Jetzt sind sie um, die 100 Tage, die man einer neuen Regierung sonst als Schonzeit einräumt, von denen aber beim Kabinett Wolfgang Schüssel keine Rede war. Stattdessen gab es Sanktionen aus dem Ausland, Fundamentalopposition und Demonstrationen im Inland. Angesichts dessen und angesichts des gar nicht so leichten Erbes der alten Koalition sitzt diese Regierung sehr fest im Sattel.
Denn der jüngste Rüffel der EU für Österreichs Budgetpolitik galt noch Zahlen, die der abgetretene Finanzminister Rudolf Edlinger zu verantworten hat, und bestätigte nachträglich den Ruf der ÖVP nach einem anderen Leiter dieses Ressorts. Der neuen Regierung ist es immerhin gelungen, sehr viel, wahrscheinlich zu viel, sehr rasch, wahrscheinlich zu rasch, in Bewegung zu bringen. Zahlreiche Probleme, über die sich bisher keine Regierung drübertraute und die auf die lange Bank geschoben wurden, geht man jetzt an - aber leider oft nicht gründlich genug, sondern mit unausgegorenen, nur auf schnelle ökonomische Effekte bedachten Maßnahmen.
Doch Kanzler Schüssel hat vor allem mit seinem ÖVP-Team Tritt gefasst, die Schwachstellen seiner Regierung gehören der FPÖ an. SPÖ und Grüne stagnieren und stellen derzeit keine Alternative dar. Mit den Sanktionen, die langfristig der EU mehr schaden als Österreich, geht man souveräner um als erwartet, Zwischenrufe aus Kärnten werden weitgehend ignoriert und sind Signale wachsender Ohnmacht.
Der Rückzug Jörg Haiders gehört zur positiven Bilanz dieser hundert Tage. Ein Haider-Comeback ist äußerst unwahrscheinlich. Hat die Regierung Erfolg, profitiert davon vor allem die Kanzler-Partei ÖVP, hat sie keinen, werden die Oppositionsparteien aufleben, aber nicht Haider.
Entscheidend wird für diese Regierung langfristig sein, wie sehr ihre Politik einer diesen Namen verdienenden ökosozialen Marktwirtschaft dient. Kanzler Wolfgang Schüssel hat jüngst bei seiner "Rede zur Lage der Nation" viel von sozialer Gerechtigkeit gesprochen. Genau in diesem Bereich wird man der ÖVP als der "Partei der Christdemokraten" immer wieder Gretchenfragen stellen und sie an ihre Verantwortung erinnern müssen.
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