Bilderstürmer - einst und heute

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Blinde Vernichtungswut treibt militante Islamisten dazu, Kulturgüter zu zerstören - trotz mancher Ähnlichkeit auf den ersten Blick unterscheidet sich der reformatorische Bildersturm des 16. Jahrhunderts davon deutlich.

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Blinde Vernichtungswut treibt militante Islamisten dazu, Kulturgüter zu zerstören - trotz mancher Ähnlichkeit auf den ersten Blick unterscheidet sich der reformatorische Bildersturm des 16. Jahrhunderts davon deutlich.

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Wie sich die Bilder gleichen: ein aufgebrachter Mob zerstört religiöse Gemälde und sakrale Gegenstände, zertrümmert wertvolle Kulturgüter und antike Statuen. Aus Zeitungen und Nachrichtensendungen sind diese Szenen bekannt: Zuletzt hat die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) Anfang Juli 2015 die berühmte Löwenskulptur aus dem Allat-Tempel der syrischen Oasenstadt Palmyra zerstört. Bereits ein paar Jahre zuvor haben beispielsweise die Taliban die Buddha-Statuen von Bamiyan im Zentrum Afghanistans zerstört. Die Statuen aus dem sechsten Jahrhundert sind unwiederbringlich vernichtet - auch wenn eine Wiedererrichtung regelmäßig angedacht wird.

Ähnliche Szenen kennt man aus dem Geschichtsunterricht. Gerade in der abendländisch-christlichen Welt gab es immer wieder Bilderstürme, denn die Anfertigung von Bildern für Kirchenräume oder das Anbringen von Ikonen war und ist bis heute nicht unumstritten. Besonders kritisch eingestellt gegenüber der bildlichen Darstellung von biblischen Geschichten und Heiligen waren die Reformatoren des 16. Jahrhunderts. Während der deutsche Reformator Martin Luther (1483-1546) Bilder und Statuen als neutrale Dinge, sogenannte Adiaphora, beurteilte und sie solange duldete, solange sie nicht angebetet und dadurch aus seiner Sicht missbraucht würden, waren die Schweizer Reformatoren bilderkritischer. Aus Sicht des Zürchers Ulrich Zwingli (1484-1531) verführten Bilder immer zum Missbrauch ("Wenn man Bilder so hoch hängt, dass man sie nicht verehren kann, dürfen sie hängen bleiben."), der Genfer Johannes Calvin (1509-1564) war der Überzeugung, dass Bilder die Ehre Gottes beschnitten.

Fachgerechte Bilderentfernung

Doch auch wenn die Motive, warum Bilder sowie Statuen kritisiert werden, bei den Reformatoren von damals und den Islamisten von heute auf den ersten Blick ähnlich erscheinen, der Umgang mit den unerwünschten Sakralgegenständen unterscheidet sich doch deutlich, wie ein exemplarischer Blick nach Zürich zeigt.

"Einen Bildersturm in dem Sinn hat es in der Zürcher Reformation nicht gegeben, es hat aber sehr wohl eine Bilderentfernung gegeben", erklärt Peter Opitz, Professor am Institut für Schweizerische Reformationsgeschichte an der Universität Zürich. "Diese Bilderentfernung ist auf Beschluss des Stadtrates erfolgt, der legitimen, von der Bürgerschaft gewählten Behörde. Und dies in geordneter Weise und im Beisein eines Ratsherrn und eines Handwerkers, der dafür sorgte, dass die Gegenstände und Bilder fachgerecht abgenommen wurden." Die Bilder seien auch nach der Abnahme aus den Kirchenräumen nicht etwa zerstört, sondern den Stiftern und Eigentümern zurückgegeben worden. In anderen Fällen seien die wertvollen Gegenstände verkauft oder eingeschmolzen worden, um das Geld dann für die Armenversorgung zu verwenden. Dabei waren nicht die bildlichen Darstellungen als solche das Problem. Die Reformation verstand das "Bilderverbot" im Alten Testament als Verbot, Bilder zu "verehren" - etwa vor Statuen niederzuknien und die Heiligen um Hilfe anzurufen, wie dies vielfach geschah. Deshalb mussten sie dort entfernt werden und waren "Götzen". Dessen ungeachtet war die erste Zürcher Bibel reich illustriert und stellte auch Gott dar, wie er im Paradies spaziert.

"Was man als Bildersturm bezeichnen kann, waren Einzelaktionen von Leuten, die den Fortgang der Reformation beschleunigen wollten. Diese Leute wurden aber bestraft", betont Opitz. In Zürich habe es drei solche Einzelaktionen gegeben. Im Herbst 1523 wurde im Frauenmünster der Altar zerstört, das Kreuz am "Stadelhofen" wurde gefällt, auch wenn dabei gesagt wurde, es sei unter Zustimmung des Besitzers passiert. Und in Sankt Peter wurde das Altarbild heruntergerissen. "Diese Einzeltäter, es waren Handwerkergesellen aus der Stadt, wurden jedenfalls bestraft, wenn auch relativ milde."

"Götzenzerstörung" als Aufstand

Auf geordnete Art und Weise lief der sogenannte Bildersturm im Zürcher Grossmünster, der zentralen Kirche der Stadt, ab. "Es gab bei uns keinen Bildersturm, wenn man damit die Vorstellung verbindet, als würde ein wütender Mob Altar und Sakralgegenstände aus der Kirche hinausschmeißen. So etwas gab es allenfalls nur in Bern und Basel, aber in Zürich ging es anders los", erklärt Christoph Sigrist, Pfarrer am Grossmünster. Die einzige Gewaltanwendung habe es gegenüber einem Gemälde von Felix und Regula gegeben, dieses sei zerschnitten und dann übermalt worden. "Sonst geschah es auf Anordnung der Obrigkeit in den Jahren 1524 und 1526 und zwar in geordneter Art und Weise, indem man die Altarbilder den Eigentümern zukommen ließ. Es ging mit rechten Dingen zu. Was man weiß, ist, dass einige Gegenstände in der Limmat versenkt wurden, aber das war es auch schon."

Auf dem Land habe die Situation anders ausgesehen, sagt Kirchenhistoriker Opitz. "Die Reformation war eine Erneuerungsbewegung, die auch eine politische Dimension hatte." Grundsätzlich waren die Bauern den reformatorischen Ideen gegenüber sehr aufgeschlossen. Dass die Landbevölkerung gegenüber den Klöstern abgabepflichtig war, hatte schon vor der Reformation zu Spannungen geführt. "Die Klöster haben die Abgaben verwendet, um Kirchenschätze herzustellen oder zu kaufen. Diese standen in den Kirchen. Somit haben die Bauern die Reformation auch verstanden als Befreiung von der in diesem Sinn verwendeten Zinslast, als Befreiung von der Knechtschaft von Äbten und Klöstern, die einen geistlichen Anspruch erhoben und weltliche Herrschaft ausübten. 'Götzenzerstörung' wurde somit auch als Beendigung der Unterdrückung verstanden", sagt Opitz.

Unterschiedliche Kontexte

"Bilderzerstörungen" in der Reformation des 16. Jahrhunderts und durch den "Islamischen Staat" im 21. Jahrhundert gleichen einander nur auf den ersten Blick. "Die Terroristen marschieren in fremde Städte ein und zerstören Bilder, die ihnen nicht gehören. Das war in Zürich ganz anders: die haben nach einem demokratischen Beschluss ihre eigenen Bilder in ihrer eigenen Stadt abgehängt", resümiert Opitz. "Der militante Islam heute scheint eher eine Reaktion auf die Moderne zu sein, mit der man nicht klar kommt. Der Konfliktpunkt im 16. Jahrhundert hingegen war ein ganz anderer. Wenn zwei dasselbe tun, kann es trotzdem etwas ganz Verschiedenes sein", so Kirchenhistoriker Opitz.

"Die damalige und die heutige Zeit sind ganz schwierig miteinander zu vergleichen, weil die Kontexte ganz unterschiedlich sind", findet auch Pfarrer Sigrist. Ein Aspekt sei ihm dabei besonders wichtig: Bei Zwingli stehe hinter der Bilderkritik nicht der Hass gegenüber einer Religion oder einer Konfession, sondern die Überzeugung, dass die Bilder von der echten Beziehung zu Gott ablenken würden. "Da merkt man, das ist nicht vergleichbar mit der Haltung der heutigen IS-Kämpfer. Was diese Leute machen, sind reine Hassgeschichten."

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