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Zur lebensvollen Mitte

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Nach der Definition der Unfehlbarkeit des Romanus Pontifex wurden die restlichen Punkte des Kirchenschemas, die Behandlung des Bischofsamtes zurüekgestellt — nicht nur wegen der Unterbrechung des Konzils, sondern vielleicht auch deswegen, weil die Zeit für eine konziliare Behandlung dieser Fragen noch nicht reif war. Die Theologie des Primats war ein weiterer Grund, um konziliare Theorien gänzlich zu verdrängen.

Damit hatte der Pendelschlag der Konzilsidee nach der entgegengesetzten Seite von Konstanz die größte Amplitude erreicht. Zwischen Konstanz und Vatikanum I spannt sich die mögliche Weite der Vorstellungen über die Aufgaben eines Konzils.

Extreme Einseitigkeiten lösen aber immer Reaktionen aus. Das gilt sowohl vom extremen Konziliarismus in Konstanz, der in Basel scheiterte, wie von extremen Interpretationen des Vatikanums I, als ob das Summus Pontifex allein die Kirche sei. Extremismus bedeutet aber auch immer Verarmung.

Das Vatikanum II scheint mir wieder zur lebensvolleren Mitte der Konzilsidee zu tendieren und eine coincidentia oppositorum anzustreben, indem es beides, das Anliegen von Konstanz und das Anliegen von Vatikanum I, aufgreift und zu einem inneren Ausgleich zu bringen versucht. Ein solcher Ausgleich — so können wir heute sagen — ist vorbereitet worden durch die Erneuerung der Ekklesiologie, wie sie im 19. Jahrhundert nicht zuletzt in Tübingen durch Möhler begonnen wurde und im Mystici corporis Pius’ XII. einen Höhepunkt erreichte.

Das II. Vatikanum ist auf eine neue historische und theologische Situation gestoßen und dadurch leichter in der Lage, die Synthese von Konstanz und dem I. Vatikanum zu versuchen. Die Kirche des II. Vatikanums fühlt sich stark genug, um sich der Welt von heute aufzuschließen und ihr weder defensiv noch negativ, sondern positiv gegenüberzutreten. Im sicheren Besitz der Lehre des I. Vatikanums, wodurch das Einheitsprinzip der Kirche untermauert wurde, kann man heute — ohne konziliaristische oder episkopalistische Tendenzen fürchten zu müssen — den regionalen Bischofskonferenzen größere Selbständigkeit einräumen und eine gesunde wie notwendige Dezentralisation ins Auge fassen. Denn das II. Vatikanum hat bereits zu einer grandiosen Manifestation der kirchlichen Einheit und Präsenz der Universalkirche geführt, die nicht nur in der Uniformität, sondern auch im Pluralismus ihrer vielfältigen Formen beeindruckt.

Die Vorstellung, welche die Konzilsväter heute von ihrem Konzil haben, greift einerseits nach dem Anliegen von Konstanz, ausgedrückt im Decretum frequens. Denn es ist der Wunsch, den Konzilsväter heute oft aussprecheni daß ein Generalkonzil öfters, und nicht nur alle lQO Jahre statttinden soll. Ja, auch das richtige Anliegen des Konziliarismus von Konstanz wird heute wieder zur Geltung gebracht, ln der Diskussion über die Kollegialität der Bischöfe und in der Herausstellung der höchsten Autorität des mit dem Papst versammelten Konzils.

Auch ein anderer Aspekt des Konstanzer Konzils wird heute wieder interessant: Damals ist der Einfluß der Laien verhältnismäßig stark in Erscheinung getreten. Es waren ln Konstanz anwesend nicht nur Fürsten, sondern auch Abgesandte der Universitäten, Hunderte von doctores und Vertreter des italienischen Humanismus. Die Laien sind später immer mehr von den Konzilien ausgeschlosssen worden. Heute treten sie auf dem II. Vatikanum wieder in Erscheinung, wenn auch in anderer Form: als auditores nämlich. In Konstanz spielten die nationalen Elemente eine Rolle. Das II. Vatikanum greift das berechtigte Anliegen der nationalen Kulturen wieder auf in der Volkssprache der Liturgie und in den neuen Kompetenzen der nationalen Bischofskonferenzen. Während man sich in Konstanz um die Einigung der gespaltenen katholischen Kirche bemüht, ringt das II. Vatikanum um die Einigung der gespaltenen Christenheit. Vorbereitet und getragen durch die liturgischen Erneuerungen, das Laienapostolat als eigenständige Laienbewegung, die Missionsbewegung, eine theologische Erneuerung und eine ökumenische Theologie, befindet sich das II. Vatikanum in einer völlig anderen Situation als das erste. Es hat, wie noch nie ein Konzil, die ganze. Welt und die ganze Menschheit im Blickpunkt.

Der Zug zur Mitte, zur coinci- dentia oppositorum, auf dem heutigen Konzil besteht theologisch in der Polarität zwischen göttlicher Autorität und menschlicher Freiheit, ekklesiologisch im organischen Zusammenwirken von Papsttum und Bischof, von Klerus und Laienwelt.

Ein Blick auf die Konzilsidee, wie sie sich widerspiegelt von Konstanz bis zum Vatikanum II, kann die Konzilsväter von heute nur stärken, auf dem bisher beschrittenen Weg mutig fortzufahren.

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