"Das Land gehört nicht der VP"

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Die Spitzenkandidatin des Liberalen Forums lobt Innsbruck als liberales Pflaster und kämpft um den Einzug in den Landtag, um die VP-Macht zu brechen.

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Die Spitzenkandidatin des Liberalen Forums lobt Innsbruck als liberales Pflaster und kämpft um den Einzug in den Landtag, um die VP-Macht zu brechen.

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dieFurche: Sie verlassen die Bundespolitik und gehen als Spitzenkandidatin des Liberalen Forums nach Tirol. Was reizt eine Liberale, gerade ins "tiefschwarze" Tirol zu gehen?

Maria Schaffenrath: Es war eine sehr persönliche Entscheidung, und ich gebe durchaus zu, daß mir der Abschied von der Bundespolitik nicht leicht gefallen ist. Ich habe doch Bildung wieder zu einem politischen Thema machen können, und ich glaube, einen Bereich, in dem man erfolgreich gearbeitet hat, den läßt man nicht sehr gerne zurück. Ich habe mich deshalb für Tirol entschieden, weil ich mich in Tirol schon lange - bevor es das Liberale Forum überhaupt gegeben hat - als Mensch, dem Offenheit, Toleranz, Selbstbestimmung ganz wesentliche Werte sind, in der bestehenden Parteienlandschaft nicht vertreten gesehen habe. Ich bin mir sehr sicher, daß es in Tirol durchaus viele Menschen gibt, die das auch so sehen. Ich habe auch entsprechend viele Rückmeldungen, diesen Menschen möchte ich einfach das Liberale Forum als Alternative anbieten.

dieFurche: Wo besteht Liberalisierungsbedarf in Tirol?

Schaffenrath: In allen Bereichen. Ich sehe zum Beispiel großen Handlungsbedarf im Bildungsbereich. Tirol ist, wenn es um die Integration von Behinderten geht, mit Ausnahme des Vorzeigebezirkes Reutte, österreichisches Schlußlicht. In Tirol gibt es keinerlei ausreichende Maßnahmen, um Menschen mit nicht-deutscher Muttersprache sinnvoll in die Pflichtschule zu integrieren. Wir haben ein ganz konkretes Beispiel im Bezirk Reutte: ein Drittel der Kinder einer Klasse kann dem Unterricht in deutscher Sprache nicht folgen. Da gibt es keinen Begleitlehrer, da gibt es keine Maßnahmen, um diesen Kindern zu ermöglichen, auch einen entsprechenden Bildungsweg einzuschlagen. Da provozieren wir geradezu die Problemfälle der Zukunft. Es fehlt in Tirol ein offenes, tolerantes Klima für den gesamten Bereich der Kunst. Es fehlt in Tirol eine freie Medienlandschaft.

dieFurche: Meinen Sie, Tirol ist weniger "offene Gesellschaft" als andere Bundesländer?

Schaffenrath: Wir könnten noch weitere Bereiche ansprechen: Nirgendwo ist die Kluft zwischen Männern und Frauen so groß wie in Tirol. In Tirol haben die Frauen die niedrigste Erwerbsquote, die deutlichsten Arbeitslosenzahlen. In Tirol ist die Kinderbetreuungssituation schlecht, wir sind Schlußlicht, nur knapp überholt von Vorarlberg, wenn es um eine ganztägige Betreuung von Kleinkindern geht, was natürlich die Chancen von Frauen wesentlich schwächt, auch erwerbstätig sein zu können. Der Armutsbericht in Tirol hat auch eine sehr klare Sprache gesprochen, daß insbesondere die Frauen im ländlichen Raum mit Kindern von Armut betroffen sind.

dieFurche: Glauben Sie, daß Tirol für das Liberale Forum insofern ein besonders schwerer Boden sein könnte, weil dem Liberalen Forum so etwas wie ein kirchenkämpferisches und antiklerikales Image anhaftet?

Schaffenrath: Ich bin selber Katholikin, ich bin mit vielen Menschen in Kontakt, ich glaube, daß es schon notwendig ist, den Menschen klar zu machen, daß die Kritik an der Verquickung von Kirche und Staat nichts mit Kirchenfeindlichkeit zu tun hat. Es kommen im übrigen ja auch die Initiatoren des Kirchenvolks-Begehrens aus Tirol (zum Zeitpunkt des Interviews war noch nicht bekannt, daß Thomas Plankensteiner für die ÖVP kandidieren wird; Schaffenrath hat sich, ebenso wie die Grünen, über die Entscheidung Plankensteiners äußerst befremdet gezeigt; Anm.), also gibt es in diesem Land durchaus ein Gespür dafür, daß es berechtigte Kritik an der Struktur der Kirche gibt. Ich glaube also nicht, daß die uns angedichtete Kirchenfeindlichkeit grundsätzlich das Problem sein kann.

dieFurche: Das LIF ist bundespolitisch zweifellos zu einem Faktor geworden. In den Ländern ist das noch nicht so recht gelungen. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Schaffenrath: Ich denke, das liegt an der Struktur der Länder. Wir sind 1994 in Tirol bei den Landtagswahlen angetreten, aber da war die Partei eher rudimentär von ihrer Struktur her, die Zeit war sehr, sehr kurz, um den Menschen klar zu machen, warum und in welchen Bereichen es Liberale im Land braucht. Ich glaube, daß jedenfalls die Menschen sehr deutlich zwischen Bundes- und Landeswahlen unterscheiden. Es ist uns in Tirol damals und auch in anderen Bundesländern nicht gelungen, den Menschen klar zu machen, was unsere landespolitischen Anliegen sind. Das ist sehr schwierig. Wir wissen, daß wir insbesondere im urbaneren Bereich, bei Menschen mit einem höheren Bildungsstand, durchaus punkten können, daß es dort leichter ist, unsere Inhalte zu transportieren. Wenn man sich anschaut, wieviele große Siedlungsgebiete Tirol hat, und wieviele Menschen in doch sehr kleinen Dörfern in den Tälern leben, dann weiß man, daß es schwierig ist, die Inhalte dort hinzutransportieren.

dieFurche: Aber Innsbruck zählt schon zum urbanen Bereich ...

Schaffenrath: Innsbruck ist überhaupt ein sehr liberales Pflaster, wie generell die Bezirksstädte, das haben wir sehr gut bei den in der Zwischenzeit durchgeführten Wahlgängen verfolgen können. Bei der Nationalratswahl 1995 war Innsbruck die liberalste Landeshauptstadt, noch vor Wien, bei der Bundespräsidentschaftswahl hatte Heide Schmidt in Innsbruck zwischen 18 und 19 Prozent.

dieFurche: Was wäre demnach für Sie ein Wahlziel?

Schaffenrath: Unser erstes Ziel ist selbstverständlich in den Landtag einzuziehen, die Fünf-Prozent-Hürde zu überschreiten, und ich bin sehr zuversichtlich, daß wir das schaffen werden. Damit ist ein ganz wesentliches Ziel untrennbar verknüpft: es ist tatsächlich so, daß wohl vom Einzug der Liberalen abhängt, ob die Volkspartei über eine absolute Mehrheit verfügt oder nicht. Ich bin überzeugt, daß die jahrzehntelange ÖVP-Dominanz im Land auch zu einer Erstarrung der Strukturen geführt hat, daß sich vieles nicht zum besten gewendet hat. Ich glaube, daß diese jahrzehntelange Dominanz dazu geführt hat, daß die ÖVP mit Landeshauptmann Weingartner an der Spitze das Land als ihr Eigentum betrachtet, daß der parteipolitische Einfluß in allen Bereichen fast übermächtig ist, daß sich das Denken auch verengt hat, daß wir soviel geistige Enge haben im Land und so wenig Öffnung. Wenn etwa der Landeshauptmann im Vorfeld von Wahlen irgendwelche Ehrenzeichen einfach erfindet, die es im Gesetzblatt gar nicht gibt, und wofür es keinen Beschluß der Landesregierung gibt, nur um irgendwelche Wahlkampfveranstaltungen zu machen, wenn Weingartner im Stile eines Kaisers sagt, so lange es ihn gibt, wird es in Tirol keine Moschee geben, dann sind das für mich Signale, die mich bedrücken - auch wenn ich nicht den Eindruck erwecken möchte, das Land Tirol soll von Moscheen übersät sein, aber da habe ich das Gefühl, da hat sich etwas entwickelt, was aufhören muß, wenn man Tirol in das nächste Jahrtausend führen will oder Tirol auch wettbewerbsfähig machen möchte innerhalb Österreichs, aber auch innerhalb des gemeinsamen Europas.

Das Gespräch führte Rudolf Mitlöhner.

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