Religion an der Zeitenwende

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"Religiosität am Ende der Moderne" war Thema der 68. Salzburger Hochschulwochen, an denen 1.400 Interessierte aus Mittel- und Osteuropa teilnahmen.

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"Religiosität am Ende der Moderne" war Thema der 68. Salzburger Hochschulwochen, an denen 1.400 Interessierte aus Mittel- und Osteuropa teilnahmen.

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Religion verliert ihre gesellschaftliche Relevanz, wenn sie zur bloßen Privatsache wird. So die These des Freiburger Theologen Hansjürgen Verweyen: "Ein Glaube, für den der Rückzug in die Privatsphäre und den kirchlichen Binnenraum konstitutiv ist, hat sich der Möglichkeit beraubt, ein kritisches Ferment der Gesellschaft zu sein." "Offenbarungsglaube - trotz Vernunftkritik, geschichtlicher Relativität und religiösem Pluralismus" war das Thema der dreiteiligen Vorlesung des Freiburger Theologen im Rahmen der Salzburger Hochschulwochen.

Eine Religion, so Verweyen, die nicht der öffentlichen Kritik unterliege - etwa durch die Einbeziehung theologischer Fakultäten in den harten Diskurs staatlicher Universitäten -, verliere mit der Zeit die Fähigkeit, das "Wesen ihres eigenen Lebens, ihrer Symbole, Riten und Feste zu erfassen".

Die Bindung an lange Tradition mache das Wesen einer Religion aus. Aber auch in der Tradition sei das religiöse Erbe nicht einfach bewahrt worden, sondern hätte sich in der kritischen Auseinandersetzung zwischen Glaube und Vernunft bewähren müssen.

Türkei nicht in die EU Über die Grenzen der Religionen blickte der Erlanger Islamwissenschaftler Hartmut Bobzin. Bobzin hält Befürchtungen für übertrieben, daß Europa von einer "Islamisierungswelle" überrollt werden könne. Wohl aber meinte er, daß auf lange Sicht dem Islam ähnliche Rechte wie dem Christentum eingeräumt werden müssten. Je besser Integration gelänge, desto bessere Aussichten gebe es, daß der Islam europäische Formen annehmen und einen "lokalen Charakter" bekommen könne.

Ein "Reformislam" bestünde bis jetzt noch nicht, meinte Bobzin, er hoffe aber auf die Emigranten der zweiten und dritten Generation. Zur Frage des EU-Beitrittes der Türkei meinte der Islamist, solange sich die EU als Wertegemeinschaft verstünde, die auf der Idee des christlichen Abendlandes basiere, müsse man Bedenken haben, die Türkei aufzunehmen. Verstehe sie sich aber als bloße Wirtschaftsgemeinschaft, gebe es kein Argument gegen eine Mitgliedschaft der Türkei.

Der Ausblick auf trans-religiöse und gesellschaftspolitische Aspekte sowie auf andere Religionen verlieh den Hochschulwochen auch heuer jene Offenheit für den Dialog, die ihren Reiz und ihre Strahlkraft bis Polen, Litauen, Lettland und - heuer erstmals bis Rumänien ausmacht. Dazu kommen Blicke über Theologie, Philosophie oder Humanwissenschaften hinaus, wie sie in diesem Jahr etwa die Vorträge des emeritierten Rektors der Universität Mozarteum, Wolfgang Roscher, ermöglichten: Roschers Improvisationsmodelle etwa zur Apokalypse überschreiten die Grenze zwischen Religion, Mystik und Kunst.

Ganz lebenspraktisch und empirisch ausgerichtet war dagegen die Vortragsreihe des Grazer Psychologieprofessors Helmuth P. Huber. Der Einfluß religiösen Verhaltens auf die Gesundheit war einer der Aspekte seines Vortrags. Aus den Ergebnissen neuerer Untersuchungen ginge, so Huber, hervor, daß Religiosität Angst mildern, depressive Verstimmungen aufhellen, das Selbstwertgefühl stärken und die psychosoziale Anpassungsfähigkeit verbessern könne.

Huber zitierte eine finnische Studie an psychiatrischen Patienten, laut der Frauen, die regelmäßig an religiösen Veranstaltungen teilgenommen hätten, weniger depressiv gewesen seien, als Mitglieder einer Vergleichsgruppe. Der Psychologe sprach von einer "protektiven Funktion der öffentlich gezeigten Religiosität", die sich auch in drei groß angelegten Untersuchungen an älteren Menschen in den USA nachweisen habe lassen: Faktoren wie Religionszugehörigkeit, Kirchgang und andere Formen aktiver Teilnahme am kirchlichen Leben wirken sich positiv auf die Selbsteinschätzung des Gesundheitszustandes und damit auf das psychische Wohlbefinden aus.

Empirisch ebenfalls nachgewiesen seien, so Huber, der mäßigende Einfluß der Religiosität auf gesundheitsgefährdende Verhaltensweisen. In einer Untersuchung an 5.000 amerikanischen Jugendlichen sei herausgefunden worden, daß religiöse Jugendliche im Vergleich zu ihren nicht-religiösen Altersgenossen weniger gewalttätig sein, Alkohol am Steuer mieden und gesundheitsbewußter lebten.

Aufgrund solcher Befunde fragte Huber "nach den psychologischen Mechanismen, die der adaptiven Funktion der Religiosität" zugrunde lägen. Eine mögliche Erklärung könne das Konzept der "Einstellungen" bieten: Als Einstellung und Orientierung stelle Religiosität die Verinnerlichung bestimmter Werte und Normen dar, die "zweifelsohne nicht nur den Erlebnisablauf steuern, sondern darüber hinaus auch eine verhaltensregulierende Wirkung ausüben".

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