"Wenn Reden nicht mehr möglich ist, greift man viel eher zu Gewalt"

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Avi Rybnicki, in Regensburg als Sohn jüdischer Shoa-Überlebender geboren, wanderte mit 20 Jahren nach Israel aus. Er lebt, lehrt und arbeitet als Psychoanalytiker in Tel Aviv, kommt aber regelmäßig für Seminare und die psychoanalytische Arbeit nach Wien. Er ist Mitbegründer (2009) des Neuen Lacan'schen Felds Österreich -Initiative Wien sowie des Wiener Ablegers des Forum ZADIG.

DIE FURCHE: Wie entstand die Idee, ein psychoanalytisches Forum gegen Ausgrenzung zu veranstalten?

Avi Rybnicki: Im französischen Präsidentschaftswahlkampf bestand die Gefahr, dass Marine Le Pen trotz ihrer rassistischen Sprache Präsidentin werden könnte. Da entschied der französische Psychoanalytiker Jacques-Alain Miller, dass die Psychoanalyse aktiv eingreifen muss - was normalerweise nicht ihre Art ist. Miller fand aber, dass die Demokratie gefährdet ist. Und wenn die Demokratie gefährdet ist, ist auch Psychoanalyse unter Umständen nicht mehr möglich: Sie braucht schließlich freies Sprechen.

DIE FURCHE: Worin besteht denn der Zusammenhang zwischen der Psychonanalyse und der Politik? Rybnicki: So wie wir die Psychoanalyse -in der Tradition von Freud - verstehen, gibt es einen sehr engen Zusammenhang. Im Unbewussten kommt zum Ausdruck, was in einer bestimmten Gesellschaft tabuisiert ist. Jacques Lacan sagte: Das Unbewusste ist das Politische. Weil sich die Psychoanalyse mit Unbehagen sowohl beim Individuum wie auch in der gesamten Gesellschaft auseinandersetzt, kann sie sich nicht unterwerfen lassen -im Gegensatz zu bestimmten Psychotherapien, die sich sehr wohl instrumentalisieren lassen könnten. Die Psychoanalyse aber definiert nicht, was angeblich normal ist und was nicht.

DIE FURCHE: Ist die Angst vor dem Fremden universal? Rybnicki: Ja, sie steckt in uns allen, weil wir im "Fremden" eigentlich das Fremde in uns sehen. Jeder von uns hat Teile in sich, von denen er entfremdet oder ausgeschlossen ist. Bei jedem Einpassen in eine Gesellschaft verleugnen wir bestimmte Teile von uns, die dann in einem inneren Exil sind.

DIE FURCHE: Darauf bezieht sich auch der Titel "Wir alle sind Exilanten".

Rybnicki: Ja. Wir wollten betonen, dass das Fremde nicht bei Anderen zu finden ist, sondern in uns selbst. Die Populisten spielen ja damit zu sagen, unsere Probleme würden durch die Immigranten und Flüchtlinge geschaffen. Mit anderen Worten: Blieben wir unter uns -wer auch immer "wir" ist -, ohne die Fremden, die alles kaputt machen, dann wäre alles gut. Nur: Wer sind denn diese "Fremden"? Es ist ja nicht so, als wären wir uns untereinander nicht fremd.

DIE FURCHE: Wie ist der Ablauf des Forums?

Rybnicki: Es gibt vier Panels auf der Bühne, die jeweils ein eigenes Thema behandeln. Wir haben die Teilnehmer so zusammengelegt, wie wir hoffen, dass sie gut ins Gespräch kommen. Jeder Gast gibt ein Statement von fünf Minuten ab, danach wird diskutiert - nicht nur, aber auch aus Sicht der Psychoanalyse. Es gab nur eine Bitte an alle Teilnehmer: Dass sie eine möglichst persönliche Perspektive einbringen.

DIE FURCHE: Was ist Ihr Resümee über das erste Forum?

Rybnicki: Ich glaube, es hat funktioniert! Es gab rund 360 Gäste, das Echo war durchwegs positiv. Zufälligerweise war das Forum ja drei Wochen vor der österreichischen Parlamentswahl, die ja ein Jahr vor dem regulären Termin stattgefunden hat -also mitten im Wahlkampf. Durch das Wahlergebnis, das wir ja alle kennen, hat das Forum rückblickend noch an Relevanz gewonnen.

DIE FURCHE: War von Anfang an klar, dass das Forum wiederholt wird?

Rybnicki: Nein, ganz und gar nicht. Allerdings spürten wir eine gewisse Dringlichkeit, weiterzumachen. Wir erleben eine tiefgreifende gesellschaftliche Entwicklung: Das soziale Band wird immer stärker strapaziert, die gesellschaftliche Solidarität verschwindet. Unser Kapitalismus hat eine Phase erreicht, wo die sogenannte Selbstverwirklichung das Ideal wurde: Jeder für sich selbst. Dabei wird auch der Glaube an Institutionen und alles, das uns schützen könnte, immer kleiner. Die Leute sind nicht unbedingt egoistischer geworden, aber das Leben ist unsicherer und schwieriger geworden: Der letzte gemeinsame Nenner ist mittlerweile der Individualismus.

DIE FURCHE: Wie zeigt sich das?

Rybnicki: Ein Beispiel: Das Umwerben in der Liebe spielt heute eine viel geringere Rolle als früher. In Ratgebern steht heute: Sei wie du bist und liebe dich selbst, dann wird sich auch dein potenzieller Partner für dich interessieren. Diese absolute Ichbezogenheit ist neu: Früher musste man sich mit dem Gegenüber beschäftigen.

Als Psychoanalytiker bin ich aber keine Sekunde nostalgisch: Auch früher war nicht alles so schön. In jeder Zeit gibt es ein Unbehagen, das wir Psychoanalytiker individuell auflösen wollen. Die Psychoanalyse beschäftigt sich unter anderem mit dem "Unbehagen in der Kultur", das Freud (1930) beschrieben hat und zu jeder Zeit und in jedem Land etwas anders gelagert ist.

DIE FURCHE: Worin liegt denn das größte Unbehagen unserer Zeit?

Rybnicki: Ich bin bald 62 -als ich jung war, war das Leben einfacher, gleichzeitig aber auch ungesicherter. Jedenfalls in Israel, wo ich seit meinem 20. Lebensjahr lebe. Es war für mich jahrelang unbegreifbar, warum die Österreicher in vielen Dingen so unsicher sind -hier in Israel ist ja alles viel unbeständiger. Obwohl wir hier in ständiger Bedrohung leben, haben die Leute hier weniger Angst und sind weniger niedergeschlagen.

DIE FURCHE: Woher rührt diese Unsicherheit in Österreich?

Rybnicki: Zum einen wurden die Jüngeren in einer Illusion von Sicherheit groß, im Glauben, dass immer jemand für sie sorgen wird - nicht zuletzt der Sozialstaat. Diese absolute Sicherheit gibt es aber nicht. Zweitens ist alles viel fluider geworden. Da hatte es meine Generation leichter: Ich konnte davon ausgehen, dass ich nach meiner Ausbildung relativ gute Chancen auf einen sicheren Beruf habe. Die Geschwindigkeit, mit der sich das alles ändert, ist für die Jungen heute eine riesige Herausforderung.

DIE FURCHE: Welche andere Entwicklungen gab es?

Rybnicki: Am schlimmsten ist die große Lustlosigkeit der Jungen: Gerade deshalb, weil heute angeblich so viel möglich ist. Meine Generation hatte mit Verboten und deren Umgehungen sowie geheimen Fantasien zu tun, auch in der Sexualität. Wenn aber heute alles möglich ist, ist nichts mehr interessant. Das ist ein relativ neues Phänomen: Noch vor 30 Jahren waren in meiner Arbeit Schuldpathologien noch viel dominanter, weil man etwas vermeintlich Verbotenes gemacht hat.

Darüber hinaus haben die Worte an Gewicht verloren: Das sieht man gut in der Politik, wo der US-Präsident kein Problem hat, seine Meinung zu äußern und am nächsten Tag das Gegenteil davon zu sagen -ohne sich auch nur einen Moment mit diesem Widerspruch aufzuhalten. Alles ist möglich, dadurch werden die Worte ihrer Bedeutung entleert und die Orientierungslosigkeit wird größer.

DIE FURCHE: Wächst daraus dieses neue Bedürfnis nach Autorität, das wir erleben?

Rybnicki: Ja natürlich: Wir erleben einen nostalgischen, sehr gefährliche Trend hin zur alten Ordnung, zu einer autoritäten Führung -nicht nur in Österreich, sondern in vielen Ländern.

DIE FURCHE: Wie ist das in Israel, wo Identität ja eine noch größere Rolle spielt?

Rybnicki: Wir Juden sind aus 70 Ländern nach Israel gekommen. Es gibt nach wie vor einen Konflikt mit den Palästinensern und nicht wenigen arabischen Ländern. Das politische Klima ist so schlimm wie noch nie: Dass wir mit unseren rund 20 Prozent arabischen Staatsbürgern dennoch relativ friedlich zusammenleben, grenzt an ein Wunder. Die jetzige israelische Regierung schürt aber weiter Angst, sie lebt ja von ihr.

DIE FURCHE: Was müsste auf gesellschaftlicher Ebene geschehen?

Rybnicki: Ich habe leider keine Rezepte parat. Eines ist aber sicher: Je weniger Diskursbereitschaft besteht, desto gewalttätiger wird es. Auf Hebräisch hat das Wort gewalttätig und das Wort "stumm" eine gemeinsame Wurzel: Dort, wo das Reden nicht mehr möglich ist, greift man viel eher zu Gewalt.

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