6761067-1968_16_05.jpg
Digital In Arbeit

Medizin und Theologie

Werbung
Werbung
Werbung

Die Medizin folgte seit sie naturwissenschaftlichen Charakter angenommen hatte, einer immanenten Ethik, einer biologistischen und naturalistischen Weltanschauung.

Mittlerweile hat sich aber ein Wandel bemerkbar gemacht. Schon im ersten Viertel dieses Jahrhunderts wurden religiös-wissenschaftliche Ärztetagungen abgehalten, seit 1945 verzeichnen manche dieser Veranstaltungen heute bereits eine zwanzigjährige Kontinuität. Katholische und evangelische Akademien, ebenfalls oft schon seit 1945 existierend, haben Themen des Grenzgebietes von Theologie und Medizin behandelt. Neben diesen und allen voran sind die mehr als 40 Ansprachen Pius’ XII. zu nennen, die er seit 1944 an Ärzte gehalten hat. Diese wurden als Teilnehmer verschiedener Kongresse, deren Generalthema meist rein medizinischer Natur war, ohne ausdrückliche ethische Akzentuierung vom Papst empfangen. Mögen auch Repräsentation und Neugier als uneigentliche Motive dieser Empfänge bei den Ärzten überwogen haben, Pius XII. sprach als Seelsorger wegweisende Worte zu einzelnen Problemen und ging oftmals auf eine besondere Fragestellung der Kongresse ein. Demzufolge entstand ein Kodex ärztlicher Pflichtenlehre (Deontologie).

Zu diesen Tagungen und Vortragsreihen „zwischen den Fakultäten” kommt nun ein höchst bemerkenswertes Phänomen, nämlich die Vortragstätigkeit von Theologen auf „neutralen” Ärztekongressen. Daß der „Mediziner kein Christ sei”, gilt heute weniger als zu den Zeiten Laennecs, über den sich schon Pius VII. verwunderte: medicus pius res miranda. Freilich, niemand darf annehmen, daß die Ärzte Europas geschlossen konvertiert seien. Aber es läßt sich nicht leugnen, daß seit vielen Jahren Theologen eingeladen und gehört werden, zu allgemeinen Fragen ärztlicher Tätigkeit, zu spezialisierten Problemen, die moralisch relevant sind.

In zunehmenc em Maße sprechen auf weltanschaulich neutralen Kongressen Theologen zum Tagungsthema; zu gemeinsam interessierenden Fragen, die aber als solche erst seit neuerem anerkannt werden. Aus der Fülle seien einige Beispiele genannt: Univ.-Prof. E. Gutwenger SJ.: Hören und Sprechen als personale Funktion (österr. Oto-Laryn- gologenkongreß, Innsbruck 1962); Prof. Alfons Auer (Würzburg- Tübingen) und Prof. A. Köberle (Würzburg) sprachen 1964 auf einem Kongreß über Geburtenregelung, Familienplanung und Empfängnisverhütung, in Freudenstadt am 27. Kongreß für Naturheilverfahren; Prof. Dr. O. von Oppen erörterte 1964 in einer Veranstaltung der Universität Marburg ethische und moralische Fragen des Arzneimittel- mißbrauches; Prof. H. Fleckenstein über „Sinn und Berechtigung der, ästhetischen Medizin”; Prof. Doktor J. Böckle referierte am Gynäkologenkongreß in Gastein (1967) über die Beseelung des menschlichen Fötus; und vor nicht allzu langer Zeit sprach Univ.-Prof. Dr. K. Hörmann (Wien) an einer Schulärztefortbildungstagung über das Thema: „Die Problematik der Sexualaufklärung aus der Sicht des Moraltheologen.”

Der untrennbare Mensch

Die wenigen Beispiele mögen genügen, wie sehr dieses Phänomen an Kraft gewonnen hat. Die Zeiten, da man Angehörige der eigenen Fakultät spöttisch Lateiner nannte, wie es Josef Hyrtl nach seiner Rektoratsrede 1865 widerfuhr, sind vergangen. Die medizinische und theologische Fakultät hören aufeinander. Ohne die affektive Abneigung des 19. Jahrhunderts und der Anfänge des 20. Jahrhunderts wierden gemeinsame Probleme auch gemeinsam erörtert; schon die Anerkennung der Gemeinsamkeit einzelner Fragen — hier wurde das Totalitätsprinzip für den Menschen wirksam — ist ein wissenschaftlicher Fortschritt, ein Sohriitt zur unteilbaren Wahrheit übe den Menschen, über den kranken Menschen. Der Mlensch wird nicht mehr zerteilt in eine nur biologisch relevante Dimension und in eine geistig-geistliche Sphäre. Vom Phänomen des unteilbaren Menschen aus, der ja das vornehmste Material- und Formalobjekt der Universität ist, werden auch die Fakultäten wieder enger aneinander gebunden. Selbst im Zeitalter der Spezialisierung.

Der Mensch als untrennbares Natur- und Geistwesen fordert die gemeinsame Sicht der Medizin und Theologie.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung