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Bern ließ sich Zeit

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Inzwischen ist in der Schweizer Presse eine rege Erörterung dieser Frage in Gang gekommen, wobei im allgemeinen ziemlich breit Bedenken und Vorbehalte erwogen werden, die dann aber fast regelmäßig in die Folgerung ausmünden, die Schweiz solle ebenfalls unterzeichnen. Abgesehen von unbedeutenden Ausnahmen aus dem Kreis kleiner Blätter, die kurzerhand empfehlen, den Beitritt zum Abkommen abzulehnen, ist sich auch die Presse des Landes darüber einig, daß Bundesrat und Parlament wohl nicht um den Beitritt herumkommen, wiewohl man es offensichtlich vorgezogen hätte, die Schweiz wäre auf der Liste der zum Beitritt eingeladenen Länder vergessen worden. Die mindestens scheinbare Inkonsequenz dieser Folgerung hat ihre bestimmten Gründe, die ich gleich darlegen werde. Vorauszuschicken ist jedoch, daß die zuständigen Stellen im Berner Bundeshaus bisher noch keine Stellung bezogen haben. Das erste Wort wird das Politische Departement (Außenministerium) haben, das dem Bundesrat, das heißt der Landesregierung, einen Antrag unterbreiten wird, von dem mit Bestimmtheit angenommen werden kann, er laute auf Empfehlung zum Beitritt. Der Bundesrat seinerseits hat aber nicht das letzte Wort; es stellt bloß Antrag an das Parlament, das in abschließender Kompetenz entscheidet, ob die Schweiz dem Abkommen beitreten wird oder nicht. Dieser Entscheid kann frühestens in der bevorstehenden Septembersession fallen. Zuvor werden noch die außenpolitischen Kommissionen der beiden Räte den Regierungsantrag zu begutachten haben. Ein Antrag liegt bis zur Stunde aus dem einfachen Grund nicht vor, weil Aus- senminister Wahlen und mit ihm andere Bundesratskollegen ihren Sommerurlaub erst in diesen Tagen beenden.

Warum Bedenken?

Es entspricht nicht nur sprichwörtlicher schweizerischer Bedächtigkeit und Vorsicht sondern auch neutrali- tätsnolitischen Verpflichtungen, wenn als gewichtigste, ja entscheidende Frage, welche die Einladung zur Unterzeichnung aufwirft, diejenige nach der Vereinbarkeit eines Beitritts mit der schweizerischen Neutralität empfunden und besonders sorgfältig erörtert wird. Streng neutralitäts rechtlich steht einem Beitritt nichts im Weg. Weniger eindeutig liegt die neutralitäts politische Problematik. Ist es dem Ansehen und der Glaubwürdigkeit der schweizerischen Neutralität schädlich, wenn die Schweiz mit in dem Ding ist? Oder ist es im Gegenteil nicht vielmehr ihrer Stellung in der Welt abträglich, wenn sie sich abseits hält? Fast einstimmig gelangen die politischen Kommentatoren nach sorgfältiger Abwägung aller neutralitätspolitischen und -rechtlichen Aspekte zum Schluß, ein Beitritt bedeute keinerlei Beeinträchtigung der schweizerischen Neutralität.

Der angesehene Chefredakteur der „Basler Nachrichten”, Peter Dürrenmatt, formuliert diese Auffassung wie folgt: „Das Abkommen ist passiv. Es verpflichtet jene, die es unterzeichnen, nicht dazu, etwas tun zu müssen, sondern etwas zu unterlassen. Für den Fall, daß sich einer nicht an das Abkommen hält, sieht es von seiten der anderen keine Sanktionen vor. Wenn wir unterschreiben, so verpflichten wir uns nicht, zur Verteidigung und Garantierung unserer Neutralität unsere militärische Bereitschaft einzuschränken. Wir verpflichten uns nur, mit Bezug auf unsere militärische Bereitschaft auf etwas zu verzichten, was wir nicht haben.” Wenn im Unterschied zu diesen neutralitätsrechtlichen die neutralitätspolitischen Aspekte komplizierter sind, so nach Dürrenmatt namentlich wegen Absatz 2 des Artikels II des Abkommens, der vorsieht, daß nachträglich Beitretende ihre Unterschrift in einer der Hauptstädte der Signatarmächte unter das Dokument setzen sollen. Dieser Ausweg wurde bekanntlich beschritten, um niemanden zu zwingen, seine Unterschrift neben jene der umstrittenen deutschen Ostzonenrepublik setzen zu müssen, womit bereits die politischen Randprobleme des Abkommens angedeutet sind. Zu diesen gehören ja auch das Abseitsstehen des gaullistischen Frankreich und Chruschtschows Absicht, die rotchinesischen Rivalen zu isolieren und in einer Art weltweiten Verdikts vor aller Augen zu verurteilen.

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