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Wirtschaftskommentar

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Die Regierungserklärung ist in ihrem sachlichen Gehalt und offenkundig vor allem in ihren wirtschaftlich belangreichen Teilen weitgehend auch vom sozialistischen Partner gebilligt worden, wenn auch zu einer Zeit, da noch berechtigte Hoffnungen auf eine Koalitionsregierung bestanden hatten. Ganz besonders sind es die Hinweise auf die Förderung des wirtschaftlichen Wachstums, die einen erheblichen Teil der Regierungserklärung des Kabinetts Klaus II einnehmen und erkennen lassen, daß man gewillt ist, die ökonomische Absicherung des Programms von den Grundlagen her zu versuchen. Allzu lange hatte man in Österreich den Eindruck, daß es den für die Wirtschaftspolitik Verantwortlichen in erster Linie um Sympfomkuren ging und nicht um die Konstitution einer neuen Wirfschaftsstruktur.

In diesen Tagen legt nun die Regierung über das Finanzministerium das Paket der Wachsfumsgesetze vor, die wahrscheinlich noch in der Frühjahrssession 1966 verabschiedet werden.

In erster Linie soll das ökonomische Wachstum der Unternehmungen durch steuerliche Begünstigungen gefördert werden:

• durch unbefristete Verlängerung des Bewertungsfreiheitsgesetzes, wobei die vorzeitige Abschreibung der beweglichen Anlagegüter mit 45 Prozent festgelegf werden und jene der unbeweglichen mit 20 Prozent unverändert bleiben soll. Bewertungsfreiheit bedeutet, daß Unternehmungen im Jahr der Anschaffung von Wirtschaftsgütern diese bis zur angegebenen Höhe vorzeitig abschreiben können. Die Folge ist einerseits eine Aufwandsvermehrung in der Steuerbilanz und anderseits eine gerade im Jahr der Anschaffung (wenn diese nicht auf Kredit erfolgt ist!) willkommene Gewinn- und konforme Abgabenkürzung. Für den Fiskus führt die Antizipation von Abschreibungen zu Einnahmenausfällen, die weithin nicht direkt refundierf werden. Auch nicht später. Man geht jedoch davon aus, daß in einer Art von fiskalischer Umwegsrentabilifät über die Effekte des vermehrten Kapitaleinsatzes die Einnahmenverzichte durch Wachstumseffekte (mehr Umsatz ist auch mehr Gewinn) abgegolten werden.

• Von den Unternehmungen gebildete Investitionsrücklagen sollen bis zu 20 Prozent des Gewinns steuerfrei bleiben, um den Unternehmungen Anreize und Möglichkeiten zu bieten, für größere Investitionen die erforderlichen Kaufsummen anzusammeln.

• Schließlich will man kapitalschwache Unternehmungen dadurch bewegen, Kapital zu akkumulieren, daß man ihnen gesfatfef, 50 Prozent des nicht entnommenen Gewinnes (maximal 20 Prozent des gesamten Gewinns) steuerfrei auf eine Rücklage (— Zusatzkapital) zu überfragen. Um die Eigentümer der Unternehmungen zu verhalten, ihren privaten Aufwand zu disziplinieren, ist eine Nachversteuerung vorgesehen, falls in den fünf Folgejahren die Privatentnahmen die jährlichen Reingewinne übersteigen.

Die Bildung von Kapital ist an sich ein soziales Neutrum, überdies kann man das Faktum nicht wegdiskutieren, daß ein Wachstum, welches allein unsere progressiv wachsenden Ansprüche zu decken vermag, u. a. durch Mehrkapital — vergegenständlicht in leistungsbereifen Produktionsmitteln — materialisiert werden kann. Daher ist die Vermehrung von Kapital die Voraussetzung, daß die Wünsche der modernen Begehrgesellschaft erfüllt werden können. Dieser Sachverhalt ist im sozialistischen wie im „westlichen" Bereich erkannt und steht außerhalb jeder Diskussion. Daher konnten auch die SPÖ-Verhandler seinerzeit den Wachstumsgesetzen prinzipiell zustimmen. Ebenso besteht Einverständnis darüber, daß Eigenkapital nur durch Sparen gebildet werden kann, das heißt in. der Region der Erwerbswirtschaft durch Gewinnabzweigung (beziehungsweise auch nach vorhergehenden Aufwandsverminderun gen), wobei man im Fall der Wachstumsgesetze davon ausgeht, daß jene Gewinne, welche die Folge steuerlicher Begünstigungen sind, in Investitionen umgesetzt werden.

Nun soll man angesichts der Wachsfumsgesetze nicht die kritischen Hinweise übersehen, die bei grundsätzlicher Billigung des Konzepts gemacht werden:

• Förderung der Kapitalbildung heißt auch: Begünstigung der Ansammlung ausländischen, schon im Land etablierten (Stamm-)KapitaTs auf Kosten der einheimischen Steuerträger.

* Zudem werden — und dies Ist unvermeidbar — die bisherigen Kapifalseigentümer (meist anonyme Gesellschaften) noch „reicher", können doch die großen gegenüber den kleinen Eigentümern (den mitfelsfän- dischen Unternehmungen) nicht diskriminiert werden, wenn auch die Regierungserklärung einige Bemerkungen enthält, die auf eine Begünstigung der Kleinen schließen lassen. Die Sicherung der Existenz und der relativen Position der kleineren Unternehmungen im Wirtschaftsgefüge Österreichs ist nicht so sehr die Sache fiskalischer Initiativen, sondern Gegenstand einer gezielten Strukturpolitik und ebenso von Maßnahmen der Gewerbepolitik.

Wenn man das Wachstum fördert, bedeutet das für den Fiskus Verzicht auf Einnahmen durch Duldung von nunmehr größeren Betriebsausgaben (vorzeitige Abschreibung, keine Versteuerung der nicht entnommenen Gewinne). Nun ist aber die Ausgabenpolitik von einzelnen Unternehmungen, auch von solchen, die sich als förderungswürdig erklären, zuweilen mehr als großzügig. Etwa bei den Ausgabepositionen Auto, „Repräsentation" und „Dienstreisen", also bei Aufwendungen, die unvermeidbar eine Berührung mit der privaten Sphäre der Unternehmer haben. Warum muß „man" jedes Jahr einen neuen Wagen der Luxusklasse haben?

Die sehr wesentlichen Bemühungen um die Förderung des Wachstums des produktiv einsetzbaren Kapitals sollten daher eng mit der rigorosen Interpretation bei der Rechtfertigung bestimmter Betriebsausgaben verbunden sein. Die Masse der Steuerträger muß erkennen, daß beispielsweise einzelne Restaurants und Autohänd- ler nur von der sehr großzügigen Betriebsprüfung leben, die auch Belege toleriert, welche nichts mit der betrieblichen Tätigkeit, sondern nur etwas mit der privaten Sphäre der Verantwortlichen zu tun haben.

Dankbar muß man für die Erwähnung sein, daß die Bildung nachdrücklich gefördert werden soll, erfahren wir doch, daß das Wachstum keineswegs ausschließlich eine Sache des vermehrten Kapitaleinsatzes ist. Im Gegenteil. Der größere Teil der Wachsfumsursachen liegt im Bereich der Organisation und der Qualitätsanreicherung des Faktors „Arbeü". Es ist jedoch ein Irrtum, allein hinsichtlich der Schulen eine „Europareife" zu fordern; unsere Schulen sind vielfach vorbildlich (was nicht heißt, daß man von ihrem Ausbau Abstand nehmen soll). Vom Standpunkt des Wachstums ist es erheblich wichtiger, die innerbetriebliche Weiterbildung, welche die in den Schulen vermittelten Grundkennfnisse an die jeweilige Praxis adaptieren soll, zu fördern; freilich nicht auf Kosten des Budgets.

In einer Situation, in der sowohl Steuersenkungen zu Gunsten von Einkommensbeziehern und Investoren als auch Ausgabenvermehrungen gefordert und, weil notwendig, durchgeführt werden, bedarf es mehr denn je eines ökonomischen Denkens. Bei den Verantwortungsträgern bis hinunter zu den kleinsten Einzelhändlern. Bei den Regierenden und auch, wenn nicht noch mehr, bei der Opposition, die, wie sie erklärt hat, eine Opposition für Österreich sein will.

Sozialreform ist undurchführbar oder ein Sozialpalaver, wenn nicht für die Produktion der verteilbaren Fonds gesorgt wird.

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