Unangenehmer Augenblick

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Montagfrüh in Wien: In der U-Bahn ertönt fröhliche Musik, kurz darauf geht ein Bub durch die Reihen mit einem kleinen Plastikbecher. Seine braunen Augen blicken bittend. Auch beim geflüsterten "Danke" kommt kaum ein Lächeln. Später in der Station, als sich die Menschenflut über die Stufen hinabwälzt, kauert in der Ecke wiederum eine Frau mit einem Baby im Arm, die andere Hand hält sie bettelnd ausgestreckt. Ihr Äußeres lässt sie mich herkunftsmäßig im südöstlichen Europa einordnen.

Vom Pfarrhaus, in dem ich früher wohnte und arbeitete und wo bettelnde Frauen mit ihren Kindern keine Seltenheit waren, weiß ich, dass oft die Männer und Väter gleich um die Ecke stehen und den "Erfolg" kontrollieren.

Einmal mehr wünsche ich mir das kleine Kärtchen, das ich all diesen Menschen in die Hand drücken kann und das sie berechtigt, ein warmes Essen zu bekommen. Leider habe ich bisher noch keine staatliche oder kirchliche Einrichtung gefunden, die solche Gutscheine gegen Bezahlung abgibt …

Andererseits - das dahinterliegende Problem ist dadurch freilich auch nicht gelöst, ich selbst hätte mich damit bloß von meinem schlechten Gewissen freigekauft.

Kinderbettelei soll in Wien künftig mit hoher Strafe belegt werden. Anderswo ist ein solcher Schritt ebenfalls in Diskussion. Helfen wir damit tatsächlich diesen Kindern und ihren Familien? Oder wollen wir uns nur den unangenehmen Anblick ersparen?

Eine wirkliche Begegnung würde ja bedeuten: Ich nehme mir Zeit für dieses Kind, versuche, seine Geschichte zu erfahren und öffne ihm so die Tür zu meinem eigenen Leben. Das allerdings wäre viel mehr als ein paar Cent oder gar Euros.

Eines aber ist sicher: Kriminalisieren statt Helfen kann nicht der Weg sein.

Die Autorin ist Oberkirchenrätin der Evangelischen Kirche A.B.

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