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Der Pendelsdilag von Konstanz

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Man kann sagen, daß alle Konzilien um das Verständnis der Kirche ringen, dies das Grundanliegen aller Konzilien ist. Wenn Paulus VI. in der Eröffnungsansprache vor Beginn der 2. Sitzungsperiode auf die Kirche als Zentralthema des II. Vatikanischen Konzils hingewiesen hat, so klingt das in der geschichtlichen Perspektive wie eine Antwort auf die in Konstanz und später offengebliebenen Fragen, in denen noch keine volle Wahrheitsaussage über das Wesen der Kirche gelang.

Auf dem Konstanzer Konzil ist das Ringen um die Kirche in zweifacher Hinsicht spannungsreich und lebensbedrohend geworden. Einerseits war die historische Tatsache des kirchlichen Notstandes gegeben, weil es drei Päpste gab und keiner als unbezweifelt rechtmäßiger Papst gelten konnte. Anderseits standen sich verschiedene Auffassungen von der Kirche gegenüber, eine papisti- sche und eine demokratische, die als Ausgleich eine konziliaristische Lösung hervorgebracht hatten.

Ursprung und Sinn des Konziliarismus

Im Jahrhundert des Kampfes um die hierarchische Machtstellung von Kirche und Papsttum in der geeinten Welt der abendländischen Christenheit wurde der kanonisti- sche Kirchenbegriff ausgebildet, noch bevor seine theologische Ausarbeitung möglich war. Vielleicht ist man dadurch der einseitigen spiritualistischen Auflösung des Kirchenbegriffes entgangen, wie ihn Wiclif und Hus vertraten, die nur eine unsichtbare pneumatische Kirche der Prädestinierten annah- men und deswegen Hierarchie und Priestertum ablehnten. Der kano- nistische Kirchenbegriff fand seine erste Ausbildung und praktische Anwendung im sogenannten hiero- kratiseh-papalistischen ‘ Kirchen- höMtf. W’aett Papsf rHcM¥ei i2 gen Haupt der Christenheit und zur Quelle allen Rechtes machte, dessen Wille höchste Norm bedeutete. Dies nicht bloß im Verhältnis von Kirche und Staat in Sinne einer potestas directa, sondern auch im Organismus der Kirche selbst: Der Papst ist Inbegriff der Kirche (vergleiche Aegidius vpn Rom: „Summus Pontifex ... qui potest diei ecclesia“). Der Hauptvertreter dieser Papsttheorie war Aegidius von Rom, dessen Traktat „De ecclesiastica sive de Summi Pontificis potestate“ die Grundlage der Bulle „Unam Sanctam“ abgab.

Als Gegenpol gegen die extrem papalistische Kirchenidee entwickelte Marsilius von Padua (20 Jahre nach der Bulle „Unam Sanctam“, also 1324) in seinem „Defensor paeis“ einen demokratischen Kirchenbegriff, der den prinzipiellen Unterschied zwischen Klerikern und Laien leugnet und sich gegen die hierarchische Struktur der Kirche überhaupt wendet. Mit dem kanonisti- schen Recht verwirft er auch jeglichen Herrschaftsanspruch des Papstes und wird durch seine Be rufung auf das Konzil zum Schrittmacher der konziliaren Doktrin. Für Marsilius und seine Anhänger ist die Hierarchie bloß geschichtlichen, nicht göttlichen Ursprungs.

Als Ausgleich zwischen papalisti- scher und demokratischer Kirchenidee entwickelte sich im Laufe des 14. Jahrhunderts immer mehr ein konziliaristischer Kirchenbegriff,

der — wie der papalistische — aus einer kanonistischen Schau der Kirche hervorging und auf dem mittelalterlichen Repräsentations- und Korporationsgedanken aufbaute. Dadurch, daß seit Beginn des 14. Jahrhunderts, vor allem durch Marsilius von Padua und Wilhelm von Ocham, demokratische Ideen immer stärker in die Kirche Eingang fanden und auf die Kirchenverfassung angewandt wurden, bekam die konziliare Doktrin ihre revolutionäre Begründung und Wirkung. Vollends aktuell wurde dies durch den Ausbruch des Schismas, als sich die Pariser Universität zur Vorkämpferin des Konzilsgedankens machte. Auch Nikolaus Cusanus und Enea Silvio Piccolomini, der spätere Pius II., waren in ihrer Jugend — in verschiedener Weise — Anhänger des Konziliarismus. Es läßt sich nicht leugnen, daß diese Konzilsidee damals Kirche und Kirchenversammlung aus der schwierigsten Situation rettete.

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