Illich - ©  Getty Images / Mondadori / Giorgio Lotti

Ivan Illich: Radikale Kritik der Moderne

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Vor 20 Jahren, am 2. Dezember 2002, ist Ivan Illich in Bremen gestorben. Ein Anlass, an diesen herausragenden Denker, Kritiker des Fortschrittsglaubens und katholischen Priester zu erinnern.

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Vor 20 Jahren, am 2. Dezember 2002, ist Ivan Illich in Bremen gestorben. Ein Anlass, an diesen herausragenden Denker, Kritiker des Fortschrittsglaubens und katholischen Priester zu erinnern.

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Pier Paolo Pasolini schrieb Anfang der 1970er Jahre in seinen fiktiven „Briefen an Gennariello“, dieser solle zumindest die ersten Seiten von Ivan Illichs Buch „Tools for Conviviality“ lesen. Das war in einer Zeit, in der die Schriften und öffentlichen Auftritte Ivan Illichs die intellektuelle Welt in Aufregung versetzten. Einige Jahrzehnte später schreibt nun Giorgio Agamben in seinem Vorwort zu dem von Fabio Milana vor Kurzem herausgegebenen ersten Band der gesammelten Werke Ivan Illichs: „Wir sind in der Tat überzeugt, dass für das Werk Illichs erst heute das ‚Jetzt der Lesbarkeit‘, wie es Walter Benjamin genannt hat, gekommen sei.“

Das vielschichtige und alle engen Fachgrenzen sprengende Werk Illichs lässt sich nicht in einem kurzen Beitrag würdigen. Deshalb soll hier diesem „Jetzt der Lesbarkeit“ nur entlang einer Linie nachgespürt werden: ausgehend von seiner frühen Kritik der Technik und der Werkzeuge Anfang der 1970er Jahre über seine Überlegungen zum Zeitalter der Systeme hin zur Frage nach einer heute möglichen Form der Askese als Voraussetzung für Freundschaft, philia.

Die „Werkzeuge“ begrenzen

„Entschulung der Gesellschaft“, „Selbstbegrenzung“, „Nemesis der Medizin“ und „Energie und Gerechtigkeit“: Dies sind die Titel der Bücher, die Illich in den 1970er Jahren weltweite Aufmerksamkeit bescherten. Es waren intellektuelle Provokationen, wobei es Illich vor allem um eine zentrale Einsicht ging: die Notwendigkeit der politischen Begrenzung der „Werkzeuge“. Illich fasst den Begriff „Werkzeug“ sehr weit: Werkzeuge sind für ihn alle vom Menschen geplanten und projektierten Mittel, die zu einem bestimmten Zweck eingesetzt werden, also technische Gerätschaften und Anlagen ebenso wie Organisationen oder Dienstleistungsinstitutionen. Das unverhältnismäßige industrielle Wachstum der „Werkzeuge“ und die darum organisierte Gesellschaft zerstören letztendlich die Möglichkeiten selbstbestimmten Handelns und Lebens.

Illich ist kein Maschinenstürmer. Institutionen und Werkzeuge sind einer konvivialen Gesellschaft durchaus dienlich, allerdings nur, wenn sie einer Wachstumsbeschränkung unterliegen. Die Bestimmung solcher Schwellen und Grenzen istfür Illich eine politische Notwendigkeit. Technik ist nicht neutral zu denken. Ab einer bestimmten Schwelle und Intensität werden die Werkzeuge „vom Diener zum Despoten“, so Illich in der Einleitung von Selbstbegrenzung.

Im Rahmen der UNO-Konferenz über Technik und Entwicklung in Wien im August 1979 warnte Illich hellsichtig davor, in der Entwicklung „sanfter“ Technologien oder im Übergang zu erneuerbaren Energien das Heil zu sehen. Mit „grüner“ Technik oder „ökologischem Management“ allein ist es nicht getan. Damit kann weiterhin unbeschränktes Wachstum gefördert werden, wenn im Hintergrund das Menschenbild des homo oeconomicus entscheidend bleibt. Eine lebensfreundliche oder konviviale Gesellschaft ist für Illich nicht ohne Anerkennung von Grenzen und einer „freudigen Genügsamkeit“ zu haben.

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