neuformulierung ist aktuell, sondern die Realisierung.“ Ist das nicht Etikettenschwindel? Blecha selbst fordert eine klare Definition verwendeter Begriffe, versucht, sie für die Termini „Klasse“, „Freiheit“ und „Gleichheit“ zu geben. An diesen Beispielen erhebt er die Forderung, „die sozialistische Ideologie einerseits vor opportunistischen Vereinfachungen zu bewahren und anderseits von überlebten historischen Vorstellungen zu säubern“. Dies nun wieder hat weniger mit einem Wandel in der Realisierung, sondern doch mit einem Wandel im Verständnis der Inhalte zu tun — so daß es schwerfällt, die Existenz „unverrückbarer Grundsätze“ unwidersprochen hinzunehmen!

Ein zweites: Profllierung, Reideo-logisierung, wenn nötig auch Abgrenzung sind in einem Grundsatzprogramm, in einer Grundsatzdiskussion wünschenswert und nötig. Es ist gut, zu wissen, von welchen Prinzipien der andere ausgeht. Problematisch wird es dort, wo Aufgaben, die alle nur gemeinsam erfüllen können, von einer Partei „gepachtet“ werden, wo für gemeinsame Fehler eine Gruppe, jeweils die andere, verantwortlich gemacht wird. So geschehen in Sachen Umweltschutz. Blecha hat völlig zurech i darauf aufmerksam gemacht, daß man die längste Zeit hindurch Symptome anstatt der Ursachen zu beseitigen versuchte, wobei er zu den Symptomen verschmutzte Luft, verunreinigtes Wasser, Lärmentwicklung, ungesunde Wohnungen zählt. „Die Entartungserscheinungen sind keine Probleme, deren Ursachen in der Unzulänglichkeit der Technik und der Planer liegen. Die wirklichen Konflikte ruhen tiefer. Sie treffen nicht die Technik und die Planung an sich, sondern die Verfügung über die Technik und die Planung.“ So weit, so gut. Nur die Schlußfolgerung ist enttäuschend, weil simplifizierend schwarz-weiß (oder besser: schwarz-rot) eingefärbt, wenn Blecha nämlich meint:

„Um die weitere Umweltzerstörung aufzuhalten, muß die Gesellschaft in die nach kapitalistischen Prinzipien organisierte Wirtschaft eingreifen.“ Ob Blecha mit Hilfe des Sozialismus den Einwohnern von Linz und Umgebung garantieren kann, das Übel an der Wurzel und nicht am Symptom packend, wie er fordert, „daß der Mensch frei atmen kann, ohne befürchten zu müssen, mit jedem Atemzug Gift in seine Lungen zu pumpen“? Oder wird in Hinkunft das Ausmaß an Umweltverschmutzung tatsächlich von den Besitzverhältnissen abhängen? Solange Linz den Gegenbeweis erbringt, wird ein gemeinsames Vorgehen — sogar bei den Symptomen beginnend, solange noch Menschen physisch in der Lage sind, damit zu beginnen — nötig sein!

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung