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Erfahrung des Daseins

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Es ist längst kein Geheimnis, wie mißlich es heute ist, vom Schönen zu reden.

Wir scheinen auf unsere Art mit diesem Phänomen fertig geworden zu sein, indem wir uns seine Deutung durch die Ästhetik zu eigen gemacht haben und kaum mehr deren Fragwürdigkeit verspüren. Das Schöne gilt weithin als das Reizvolle, Gefällige, Geschmackvolle, als das, was uns einen „geistigen Genuß“ bereitet oder einen Rausch der Sinne bewirkt. Es wird ihm die Funktion zugewiesen, die im Grunde als sinnlos und absurd erachtete Welt (woher weiß man das eigentlich?) erträglich zu machen, und wenn es hoch kommt, wird das Schöne als der Luxus zugelassen, den wir uns gerade (noch) leisten können. Die Kunst, die es irgendwie mit dem Schönen zu tun hat, wird demgemäß als Ersatzbefriedigung gefaßt.

Als Reaktion auf die Verharmlosung und Verniedlichung des Schönen zum Bestandteil des Wohlbefindens werden die „nicht mehr schönen Künste“ propagiert. Wir täten aber gut daran, uns nicht sofort über diese Reaktion bloß zu entrüsten, sondern sollten versuchen, ihrem Wink zu folgen, der gewissermaßen per negationem auf das Wesen der Schönheit verweisen könnte, das sich uns in jeder - und sei es noch so unscheinbaren — Erfahrung zu verstehen gibt.

Wir können dabei ruhig von dem ausgehen, woran für uns für gewöhnlich Schönheit aufgeht: an den unerwarteten Sonnentagen des Herbstes zum Beispiel, oder an dem Blühen der Blumen, an einem Musikstück, an dem Spiel der Kinder, dem Blick der Liebenden. Wenn wir von all dem sagen, es ist schön, dann meinen wir, daß das Erfahrene selbst in sich schön ist, nicht aber beziehen wir uns auf unsere subjektiven Zuständlich- keiten. Es ist keineswegs so, daß wir etwas schön machen.

Wo wir von Schönem betroffen sind, tragen wir nicht irgendwelche Vorstellungen an etwas heran, noch verklären wir fälschlicherweise das Wahrgenommene und flüchten uns in eine Welt des „schönen Scheins“. Wo sich uns etwas in seiner Schönheit auftut, werden wir nicht von der Wirklichkeit weggeführt, vielmehr kommen wir mit ihr in den denkbar innigsten Kontakt.

Wir sind vom Schönen betroffen, wo etwas auf eine besondere und qualifizierte, ja unvergleichliche Weise sich zeigt und anwesend wird. Auf dieses qualifizierte Sich-Zeigen bezieht sich die Rede vom Glanz, von der Helle, Klarheit und Pracht des Schönen. Schönheit meint nicht den trügerischen Anschein, sondern eben jenes Erscheinen des Wirklichen, die unmittelbare Gegenwart seiner Sinnfülle und des Reichtums seines inneren Ranges, der allemal uns vorgegeben ist - und sich im Falle des Menschen als dessen unantastbare Würde manifestiert.

Wer in der Schönheit die Erfüllung eines Bedürfnisses zu finden glaubt, verkennt sie. Denn in ihr wird eine Sinnfülle in einer Weise gegenwärtig, die die leiblich-personale Ganzheit unseres Daseins, die Einheitsmitte all unserer Kräfte und Fähigkeiten, die uns Wirklichkeit erschließen — unser Herz - in Anspruch nimmt.

Das Schöne verlangt von uns eine Empfänglichkeit, die bereits verfehlt ist, wird sie ästhetisch gedeutet und auf die sinnliche Wahrnehmung eingeschränkt, und die auch nichts zu tun hat mit der Konsumhaltung, die sich an das leicht Gefällige und billig zu Habende hält — weil ihr die Schönheit des Schönen zu groß ist. Wo diese Empfänglichkeit nicht gelebt wird, verkommt das Schöne zum Mittel des Selbstgenusses.

Schönheit kennt jedoch kein Um-zu, sie weist jede Instrumentalisierung ab, ist sie doch die Manifestation zweckenthobener Sinnfülle der Wirklichkeit. Wie das Schöne bereits durch sein Dasein in sich selbst gerechtfertigt ist, so teilt es sich absichtslos mit und schenkt sich im Reichtum seiner Ursprünglichkeit. Alles Schöne ist uns geschenkt, wie umgekehrt jedes Geschenk schön ist: Wir erfahren den erleuchtenden Einfall, die Gunst der Stunde, das geglückte Gespräch, das gelungene Werk als geschenkt. Und schließlich ist ein Kind schön, weil es seinen Eltern geschenkt ist - denn diese können sich nicht als der letzte Grund der Ursprünglichkeit begreifen, die ihnen in ihrem Kind beglückend zur erfahrbaren Gegenwart wird.

Schön ist etwas in dem Maße, in dem ihm die Möglichkeit geschenkt ist, Sinn zu eröffnen. Es ist das Geschenk dieser Ursprünglichkeit, die uns die Schönheit als Erfüllung sowie andererseits als Verheißung von Sinnmöglichkeiten erfahren läßt. Schönheit er öffnet so gesehen Zukunft. Deshalb ist ja die Liebe schön. Denn sie erfüllt sich in der Freigabe des anderen zu dessen Freiheit und Selbständigkeit. Sie läßt den anderen wahrhaft sein.

Spätestens hier wird das Ungenügen der Ästhetisierung des Schönen und die damit einhergehende Suche nach gegenständlich feststellbaren Erkennungsmerkmalen — Kriterien — des Schönen deutlich. Liebende wissen ohnehin um dieses Ungenügen. Denn liebende Augen können die Schönheit eines zum Beispiel ästhetisch gesehen unproportionierten Gesichtes — freilich in der gemeinsamen Lebensgeschichte und als diese — sehr wohl sehen.

Es ist zweifellos beglückend, Schönem begegnen zu können.

‘Aber das Entscheidende daran scheint doch folgendes zu sein. Wo immer wir mit Schönem eine Erfahrung machen, enthüllt sich uns in analoger Abwandlung eines: Wir sind jedesmal beglückt und bestürzt darüber, daß diese Erfahrung überhaupt möglich ist. Jedesmal sagen wir: es ist herrlich, daß es dergleichen gibt, es ist wunderbar, daß wir an solchem ‘ teilhaben dürfen. Wir heißen mit dem Schönen auch unser eigenes Dasein gut.

Geht uns nicht in solcher Erfahrung der Geschenkcharakter alles Seins auf, ja ist diese Erfahrung nicht die ursprüngliche Enthüllung dessen, was Sein im Grunde besagt? Dasein dürfen, sich der Gabe des Daseins verdanken, mit dem Dasein beschenkt sein — wovon könnte diese Einsicht noch übertroffen werden?

Der Autor ist Professor für Philosophie an der Universität Wien. Der hier abgedruckte Beitrag ist die gekürzte Fassung seines Referates beim Symposion „Theologie und Ästhetik“ der Wiener Katholischen Akademie im Jänner dieses Jahres.

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