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Stadtentwicklung im Zeitalter von Virtualisierung und Globalisierung.

Das Internet ist erst ein bescheidener Anfang der totalen Vernetzung. Das Verhältnis zwischen Mensch und Maschine ist noch sehr entwicklungsfähig. Die Computer von morgen werden nicht mehr nur auf Knopfdruck, sondern auf Gestik und Dialoge reagieren, übermorgen werden sie auch Mimik, Emotionen und Gehirnströme verstehen und übertragen können. Sie werden auch immer näher an den Körper des Menschen heranrücken. Die Fähigkeit der Datenübertragung wird zu einer wesentlichen Eigenschaft der Kleidung werden.

Der französische Theoretiker Paul Virilio hat angesichts dieser Szenarien vom Verlust des Raumes gesprochen: Orte und räumliche Entfernungen werden keine Bedeutungen mehr haben, was zählt ist nur noch die Zeit. Persönliche Kontakte werden für die Arbeit, aber auch für das Privatleben immer weniger Bedeutung haben. Cybersex ist nur ein Ausdruck dessen, dass es nicht mehr auf die physische Anwesenheit an einem Ort ankommt, dass vernetzte Nomaden die "Face-to-face"-Gesellschaft ablösen. Wenn das zutrifft, gehen auch die Vorteile der großen Städte verloren. Radikale Szenarios sprechen sogar davon, dass etwa fünf Jahrhunderte Stadtentwicklung an ihr Ende gekommen sein könnten.

Außer Kontrolle

Die vernetzte Kommunikation ist eine wesentliche Voraussetzung für die Globalisierung, und sie hat noch mehr Einfluss auf die Rolle und Entwicklung der Städte. Mehr Verflechtung bringt mehr Mobilität, aber paradoxerweise auch mehr Ungleichheit. Sie hat sowohl im Weltmaßstab zugenommen (die Reichen werden reicher, die Armen ärmer) wie auch innerhalb der entwickelten Länder. Spürbar wird diese wachsende Ungleichheit vor allem in den Städten. Dort existieren nicht nur immer mehr verschiedene Kulturen und Lebensstile nebeneinander, auch die Einkommensschere zwischen den Gewinnern und den Verlierern der neuen Entwicklungen geht dramatisch auseinander. Die Möglichkeiten, politisch gegenzusteuern, sind deutlich geringer geworden, was auch mit dem Verlust von Handlungsspielräumen der Nationalstaaten zusammenhängt. Der Sozialstaat, der soziale Sicherheit vermitteln konnte, gerät in die Krise. Flexibilität und Mobilität werden gefordert, aber nur eine hochqualifizierte Elite ist dazu in der Lage. Das Gefühl von Unsicherheit und Kontrollverlust ("alles kommt ins Rutschen") lässt die Sicherheitsbedürfnisse hochschnellen. Und genau das gefährdet die urbane Integration, wie Hartmut Häußermann, der Spezialist für Stadt- und Regionalsoziologie an der Berliner Humboldt-Universität, bei den Alpbacher Architekturgesprächen feststellte.

Für die in Jahrhunderten gewachsene urbane Kultur sind nämlich zwei Eigenschaften charakteristisch, die schon der Soziologe Georg Simmel festgestellt hat: soziale Heterogenität und räumliche Dichte. Das bringt Belastungen mit sich und führt zu individuellem Rückzug und wechselseitiger Gleichgültigkeit zwischen den Stadtbewohnern, die aber gleichzeitig eine Bedingung individueller Freiheit ist. Schon Simmel hat darauf hingewiesen, dass dieses labile Gleichgewicht zwischen individuellem und sozialem Leben in den Städten nur dann funktioniert, wenn eigene Identität und materielle Existenz gesichert sind - nur dann kann man sich unabhängig von anderen definieren und sein eigenes Leben führen.

Genau dieses Integrationsmodell sieht Häußermann gegenwärtig in Gefahr. Materielle und ethnische Heterogenität nehmen in den Großstädten deutlich zu; aufgrund der Altersstruktur werden die Angehörigen kultureller und ethnischer Minderheiten auch dann weiter zunehmen, wenn kein einziger Ausländer mehr ins Land kommt. Generell findet in den Städten ein sozialer und ethnischer Entmischungsprozess statt: Die Erhöhung der Eigentumsquote oder die Renovierung des Altbaubestandes führt durch steigende Kosten zu einer Segregation nach Einkommen, Lebensstilen und ethnischer Zugehörigkeit. "Gerade vom sozialen Abstieg betroffene Einheimische, die eine Erosion ihrer materiellen Existenzsicherheit und damit verbunden eine Erschütterung ihrer Identität erleben, wohnen häufig in Quartieren, in denen die Zahl von Migrantenhaushalten zunimmt. Und die Krise der eigenen Identität ist die denkbar schlechteste Voraussetzung für die räumlich enge Koexistenz mit Fremden'", ist Häußermann überzeugt. Dass Schulen mit einem hohen Anteil an Migrantenkindern als Behinderung von Lernprozessen gesehen werden, fördert die Entmischungsprozesse ganz besonders.

Die Einmaligkeit des Ortes

In Alpbach ging es darum, welche Rolle Architektur und Architekten in diesen Prozessen einnehmen können und sollen, ob Architektur Träume und Visionen bauen soll oder ob es, wie die "Süddeutsche" unlängst forderte, mehr Mittelmaß braucht. Längst gibt es viele Beispiele globalisierter Architektur. Für Hotel- und Warenhausketten oder internationale Konzerne sind ihre Gebäude Markenzeichen, die dem Kontext verschiedener Städte und Länder allenfalls angepasst werden. Eine radikale Gegenposition dazu nimmt Raimund J. Abraham, der Architekt des Österreichischen Kulturinstituts in New York, ein. Ihm geht es um die "Lesbarkeit des Ortes", und Bauen ist für ihn immer ein "Verletzen des Ortes", der ja zu allererst nicht Bauplatz ist, sondern ein Ort mit magischer Vergangenheit und historischer Erinnerung.

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