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Wo bleiben die Menschenketten?
Jüngst haben wir ein ganz wichtiges Handballspiel gewonnen: Österreich siegte gegen Jugoslawien. Der Sprecher sagte nur, daß in der jugoslawischen Mannschaft 80 Prozent der Spieler Serben waren.
Es war ein Jubelbericht über einen österreichischen Sieg, und da der Sport bekanntlich völlig unpolitisch und angeblich auch völkerversöhnend ist, scheint niemand gefragt zu haben, ob man dieses Spiel wirklich hätte austragen dürfen.
So hilft der unpolitische Sport in Österreich mit, die Fiktion eines jugoslawischen Staates aufrechtzuerhalten. Indes wurde in Kroatien weitergeschossen und mit der Evakuierung von Dubrovnik begonnen.
In der Nummer des deutschen Nachrichtenmagazins „Der Spiegel", die mir beim Schreiben dieses Artikels als letzte Nummer vorliegt, scheint kein Artikel über Jugoslawien auf. Das Heft hat 354 Seiten. Außenpolitischer Schwerpunkt ist die Nahost-Friedenskonferenz in Madrid. Im ARD ganz kurz eine vorletzte Meldung über Kämpfe in Kroatien.
Die Welt nimmt diesen Krieg mitten in Europa nicht zur Kenntnis, und auch Europa geht zur Tagesordnung über. Erinnere ich mich recht: Wurden wegen des Golf-Krieges nicht Bälle abgesagt? Irgendwie schien es manchen Veranstaltern ungehörig, zum Tanz einzuladen, wenn gleichzeitig in einem Krieg Menschen starben. Das Morden in Kroatien ficht uns nicht an, alles geht seinen Gang, und per Fernsehen werden wir nicht nur über das erwähnte Handballspiel informiert, sondern auch über ein Wettschnupfen und andere bedeutsame Ereignisse.
Der erste Tote in Dubrovnik soll ein serbischer Schriftsteller gewesen sein, der Mitglied des kroatischen PEN-Clubs war. Er starb in seiner Wohnung, die während eines Angriffs der sogenannten Volksarmee von einer Granate getroffen wurde. Ein sinnloser Tod in einem sinnlosen Krieg.
Bei uns tobt indes der Superlative Sparbüchlkrieg mit Maximaldoppelbonus und Kapitalvor-zugsoverdrive.
6.000 Menschen kamen auf den Bosruck, um mit einer Menschenkette über Landesgrenzen hinweg gegen ein in diesem Gebiet geplantes Atommüllager zu protestieren. Wo bleiben die Menschenketten gegen diesen wahnsinnigen Krieg in unserer Nachbarschaft? Wo bleibt die Solidarität der Frauen in Europa mit Müttern in Kroatien und Serbien, die aufbegehren gegen das verbrecherisch angezettelte Sterben ihrer Söhne?
Manchmal fragt man sich, womit wir den Frieden verdienen, in dem wir leben. Hoffentlich wird dieser Friede nicht eines Tages so ignoriert, wie wir jetzt diesen Krieg ignorieren.
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