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Martin Seel, Philosophieprofessor aus Frankfurt, über den „Zauber des Schönen“, die Beziehung zwischen Schönem, Gutem und Wahrem, mögliche Missverständnisse den Begriff des Schönen betreffend, über die Ästhetisierung und Inszenierung in Politik und Medien sowie den grassierenden Schönheits- und Jugendwahn. Das Gespräch führte Rudolf Mitlöhner

Klug abwägend, differenzierend antwortet Martin Seel auf alle Fragen. Heftig reagiert er erst, als das Gespräch auf Schönheitswahn und Körperfetischismus kommt: Das hält er schlicht für „eine echte Plage der Menschheit“.

Die Furche: Herr Professor Seel, was macht denn für Sie den Zauber des Schönen aus?

Martin Seel: Die Grundbedeutung des Wortes schön ist, dass etwas in sich gut ist. Das kann man schon bei einem guten Argument oder einer eleganten Mathematik-Formel sagen. Die engere Bedeutung meint, dass etwas in seinem Erscheinen gut ist. Dass es den Sinnen, nicht nur dem Auge, sondern allen Sinnen, eine Gegenwärtigkeit verleiht, die wir an den Phänomenen, die wir nicht als schön empfinden, so nicht wahrnehmen können.

Die Furche: Der Untertitel des Philosophicums lautet „Reiz, Begehren und Zerstörung“. Ist die Zerstörung, das Destruktive, die Kehrseite des Schönen, gibt es da einen inneren Zusammenhang?

Seel: Das Schöne kann ja gerade darin bestehen, dass Vorstellungen, Erwartungen, auch Normen zerstört, unterwandert, verändert werden. Es kann aber auch sein, dass etwas, das als schön erscheint, eine zerstörerische Macht über die Menschen hat. Denken Sie an Naturkatastrophen, auch der Atompilz ist hier zu nennen, der bei allem Grauen, das sich mit ihm verbindet, als Erscheinung ja durchaus eine Faszination auslöst. Diese Ambivalenzen spielen in den unterschiedlichen Bereichen des Schönen durchaus eine Rolle. Insofern ist das Schöne nie nur das Harmonische, Besänftigende und Tröstende, sondern es kann auch Gewalten enthalten, die unser Selbstverständnis irritieren, auch bedrohen und gelegentlich sogar zerstören.

Die Furche: Lange Zeit galt die Trias von „schön – gut – wahr“ als leitendes Prinzip in der Wahrnehmung der Wirklichkeit. Ist das endgültig obsolet oder lässt sich vielleicht eine Renaissance dieser Trias und der damit verbundenen Werte beobachten?

Seel: Endgültig obsolet ist das ganz sicher nicht, wenn es stimmt, dass das, was wir als schön erfahren, etwas ist, das in sich gut ist. Es gibt eine enge Verbindung des Schönen mit dem ethisch – nicht unbedingt mit dem moralisch – Guten: Das Schöne ruft uns zur Besinnung auf das, was im Leben wirklich um seiner selbst willen lohnend ist. Insofern hat es in allen menschlichen Kulturen eine zentrale Bedeutung, auch im Hinblick darauf, wie individuelle und kollektive Lebensgestaltung gelingen kann.

Die Furche: Und das Wahre, als dritter Begriff, wie verhält sich der zum Schönen?

Seel: Da ist die Verbindung etwas lockerer. Es gibt viele Formen des Schönen, die mit dem Wahren im engeren Sinne nichts zu tun haben. Das Schöne in der Natur ist berauschend, ohne dass da eine Wahrheit vermittelt werden würde. Wenn wir indes über Kunst sprechen, dann ist es schon so, dass die Kunst uns auch Einsichten in unsere Stellung in der natürlichen und politischen oder sozialen Welt vermittelt. Insofern gibt es auch eine mögliche intensive Verbindung von Schönheit und Wahrheit. Diese feste Einheit von Wahrem, Gutem und Schönem lässt sich aber, denke ich, für die heutige Zeit nicht mehr behaupten.

Die Furche: Das Schöne ist ja vielfach in Verruf geraten. Wir haben den Begriff des schönen Scheins, auch das Wort von der Ästhetisierung ist tendenziell negativ konnotiert, im Sinne einer Wahrnehmung der Dinge, die an der Oberfläche bleibt …

Seel: Das Schöne kann bloß ein schöner Sein sein, es kann instrumentalisiert werden, um Illusionen zu erzeugen, um Dinge attraktiv zu machen, auch gerade auf dem Markt, die es gar nicht sind. Daher ist es wichtig, das Schöne gegen den bloßen Schein des Schönen zu verteidigen. Andererseits stellt sich heute mehr und mehr heraus, dass die Austreibung des Begriffs des Schönen aus der Kunsttheorie eine Illusion ist. Viele Werke der modernen Kunst, die uns zu ihrer Entstehungszeit nicht schön zu sein schienen, empfinden wir heute als Exemplare eines vielleicht irritierenden, verstörenden, aber auch sehr bereichernden Schönen. Insofern bleibt der Begriff des Schönen auch in unserer heutigen Kultur, selbst in unserer heutigen Kunst, der Grundbegriff der ästhetischen Erfahrung.

Die Furche: Den Vorwurf der Ästhetisierung gibt es auch im Hinblick auf Politik und Medien: Es zählt nur mehr das Äußere, die „Verpackung“, heißt es, die Inhalte gehen zunehmend verloren …

Seel: Nun, die Tendenz ist schon da, die Inszenierung hat in der Politik an Gewicht gewonnen, was der Auseinandersetzung um politische Inhalte durchaus abträglich sein kann. Aber gleichzeitig muss man wissen, dass eine Demokratie nicht ohne Inszenierung auskommt. Die Inhalte müssen – und das war in gewisser Weise immer schon so – der Öffentlichkeit dargeboten werden. Insofern bedarf es eines kritischen Bewusstseins, welche Inszenierungen es sind, die politische Inhalte in der Öffentlichkeit vermitteln. Wir dürfen nicht das Inszenieren verwerfen, sondern müssen darauf achten, welche Art der öffentlichen Darbietung eine wirkliche politische Auseinandersetzung ist.

Die Furche: Wo wird es Ihrer Ansicht nach problematisch?

Seel: Problematisch wird es da, wo die politischen Akteure darauf verzichten, Klartext zu reden. Wenn sie, wie wir das etwa im deutschen Wahlkampf erlebt haben, keine Programme präsentieren, sondern nur nur noch als Werbefläche im Fernsehen erscheinen, dann halte ich das für eine echte Gefährdung der demokratischen Verhältnisse.

Die Furche: Eine ganz andere Facette unseres Themas ist das, was unter dem Thema Schönheitswahn verhandelt wird: der Hang zum perfekten Körper, zur ewigen Jugend …

Seel: Hier, würde ich sagen, handelt es sich um eine echte Plage der Menschheit. Der Glaube, dass man bestimmten standardisierten Formen entsprechend schön sein müsse, und dass man mittels chirurgischer Eingriffe und bald wahrscheinlich auch gentechnischer Manipulation die eigene Schönheit oder die seiner Kinder optimieren müsse, das ist schlicht ein Wahn. Hier wird ein ganz verengter, bloß schematischer Schönheitsbegriff zugrunde gelegt. Vergessen wird dabei, dass die Schönheit oder die Attraktivität einer Person ja gar nicht an ihrer äußerlichen Gestalt hängt, dass man beispielsweise auch in Schönheit altern kann. Wie man spricht, wie man sich gibt, wie offen und frei man sich bewegt – das sind ja alles Facetten der Schönheit, die chirurgisch überhaupt nicht berührt werden können.

Die Furche: Woher kommt denn das, sind das Bilder, die in den Medien erzeugt werden und sich in den Köpfen festsetzen? Ist es nur eine Frage der technischen Möglichkeiten, dass heute Dinge möglich sind, die vor einigen Jahrzehnten noch undenkbar waren?

Seel: Sicher auch das. Vieles wird einfach vollzogen, nur weil es eben möglich ist und weil der Einzelne und die Gesellschaft nicht darüber nachdenken. Aber ich glaube, das Phänomen hat auch eine soziale Komponente: Um in unserer Konkurrenzgesellschaft bestehen zu können, meint man, sich möglichst schön, fit, gesund präsentieren zu müssen. Dahinter steckt auch eine harte ökonomische Realität. Hier greifen ein falsches Phantasma von menschlicher Schönheit und der ökonomische Zwang des Bestehen-Müssens in der modernen Welt auf ungute Weise ineinander.

Die Furche: Ein Kollateralschaden des Kapitalismus sozusagen …

Seel: … des Kapitalismus und auch dieser technischen Phantasie von (Selbst-)Optimierung. Die ist ja älter als der Kapitalismus. Es fehlt die Gelassenheit, sein – auch leibliches – Gewordensein, die Kontingenz zu akzeptieren. Ein gutes Leben besteht auch darin, dass man fähig ist, sich und einen Teil der Welt – nicht alles – zu lassen, wie es ist.

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