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Geheimnisvoller Leib Christi

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Mitterers Werk bedeutet für die Ekklesio-logic in dreifacher Hinsicht einen außerordentlichen Gewinn. Erstens zeigt es den theologischen Fortschritt auf, der sich von den Lehrmeinungen des heiligen Thomas von Aquin bis zur Enzyklika „Mystici Corporis“ Papst Pius' XII. hinsichtlich der Lehre von der Kirche vollzogen hat. Zweitens bietet sein Buch den besten Kommentar zu dieser Enzyklika selbst und stellt in ihrem Hauptteil mit aller rationalen Klarheit, wie sie Mitterer eignet, eine der bedeutendsten systematischen Darstellungen der Lehre von der Kirche dar. Drittens bringt es bezüglich des bekannten Satzes: Extra ecclesiarn nulla salus, eine Reihe von wichtigen Erkenntnissen und neuen Formulierungen, durchaus in Ubereinstimmung mit der Enzyklika, die in Zukunft bei der Behandlung dieses schwierigen Themas kaum mehr übersehen werden können.

Mitterers seltene Kenntnisse der thomasischen Lehre befähigten ihn, zu zeigen, daß der Begriff der Kirche beim Aquinaten noch kein eindeutig geklärter war. Er verstand unter Kirche, gewiß so wie wir heute, die römischkatholische Kirche, aber daneben kannte er auch einen imperialistischen und einen spiri-tualistischen Kirchenbegriff. Thomas vertrat die Zwei-Srhwerter-Theorie des Hochmittelalters, nach der die Kirche das Erbe des weströmischen Imperiums übernommen und deshalb unmittelbar politische Ansprüche zu stellen hatte. Sie hatte das Recht, in freier Verfügung mit dieser Machtfülle andere zu belehnen. Diese Auffassung hat bereits Leo XIII. in seiner Enzyklika: Immortale Dei aufgegeben. Thomas spricht aber auch von einem „mystischen Leib der Kirche“ und versteht darunter' die Gemeinschaft aller Gerechten, der heiligen Engel ebenso Wie der heiligen1 Menschen, des Neuen wie des Alten Testaments. Eine solche spirituelle Kirche muß aber eine unsichtbare Kirche sein und wird ..daher' von dem Lehrschreiben Pius' XII., das aus dem paulinischem Vergleich der Kirche mit einem Leib deren Sichtbarkeit ableitet, aus-, drücklich abgelehnt. Somit ergibt sich, daß' man unter dem Begriff: Kirche, wie er in dem Satz: Die Kirche ist der mystische Leib Christ gemeint ist, einzig und allein die römisch-katholische Kirche, verstehen kann, eine Lehre, von der jüngstens (Enzyklika „Humani generis“) der Papst sagte, sie „stütze sich auf die Quellen der Offenbarung“. So konnte Mitterer aufzeigen, daß es die päpstlichen Kundgebungen selbst sind, die beweisen, „daß die Bezeichnungen für die Begriffe, wie sie in der Schule und vom kirchlichen Lehramt benützt werden, verbessert und gefeilt werden können“ (Humani generis).'

Ebenso wie das Lehrschreiben: Mystici corporis behandelt Mitterer bei der näheren Besprechung der Definition: „Die Kirche ist der mystische Leib Christi“ in einzelnen Abschnitten, warum sie Leib genannt werden muß, warum sie der Leib Christi und warum sie der mystische Leib Christi heißt. Alis den Offen-barungsqüellen, Schrift und Uberlieferung, ergibt sich, daß die römisch-katholische Kirche eine übernatürliche Körperschaft darstellt, die wie jedes menschliche soziale Gebilde mit einem Leib verglichen werden kann. Da es aber von Christus gestiftet, erhalten und erlöst ist, muß es der Leib Christi genannt werden. Ja, Christus steht zu diesem Leib in dem Verhältnis eines Hauptes, da er zu ihm sowohl im Verhältnis des Vorranges und der Ähnlichkeit als auch der Fülle und des inneren Einflusses sowie der Regierung und der gegenseitigen Notwendigkeit steht. Der mystische, das heißt der übernatürliche Charakter ergäbe sich daraus, daß zwischen Christus und der Kirche eine Korrelation der Wesensattribute bestünde. So wie er Mittler, Erlöser, Retter und Heiland der Menschen ist, so ist auch die Kirche jenes übernatürliche Sozialgebilde, durch das die Erlösung der Menschen weitervermittelt und fortgesetzt und ihnen ihre Rettung und ihr ewiges Heil zugewandt wird. So wie Christus der höchste von Gott bestellte Lehrer, Lenker und Priester der Menschen ist, so ist auch die Kirche höchste Lehrerin, Lenkerin und Priesterin in allen religiösen Belangen. Und so wie er der gnadenvollste Mensch war, so Ist sie die gnadenvollste menschliche Körperschaft und in dieser Hinsicht seine Erfüllung oder Pleroma, wie der paulmische Ausdruck lautet. Ist er das gottgesalbte Haupt, so ist sie der von ihm gesalbte Leib (Aug. Enn. in psal. 103). Alle diese Bestimmungen der Kirche sind gleichsam die Komponenten, aus denen sich als Resultante die gleichfalls aus der Offenbarung uns bekannte Bezeichnung ergibt: sie sei der mystische Leib Christi. Mitterer hat mit diesen mit aller logischer Akribie erstellten Darlegungen zweifellos den bisher besten Kommentar der Enzyklika: Mystici corporis geschaffen.

Er geht endlich in seinen Überlegungen bezüglich der Lehre, die Zugehörigkeit zur katholischen Kirche sei notwendig, das ewige Heil zu erlangen, in wahrhaft konstruktiver Weise daran, zu-einer befriedigenden Lösung zu gelangen, ohne, wie „Humani generis“ warnt, diese Lehre zu einer bloßen Formel zu machen. Mitterer unterscheidet eine E i n glie-derung in den Leib Christi und eine A n glie-derung. Zur Eingliederung, also zur sichtbaren Mitgliedschaft, ist ein doppeltes erforderlich: die Taufe und das römisch-katholische Glaubensbekenntnis. Nach _ diesem Begriff der Kirche gehören ihr auch, wie die Enzyklika ausdrücklich lehrt, die Sünder an, die nicht tote, sondern nur kranke Glieder am mystischen Leibe sind. Eine Angliederung kommt bereits durch eines dieser beiden Elemente zustande: durch die Taufe (wie bei den Schismatikern, Häretikern und Apostaten) oder durch ein Bekenntnis, wobei Bekenntnis auch in einem sehr weiten Sinn genommen werden dürfe, angefangen von dem rechtgläubigen Bekenntnis eines Katechumenen bis zu dem eines gutgläubigen Heiden, der durch sein gesamtes totalmenschliches Gehaben zum Ausdruck bringt, daß er nichts anderes will; als was ihm sein Gewissen zu tun und zu lassen vorschreibt. Sowohl durch die Taufe ohne das rechtgläubige Bekenntnis als auch durch ein

Bekenntnis ohne die Taufe ist etwas Sichtbares gegeben, das, zwar in sich unvollendet, doch auf seine letzte Vollendung, die Eingliederung in den sichtbaren Leib Christi, die römisch-katholische Kirche, hinweist. Auch die Angliederung ist daher eine sichtbare Beziehung zur sichtbaren Kirche. Die sichtbare Eingliederung in die katholische Kirche bleibt allein der allgemeingültige und sichere Weg der Menschheit zu ihrem Heil und ihrer Seligkeit. Die sichtbare Angliederung vermag — so könnte man sagen — „unter bestimmten Bedingungen wesentlich die gleiche unsichtbare Wirkung haben wie die sichtbare Eingliederung, nämlich die Wirkung der Aufnahme der Menschen in die Gnaden- und Gloriengemeinschaft“ (Mitterer, S. 254). Auf Grund dieser Voraussetzungen erkennt Mitterer in dem Ausdruck: Una, Sancta die Angegliederten und die Eingegliederten der römisch-katholischen Kirche, während er mit dem Begriff der römisch-katholischen Kirche nur die Eingegliederten bezeichnet.

Sosehr es aus den Ausführungen Mitterers hervorgeht, daß dieser von ihm dargelegte Kirchenbegriff dem Pauli entspricht, da Paulus mit seinem Vergleich nur die eine damalige, sichtbare Kirche mit Petrus als Haupt, vor sich hatte, und sosehr es ferner einsichtig wird, wie der verheißene Geist Gottes auch über die römisch-katholische Kirche hinaus, aber doch wieder nur auf diese hin wirksam ist, und zwar in durchaus sichtbarer Weise, gerade diese Bezüge zum Wort der Bibel wünschte man sidi an diesen und an anderen Stellen des Werkes deutlicher. Das aber aufzuzeigen, lag nicht mehr in der Intention des Verfassers. Ihm war es vor allem daran gelegen, in klarer und solider Weise die Lehrentwicklung in bezug auf die Kirche von Thomas bis Pius XII. darzutun. Und darin wird er unwidersprochen bleiben.

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