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Martin Luther

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Diese Zeilen beabsichtigen nicht, die religionsgeschichtliche Persönlichkeit Martin Luthers in diesen Tagen der Erinnerung an seinen 400. Todestage irgendwie in das Blickfeld der Betrachtung zu rücken. Diese Aufgabe ist dem Theologen überlassen, der sie heute — ob Protestant oder Katholik — aus den starken Spannungen der damaligen Welt- und Zeitenwende zu deuten weiß. Unsere Aufgabe soll es sein, aufzuzeigen, wie die kleindeutsche und vor allem dann die nationalsozialistische Geschichtsschreibung die (festalt des Reformators für sich in Anspruch nahm und aus ihr einen Nationalheros machte, wie dies in den letzten Jahrzehnten und Jahren in ähnlicher Weise etwa mit Ulrich von Hutten oder Wallenstein, mit Erasmus von Rotterdam oder Goethe geschah. Die kleindeutschen Geschichtsschreiber vom Schlage eines Treitschke und Droysen bis zu H a 11 e r oder gar Suchenwirth stellten sich ja nicht mehr unter die Ergebnisse objektiver Forschung, sondern schufen sich ihre Gestalten nach ihrem Bilde. In immer unverhüllterer Form trat an Stelle der sachlichen Deutung auf Grund genauen Quellenstudium die subjektive Stellungnahme vom jeweils politischen Standort aus. Von der jüngeren Historikergeneration wurde seitens des Nationalsozialismus gefordert, die einzelne Persönlichkeit (oder Begebenheit) nach ihrem nationalen Wert zu gestalten, also der nationalistische Subjektivismus wurde uneingeschränkt befohlen. Wer diesem nicht entsprach, war nicht befähigt, ein Lehramt auszuüben, beziehungsweise — wie es wörtlich hieß: „den nationalsozialistischen Menschen mitzuer-ziehen“.

Ein Altmeister der deutschen Geschichts-.schreibung wie Leopold von Ranke — befangen nur dann, wenn es in seinen Werken um den größeren Ruhm Preußens ging — hat Luther immer aus und in dem Rahmen seiner Zeit zu verstehen und darzustellen versucht. Wie er ja auch, der gläubige Protestant, in seiner Geschichte der Päpste eine oft überraschend großzügige Objektivität beobachtet. Die Epigonen Rankes freilich sahen in Luther immer den Vorkämpfer der „nationalen Freiheit“, jener „fürstlichen Libertät“, die ja mit Hilfe des „cujus regio ejus religio“ tatsächlich der Ausbreitung der neuen Lehre besonders förderlich sein sollte. Sie wiesen gerne darauf hin, daß Kurbrandenburg — in Verbindung mit Preußen später der Träger des kleindeutschen Gedankens — frühzeitig der neuen Lehre sich zugewandt hatte. Diese Haltung, von liberaler Seite zuweilen als „königlich-preußisches Christentum“ bezeichnet, blieb durch die Jahrhunderte lebendig, sie kam vor allem anläßlich der Vereinigung der Universitäten Halle und Wittenberg, Luthers langjähriger Wohn- und Wirkungsstätte (1817), zum Ausdruck. Auch so manche Rede etwa Friedrich Wilhelms IV! oder Wilhelms IL, zweier preußischer Könige, die mit weitgehender Toleranz ein tiefes Bewußtsein ihres evangelischen Gottesgnadentums verbanden, atmete diesen Geist. Man sah in Luther gleichsam den geistig-religiösen

Garanten des Hohenzollernhauses, auf den sich auch Bismarck wiederholt berief und in dessen Andenken man — mitten im ersten Weltkrieg (1917) — die Vierhundertjahrfeier des Thesenansdilags feierte.

Anders wurde es im Nationalsozialismus, dem verstiegenen Erben der kleindeutschen Geschiditsauffassung, vor deren unwissenschaftlichem Forum zum Beispiel Karl der Große anfänglich als „Sachsenschlächter“ oder Goethe als vielleicht nicht ganz arisch abgelehnt wurde. (Später, nach dem Erscheinen von Büchern wie etwa Franz Kochs „Goethe und die Juden“ oder Erich Wenigers „Goethe und die Generale“, bemühte man sich aber dodi, den Unsterblichen von Weimar wieder hof- oder besser parteifähig zu machen.) Ähnlich erging es Luther; in seiner Beurteilung ergab sich ein beachtenswerter Dualismus: Bis 1525 wurde seiner „revolutionären Entwicklung“ alles Lob zuteil. Seine Haltung in Rom, sein Thesenanschlag, die Abfassung der Streitschriften des Jahres 1520, die Verbrennung der Bannbulle, sein Auftreten auf dem Reichstag von Worms (1521) wurde mit Begeisterung gefeiert. Besonders der „Junker Jorg“ in Panzer und Bart während seiner „Schutzhaft“ auf der Wartburg mußte ansprechen. Für den mit seinem Gott um cfie letzten Dinge und den Frieden der Seele ringenden Bruder Martiniis vor und nach 1517 hatte man keinerlei Verständnis. Dazu fand seine „Wandlung seit 1525“, wo Luther für seine Lehre bei den Territorien des Reiches einigen Rückhalt sucht und findet, die schärfste Mißbilligung. In den Lehrbüchern, die bis Anfang 1945 Gültigkeit besaßen, hieß es wörtlich: „Leider blieb der Reformator auf halbem Wege stehen. Er hätte eine deutsche Nationalkirche schaffen sollen ohne jede Bindung an ein dogmatisches Lehrgebäude. Er hätte sich an die Spitze der Sozialrevolution der Bauern stellen müssen und mit ihnen die Einheit des Reiches und des Glaubens erringen können“ usw. Man spürt den Ungeist der befohlenen „subjektiven Stellungnahme“, Ablehnung jeder kirchlichen Form zugunsten nationaler Interessen, Beseitigung aller dogmatischen Grundlagen zur Anbahnung jenes totalen Staates, der ja dann nicht nur die Weltmacht der katholischen Kirche, sondern ebenso den bibeltreuen Protestantismus (freilich vergeblidi, aber dafür um so fanatischer) bekämpft hat. — Hierin lag die völlige Verkennung der geschichtlichen Persönlichkeit des Reformators, der gegen Ende seines Leben1! — besonders in seinen Tischreden — immer wieder gegen jeden äußeren Zwang im geistig-seelischen Bereich Stellung nahm und seine Lehre niemals als irgendwie national gebunden angesehen wissen wollte.

Bis zuletzt war es Luthers größtes Anliegen, einen Religionskrieg vermieden zu sehen. Sein eigentlich unerwartet schnelles Ende in seiner Geburtsstadt Eisleben am 18. Februar 1546 hat ihn den Schmal-kaldischen Krieg, diesen bescheidenen Auftakt weit furchtbarerer Auseinandersetzungen nicht mehr erleben lassen. Er selbst hat es immer abgelehnt, weltanschauliche Dinge mit äußeren Gewaltmitteln durchzusetzen oder zu verteidigen. Freilich, sieben Jahrzehnte nach seinem Tode raste der Krieg der Dreißig Jahre über das Abendland dahin, und heute liegt dieses Abendland wieder darnieder, nachdem die Weltanschauung der Gewalt und des hemmungslosen Subjektivismus einen Weltkrieg heraufbeschworen, dessen anarchischen Ergebnisse in nichts denen nach dem Dreißigjährigen Kriege nachstehen. — Man hat Luthers Eintreten für die kleinen Ländergebiete besonders kritisiert; ein System überzentralistischer Gleichmacherei konnte dies nicht anders tun, so wie man auch Goethe verübelte, der immer wieder und mit vollem Recht darauf hinwies, daß die kleinen Staaten die eigentlichen kulturellen Kraftzentren sind, die das Leben des Kontinents ausmachen. — So mag uns der 400. Todestag des großen Reformators, den unter anderen die Literaturwissenschaft immer als den genialen Mitschöpfer der neuhochdeutsdten Schriftsprache feiern wird, daran erinnern, daß er vor allem die „Freiheit des Christenmenschen“ forderte, eine Freiheit, die nidit Ungebundenheit bedeutet, sondern die im Dienste der allgemeinen Menschheitsentwicklung ihre Verpflichtung und ihren Lohn empfängt. In diesem Lichte behält die richtig verstandene geschichtliche Persönlichkeit Martin Luthers ihre Überagende Bedeutung.

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