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Spirituelle Erneuerung durch konkrete Strukturreformen
Für gelungene Gotteserfahrungen ist die konkrete Erscheinungsform einer Religionsgemeinschaft nicht belanglos.
Für gelungene Gotteserfahrungen ist die konkrete Erscheinungsform einer Religionsgemeinschaft nicht belanglos.
In der Diskussion um das Kirchenvolks-Begehren wird gelegentlich gesagt, daß es heute um wesentlichere und tiefere Probleme ginge, als um die darin angesprochenen konkreten Änderungswünsche. Es wäre jedoch ein folgenschwerer Irrtum, zu meinen, auf die Lösung der unmittelbar anstehenden Probleme - die ja eigentlich als die „vordergründigen” leichter zu lösen sein müßten! - verzichten zu können, auch wenn die zentralen religiösen Probleme in der Gegenwart tatsächlich in der Frage nach Gott, näherhin in der spirituellen Erfahrung seiner Wirklichkeit begründet sind; denn für das Gelingen oder Mißlingen authentischer Gotteserfahrung ist die konkrete Erscheinungsform einer religiösen Gemeinschaft nicht belanglos.
Aus diesem Grunde ist die äußerlich sichtbare Reform der Kirche je neu notwendig, damit deren innere Botschaft und Wesensaufgabe - nämlich die Begegnung mit der göttlichen Wirklichkeit zu vermitteln - in jeder Generation in jeweils angemessener Form realisiert werden kann. Die konkreten Reformen sind so betrachtet wohl nur ein erster, aber ein unverzichtbarer Schritt, um zum zweiten und eigentlichen Anliegen, zur religiösen Erfahrung, hinzuführen.
Durch die neuzeitliche Entwicklung ist es zu einer bedenklichen Kluft zwischen Kultur und Religion gekommen, deren Erben wir alle sind; und diese Hypothek gilt es auch kirch -licherseits aufzuarbeiten. Die heutige Situation ist zudem durch das Auseinanderfallen von Kirchlichkeit und Religiosität gekennzeichnet; damit die Kirche aber religiös Suchenden eine Heimat sein kann, ist im Vorfeld dazu eine Strukturreform nötig.
Der Text des Volksbegehrens kann als Appell verstanden werden, die Kluft zwischen konfessionsinternen Lebens-'und Wertvorstellungen und
allgemein-kulturell akzeptierten -auch von den kirchlichen Amtsträgern öffentlich bejahten - Werten und Lebenshaltungen, zum Beispiel hinsichtlich der Gleichberechtigung von Mann und Frau, zu überwinden. Auf diese Weise kann der Freiraum für die dringend nötige spirituelle Erneuerung zurückgewonnen werden.
Freie Wohl zwischen zölibatärer und nicht-zölibatärer Lebensform
Von den im Text angeführten drängenden Anliegen möchte ich im besonderen auf die freie Wahl zwischen zölibatärer und nicht-zölibatärer Lebensform im Hinblick auf das priesterliche Amt eingehen. Denn durch die Erfüllung dieses Anliegens könnte eine Reihe weiterer im Text genannter aktueller Probleme einer Lösung nähergeführt werden. Würde das erwähnte Anliegen verwirklicht werden, so könnte man sich dabei auf die älteste Tradition berufen, die auf das Handeln Jesu in dieser Frage zurückgeht. Sein Vorbild ist der bleibende Maßstab der von ihm gegründeten Kirche. Und in seinem Vorbild haben beide Lebensmöglichkeiten ihren - christlich betrachtet - tieferen Sinn: die zölibatäre, weil er selbst ehelos gelebt hat; die nicht-zölibatäre, weil er Verheiratete zum Apostelamt berufen hat und weil er durch sein Wort überhaupt der ehelichen Lebensform und Treue ihre grundlegende Würde gegeben hat.
Ähnliches läßt sich im Hinblick auf die gleiche Würde der Frau sagen: Jesus hat deren Besserstellung gegenüber der kulturellen und religiösen Umwelt seiner Zeit angestrebt; die Kirche, die sich an seinem vorbildhaften Wirken zu orientieren hat, müßte mit allen Mitteln anstreben, daß im innerreligiösen Raum in analoger Weise wenigstens jene Gleichstellung realisiert wird, die im gegenwärtigen gesellschaftlichen Bewußtsein eine Selbstverständlichkeit ist. Und da gut die Hälfte der Kirchen-mitglieder Frauen sind, ist es sehr verständlich, wenn vom Kirchenvolk her auf die. Einlösung dieses am Anfang maßgebenden Impetus gedrängt
wird. Durch die gleichwertige Anerkennung wäre drückender Ballast weggenommen, und Energie könnte frei werden, um den von vielen gespürten Mangel auszugleichen, daß heute besonders kompetente spirituelle Menschen in der Kirche nötig wären.
Uberwindung der Entfremdung von Moderne und Katholizismus
Die Erfüllung der zentralen Forderungen des Kirchenvolks-Begehrens könnte darum nicht nur einen wesentlichen Beitrag zur Überwindung der Entfremdung von Moderne und Katholizismus leisten, sondern die Realisierung dieser Anliegen wäre zugleich ein angemessener Versuch, die Intentionen der Botschaft Jesu unter den heutigen Bedingungen in die Realität umzusetzen.
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