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Auf das Wo kommt es an

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Preisfrage für Schweizer Neutralitätspolitiker: Soll Herr Wahlen in Moskau, in London oder in Washington oder gleich in allen drei Städten unterschreiben? Nun, man überläßt es der Findigkeit des Bundeshauses, auf diese zwar verzwickte, aber für den Entscheid über Beitritt oder Nichtbeitritt doch nicht entscheidende Frage eine salomonische Antwort zu finden. Bliebe unter dem neutralitätspolitischen Aspekt lediglich noch die Frage zu prüfen, ob es ein Gebot der Klugheit sei, mit Rücksicht auf das Prestige des französischen Nachbarn oder gar auf die fernen Chinesen abseits zu bleiben. Es hieße jedoch nach übereinstimmender Auffassung, die Vor- und Rücksicht zu weit treiben und die Neutralitätspolitik mit Selbstisolierung und Desinteressements an allen Entspannungsversiiehen verwechseln, wollte sich Bern durch derartige Leisetreterei selber in die Ecke Stellen. Schließlich ist man im Gefolge des während und nach dem letzten Krieg aus dem Lager der freien Welt erhobenen Vorwurfs, die Neutralität sei zum dürftigen Feigenblatt eines kriegsge-

winnlerischen helvetischen Egoismus geworden, aus einem echten Mitverantwortungsgefühl für den Frieden und die Wohlfahrt der Welt zur Formel „Neutralität und Solidarität” gelangt, und willens, sie nun durch Taten unter Beweis zu stellen.

Der entscheidende Faktor: ein humanitärer Fortschritt

Mit geradezu verbrecherischem Zynismus lehnt Rotchina die atomare Entspannung ab und erklärt schamlos, wenn es nach ihm ginge, sollte ein Atomkrieg und damit die Vernichtung hunderter Millionen Menschen und die Zerstörung ganzer Kulturen in Kauf genommen werden, um die bolschewistische Weltrevolution durchzusetzen. Es wäre wahrlich falschverstandene Neutralität — nämlich Gesinnungsneutralität —, mit Rücksicht auf eine solche dunkle Macht sich der Stimme der Völker und der Vernunft, wie sie die Unterzeichnung des Abkommens durch fast alle Länder manifestiert, nicht anzuschließen.

Damit ist der Punkt der Diskussion angerührt, der in der Eidgenossenschaft fast einmütig als der entscheidende betrachtet und gewertet wird. Wenn einerseits keine schwerwiegenden Einwände gegen die Unterzeichnung des Abkommens bestehen und anderseits die Schweiz das Leitwort ihrer Außenpolitik „Neutralität und Solidarität” der Welt glaubhaft machen will, dann muß sie offenbar das Moskauer Abkommen unterzeichnen, nachdem es einen unbestreitbaren humanitären Fortschritt bringt, indem es die radi o- aktive Verseuchung der Luft durch die Atomtests, welche die Lebenskraft unserer und der folgenden Generationen bedroht, beseitigt, und dadurch zugleich auch einen ersten erfolgreichen Schritt auf der Suche nach einer Stabilisierung der Weltlage darstellt und so die Gefahr eines Atomkriegs vermindert.

Die Großen und die Kleinen

Für die Schweiz, die in diesen Tagen des hundertjährigen Bestehens des von Schweizern gegründeten und dem Schutz der Eidgenossenschaft unterstellten internationalen Roten Kreuzes gedenkt, ist gerade im Hinblick auf ihre humanitäre Tradition und ihre besonders verpflichtend empfundene karitative Mission dieser Aspekt von erstrangiger Bedeutung. Er wird, nachdem neutralitätspolitisch der Unterzeichnung des Moskauer Abkommens nichts im Weg steht, den Ausschlag zugunsten des Beitritts geben.

Gewiß, es wird kein pathetischer Staatsakt daraus gemacht werden, da man in Bern viel zu nüchtern ist, um zu übersehen, daß dieses Abkommen noch lange nicht den ewigen Frieden bedeutet, daß die Unterschrift die Schweiz und mit ihr die allermeisten Unterzeichner nichts kostet, daß hinter der angloamerikanisch-sowjetischen Einigung mancherlei nicht sehr ideelle und ideale Nebenabsichten und politische Fragezeichen stecken, daß keine Kontrolle vereinbart werden konnte und daß schließlich das Abkommen kurzfristig aufkündbar ist. Das alles mindert seine Bedeutung, es mindert aber zugleich auch die Risiken eines Mitmachens. So bleibt als einzig sicheres Facit der erfreuliche humanitäre Fortschritt der Einigung und der moralische Druck der Weltmeinung auf die Signatarmächte. Man, m¥g,,aä’s” war’ aTsHescheid ’tius- puhkte bezeichnen, daß es Fortschritte sind, ist aber nicht zu bestreiten. Und jeder echte Fortschritt, auch wenn er relativ bescheiden erscheint, verdient heute Ermutigung und Unterstützung der Großen und Kleinen. Auch der Neutralen.

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