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Dialog oder Konversation
DIALOG UND ERFAHRUNG. Von Gabriel Marcel. Knecht-Verlag, Frankfurt am Main, 1969. 133 Seiten. DM 7.80.
Dialog, eines der erhebendsten Worte unserer Tage, kann mehreres heißen. Einmal Toleranz in dem Sinne: mit der Bereitschaft, sich überzeugen zu lassen, in die Diskussion gehen. Dies setzt voraus, daß man über seine eigene Position Bescheid weiß, anderseits aber aus einer anderen Position nicht bloß einen Aufbaugegner macht, einen Popanz, den man leicht widerlegen kann, sondern sie auf ihre Motive hin betrachtet und zuletzt untersucht, wieweit ein Gedankengebäude imstande ist, diesen Motiven gerecht zu werden. Die einzig mögliche Basis eines solchen Dialogs ist die Stringenz des Argumentierens, die Verbindlichkeit der Begründung und der Sprache. Der gefeierte Dialog der Gegenwart aber ist von anderer Art. Man ist zwar durch irgendeinen Zufall zu einer bestimmten Position gekommen. Man ist Christ, Marxist, Atheist oder sonst irgend etwas, auf jeden Fall aber progressiv. Es eint uns alle die unbestimmbare Hoffnung auf etwas, das man zwar nicht weiß — und vielleicht darf man das gar nicht wissen wollen, weil jede theoretische Formulierung vermutlich die alten Differenzen wieder aufleben ließe. Ein solcher Dialog genießt sich unverbindlich als pluralistisch und hat etwas von der Nettigkeit einer Konversation. Gabriel Marcel ist ein Meister dieser Gattung von Dialog.
Das Büchlein „Dialog und Erfahrung“ enthält sechs Vorträge aus der Zeit von 1956 bis 1967, die alle um theologische Probleme kreisen. In „Der Glaube als geistige Funktion“ etwa wird der Glaube unterschieden von Meinung, Vermutung, Uberzeugung, Einbildung, Aberglaube, rationellem Erkennen, wobei die Welt einfach in zwei Teile geteilt wird Auf der einen Seite steht die Welt der Phänomene, die allein der wissenschaftlichen Erkenntnis erfaßbar sind, auf der anderen Seite die transzendente Wirklichkeit, auf die sich der Glaube bezieht. Obwohl also Marcel den Glauben aus der Alternative von rationellem Erkennen einerseits und „Aufschwung der Seele, die eine unsichtbare Wirklichkeit anruft (ohne daß wir schon die Natur dieser Wirklichkeit zu präzisieren hätten)“, bestimmt, lehnt er verbal den Dualismus ab, beharrt jedoch auf einer gewissen inneren Dualität.
Hier wird ein Problem, anstatt es zu behandeln, einfach anders benannt und ist so aus der Welt geschafft. Der Dualismus also wird zuerst behaupt-tet, dann abgelehnt, aber auch diese Ablehnung wieder abgeschwächt. Es wird grundsätzlich nichts gesagt, was nicht auch bald wieder zurückgenommen wird. Darum kann auch Marcel z. B. die Schwierigkeit nicht bewältigen, die darin besteht, daß im Christentum der Glaube ja nicht bloß als individuelles Erleben aufgefaßt wird, sondern sich zugleich in Dogmen, in Glaubenssätzen formulierte.
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