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„Der Christ in der Politik!”

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Das Ritual ist zwar eingelemt. Aber im Detail ergeben sich doch sehr viele neue Facetten, sobald Christen und Politiker diskutieren. Besonders reizvoll sind die Gespräche, wenn die agierenden Politiker maßgeblich und die Zuhörer engagiert sind.

So jüngst in Neulengbach, das sich zum 350jährigen Pfarijubiläum auch auf die politische Komponente des Christseins besann. Dr.’Erhard Busek, Stadtrat in Wien und Nummer zwei seiner Partei, sofern es um Gespräche im Raum des „politischen Katholizismus” geht, Karl Blecha, Zentralsekretär der SPÖ und mindestens ebenso imumstrittene Nummer zwei der SPÖ in diesem Bereich sowie Prälat Florian Zimmel, Pašto ralamtsdi- rektor aus St. Pölten von Beruf und Brückenbauer zur Politik aus Passion, schenkten einander drei Stunden lang nichts.

Das Resümee ist schnell gezogen. Von seiten der Politik sieht man immer mehr, so Blecha, daß die Gesellschaft an Grenzen gekommen sei, die sie nicht mehr überwinden könne. Die bloße Hinwendung zu materiellen Gütern sei zu wenig. Desgleichen seien Parteien nur für die vorletzten Fragen zuständig.

Busek wäre ähnlich wiederzugeben und Zimmel könnte diesen Satz ebenfalls gesagt haben. Doch im Detail - siehe oben - brachte Neulengbach einige Facetten, die niemand übersehen sollte.

Blecha versuchte im Sinne des neuen Programmentwurfs der SPÖ eine rasche Brücke zum Christentum: So viele Grundsätze seien gleich. Man könne das vielzitierte Stück gemeinsamen Weges gehen. Freiheit, Gleichheit, Solidarität seien Grundwerte, die Christen und Sozialisten verbänden.

Hier hakte Busek ein. Gerade diese Grundwerte seien in ihrer Formulierung ursprünglich gegen das Christentum gerichtet gewesen. Er stimme Blecha zu, wenn er Werte aus der christlichen Soziallehre anerkenne. Doch es sei unbedingt zu klären, was im Detail unter solchen Begriffen verstanden werde. Der Terminus Gleichheit etwa käme in der christlichen Lehre in diesem Sinne nicht vor. Viel eher seien Glaube, Hoffnung und Liebe als christliche Grundwerte zu sehen.

Als Christ, präzisiert Busek, könne man einer innerweltlichen Heilslehre innerlich nicht verbunden sein. Wo sich der Marxismus als solche Lehre begreife, sei eine eindeutige Grenze für den Christen.

Zimmel brachte die Rolle der Kirche als Korrektiv für die Politik ins Spiel. Hier erntete er Zustimmung. „Ich will und kann mir als Politiker die Kirche nicht aussuchen, mit der ich Zusammenarbeiten will”, antwortete Busek.

Dazu Blecha: „Für uns ist die Kirche ein kritisches Korrektiv in der Gesellschaft. Wir sagen lediglich nein zu einer politisierenden Kirche. Doch ist ihr ein Freiheitsraum zu sichern, der weit über die Sakristei hinausgeht. Wir nehmen zur Kenntnis, daß die Kirche von Zeit zu Zeit Botschaften an ihre Mitglieder in den Parteien sendet.”

Zimmel betonte - und blieb unwidersprochen -, daß es nicht genüge, wenn Politiker beispielsweise mit Bischöfen sprächen. Die Politik müsse sich auch auf das Gespräch mit dem Verbandskatholizismus einlassen.

Wenn die Diskussion auch in vielen Konjunktiven steckenzubleiben drohte, so versprach sie dennoch konkret eine kleine Allianz in der Frage der Propagierung christlicher Grundwerte im Bereich der Familie. Der für die SPÖ-Familienpolitik vom Publikum scharf angegriffene Blecha konnte sich „durchaus und gemeinsam” vorstellen, daß in den Massenmedien, vor allem im ORF, etwas getan werden könnte, um das Ansehen der kinderreichen Familien zu heben.

Das Zentralproblem der Familien, darin waren sich Busek und Blecha einig, liege nämlich nicht im Materiellen, sondern dort, wo es um die Einstellung zu diesen Familien gehe. Kinderfreundliche Haltung sei immer noch die Ausnahme. Dabei werde dieses Thema sehr bald zu einem Finanzproblem werden, prophezeite Busek.

Zur Fristenlösung lagen die Standpunkte wie gehabt weit auseinander. Ähnliches muß von der Frage des Widerspruchs im Falle der sogenannten § 55-Ehescheidung gesagt werden. Nach Blechas Worten scheint ein Einlenken der Regierungspartei hier genauso unwahrscheinlich wie eine ein- vemehmliche Lösung.

Zimmel schloß mit der Aufforderung an die Kirche, geistige Strömungen zu beobachten, politische Themen selber ins Gespräch zu bringen und sich klar darüber zu sein, daß politisches Engagement kein Mitspielen an der Börse der Macht sei. „Es geht nach wie vor auch um die Kirche der Alten und der Kranken, der Isolierten und der Schwachen.” Worin er sich mit Busek traf, der als entscheidende Krise unserer Zeit die Verkürzung der Welt um jene Grundwerte ansprach, die das Christentum in die Gesellschaft einzubringen hätte.

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