6766845-1968_38_11.jpg
Digital In Arbeit

Fragwürdig gewordenes Christentum

19451960198020002020

KANN MAN HEUTE CHRIST SEIN? Von Jean-Marie Pauperi. Freiburg 1967, Verlag Herder. 234 Seiten, kartoniert. DM 20.—.

19451960198020002020

KANN MAN HEUTE CHRIST SEIN? Von Jean-Marie Pauperi. Freiburg 1967, Verlag Herder. 234 Seiten, kartoniert. DM 20.—.

Werbung
Werbung
Werbung

„Kann -man heute Christ sein?“ Diese Frage stellt sich J. M. Pau- pert. Zum Verständnis der Antwort auf diese Frage hat er es offenbar für notwendig erachtet, im ersten Teil der vorliegenden „Confessiones“ seinen geistig-geistlichen Reifungsprozeß aufzuzeigen. In skizzenhaften Umrissen sei er zunächst nachgezeichnet.

Geboren 1927 in Chalons-sur- Marne, verbrachte Paupert seine Kindheit. in dejp,. unvergleichlich religiösen Klima' einer einfachen Arbeiterfamilie, Ifi der eine "bedingungslose geistige und tatsächliche Ergebenheit und der Kirche gegenüber selbstverständlich war. Nach seiner Gymnasialzeit im Knabenseminar von Chalons kommt er zum Studium der Theologie in das Französische Seminar nach Rom; hier besucht er die Vorlesungen an der Gre- goriana und am Angelicum, wo er sich in ernster Arbeit und in freundschaftlichem Gespräch mit vielen seiner Professoren, besonders der Dominikaner, ein umfassendes Wissen erwirbt. Im Rückblick auf diese Zeit seiner „römischen Entwicklung“ meint er: „Ich fühlte unklar, daß ich, wenn ich für mein Teil das Volk Gottes leiten wollte, zu einer Synthese zwischen meinem rationalistischen Temperament und der christ

lichen Tatsache gelangen mußte; die Liebe zum heiligen Thomas und meine Bindung an die Predigerbrüder ließen mich daran denken, dieser Synthese die dominikanische Form zu geben, da diese Synthese ein totales Engagement des Lebens erforderte.“ (Seite 57.)

Doch gerade durch eine gründliche „Konversion“ des Geistes im Noviziat der Dominikaner wird ihm klar bewußt, daß er für das Ordens- und Priesterleben ganz und gar nicht vorbereitet und zweifellos auch nicht bestimmt ist: „Ich erkannte tatsächlich klar, daß ich mich früher, von einem Trugbild religiöser Magie verlockt, auf diesen Weg begeben hatte, daß ich dann auf diesem Weg geblieben war, weil ich die Suche der rationalen Wahrheit mit der Suche Jesu Christi verwechselt hatte, ohne daß ich diese doppelte Suche jemals zu einer Einheit in mir verschmolzen hätte. Statt dessen hatte ich zugelassen, daß die eine die andere tötete. Ich mußte zum Rückzug blasen und mich auf eine neue Fahrt begeben. Ich fühlte mich wie ein Säugling, schwach und bloß“ (59). — Seine Einwurzelung in der „Welt“ fällt ihm nach all dem nicht leicht: Nach einem Weiterstudium an der Sorbonne und einigen Jahren Unterrichtstätigkeit wird er schließlich Mitarbeiter von Daniel-Rops in der Herausgabe der Buchreihe: „Je sais — Je crois“.

Paupert schildert seine geistige Entwicklung in der Überzeugung, daß er „innerhalb von achtundreißig Jahren in (seiner) Ontogenese einige der wesentlichen Etappen der religiösen Phylogenese unserer Zivilisation durchlaufen habe“. Sein Glaubensbekenntnis im zweiten Teil des Buches ist vor diesem Hintergrund zu verstehen; es bietet die jetzige Synthese der subjektiven Formen seines Glaubens. Ausgehend von der bedrückenden Tatsache der von Gott, Christus und allen religiösen Beziehungen völlig entleerten Welt und Vernunft müht er sich um ein geläutertes Gottesbild, sodann um ein Verständnis des Mysteriums Jesu Christi und der Erbsünde. Das Kapitel „Die Kirche und die Kapellen“ behandelt in einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Teil- hardismus die Problematik des Inte- gralismus und Modernismus. Zum Abschluß befaßt er sich noch mit

der politischen, apostolischen und liturgischen Aktion der Kirche. Paupert greift hier gewiß überaus aktuelle Themen auf; er zeigt sich mit der theologischen Problematik der Gegenwart durchaus vertraut. Sein Glaube ist auf der Suche nach einem Kosmos, der ebenso völlig rational wie völlig göttlich ist. Zugleich fehlt es jedoch nicht an Angriffen gegen Personen, Gruppen und manchmal sogar gegen die Kirche, die durch ihre Heftigkeit verletzen. Es halt schließlich zu wenig zu bedeuten, wenn er nachher um Verzeihung bittet. Dazu kommt, daß seine Gedankengänge zum Beispiel über das Verhältnis von Mythos und Mysterium schwer verständlich sind, wenn sie nicht überhaupt unklar bleiben. Die Ratlosigkeit des Autors überträgt sich schließlich auf den Leser dieses Buches. — Kann man also heute Christ sein? Paupert beantwortet diese Frage indirekt dadurch, daß er Christ sein und bleiben will.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung