Urzeitliche Jagdmalerei - Die Wandmalereien wurden in der Kalksteinhöhle Leang Bulu Sipong 4 im Süden der Insel Sulawesi gefunden. Die Forscher nutzten die Uran-Thorium-Datierung, um das Alter festzustellen. - © Foto: APA / AFP / Griffith University / Ratno Sardi

Nur die Höhle war Zeuge

19451960198020002020

In Indonesien wurden die bislang ältesten Höhlenmalereien entdeckt. Archäologen sehen in den seltsamen Jagdszenen die frühesten Belege eines spirituellen Weltbilds.

19451960198020002020

In Indonesien wurden die bislang ältesten Höhlenmalereien entdeckt. Archäologen sehen in den seltsamen Jagdszenen die frühesten Belege eines spirituellen Weltbilds.

Werbung
Werbung
Werbung

In seiner wilden Vergangenheit pflegte der Mensch noch eine intime Beziehung zu Tieren und Pflanzen. Um Fleisch zu essen, mussten die urzeitlichen Jäger hart arbeiten: Sie waren angewiesen auf ihre Ausdauer und Geschicklichkeit – und den Zufall. Ob sie mit Beute heimkehren würden, war meist ungewiss. Gut möglich, dass sich die Abhängigkeit von Wildtieren in ihr Weltbild eingebrannt hat. Glaubten sie, während der Jagd selbst tierische Fähigkeiten zu entwickeln? Wollten sie sich auf magische Art in das erhoffte Beutetier verwandeln, um seine Bewegungen zu antizipieren? Unterhielten sie deshalb eine spirituelle Beziehung mit dem Tierreich? Da aus dieser Zeit noch keine schriftliche Zeugnisse vorliegen, bleiben solche Deutungen spekulativ.

Mischwesen aus Mensch und Tier

Auffallend zweifellos, dass in urzeitlichen Höhlenmalereien oft abenteuerliche Mischwesen aus Mensch und Tier – Forscher bezeichnen sie als „Therianthropen“ – zu finden sind: Als älteste Darstellung galt bisher der „Löwenmensch“, der nordöstlich von Ulm in einer Höhle gefunden wurde. Die Skulptur aus Mammut-Elfenbein misst rund 30 Zentimeter und zeigt einen Menschen mit Löwenkopf und -beinen. Das Alter des Kunstwerks wird kontrovers diskutiert; manche Experten schätzen es auf 40.000 Jahre. In der Lascaux-Höhle in Frankreich ist ebenfalls ein Mischwesen dargestellt: ein vogelköpfiger Mensch, der gegen einen Büffel zu kämpfen scheint. Vor rund 17.000 Jahren entstanden, ist es eines der ältesten Werke der europäischen Höhlenmalerei mit narrativer Szenerie. „Wir haben nichts entdeckt – sie haben alles erfunden!“, soll Pablo Picasso 1940 bemerkt haben, nachdem er die berühmte Höhle im südwestlichen Frankreich besucht hatte. Er sah eine Linie von der magischen Malerei der urzeitlichen Jäger bis hin zur modernen Kunst.

Die indonesischen Ureinwohner schufen Kunst, die wohl ein spirituelles Denken über die besondere Beziehung zwischen Menschen und Tieren ausdrückt. (Adam Brumm)

Archäologen staunten nicht schlecht, als 2014 Nachrichten von einem neuen Fund in Indonesien auftauchten. Maxime Aubert, ein Forscher an der Griffith-Universität im australischen Brisbane, präsentierte 40.000 Jahre alte Handabdrücke aus einer Kalksteinhöhle in Sulawesi. Nun sorgt er für neuen Zündstoff: In einer weiteren Höhle auf der indonesischen Insel ist sein Team auf noch ältere Malereien gestoßen, die die urzeitlichen Werke aus der europäischen Eiszeit altersmäßig in den Schatten stellen. Wie Aubert und sein Kollege Adam Brumm in der Fachzeitschrift Nature berichten, ist von einem Alter von rund 44.000 Jahren auszugehen: Das ist die früheste gegenständliche Malerei überhaupt.

Zur Datierung nutzten die australischen Forscher die Uran-Thorium-Datierung. Die beiden Elemente finden sich im Kalzit, der am Kunstwerk abgelagert ist. Durch radio­aktiven Zerfall wandelt sich Uran in Thorium um; bei diesem Prozess können verschiedene Varianten dieser Elemente radiometrisch erfasst werden. Menschen und Tiere der Höhlenmalereien wurden im gleichen Stil und in der gleichen Technik mit dunkelroter Farbe gemalt. Das viereinhalb Meter große Bild zeigt eine erstaunlich realistische Szene: menschliche Figuren mit tierischen Schnäbeln, Schnauzen und Schwänzen; sie sind mit Speeren bewaffnet und auf der Jagd nach Schweinen und Rindern – vermutlich Pustelschweine und Flachland-Anoas, die auf der Insel heimisch sind.

Visuelle Erzählkunst

Offen bleibt, ob es sich bei den Speeren nicht auch um Seile handeln könnte, was wiederum darauf hindeuten würde, dass die Tiere nicht gejagt, sondern nur gefangen wurden: vielleicht ein Indiz dafür, dass der Mensch schon vor 44.000 Jahren Tiere domestiziert hat. Die archäologische Suche geht weiter, denn rund um den Fundort in der Karstregion Pangkeb gibt es noch viele unerforschte Höhlen, in denen womöglich noch ältere Malereien dieser Art auftauchen könnten.

Die Funde in Sulawesi zeugen jedenfalls davon, dass die urzeitlichen Menschen in Südostasien damals bereits zu visuellem „Storytelling“ in der Lage waren. Die Mischwesen aus Tier und Mensch sind für die Forscher ein klarer Hinweis, dass die Ureinwohner von Sulawesi zu spirituellem Denken neigten: „Die Darstellungen scheinen eine mythologische oder übernatürliche Bedeutung zu haben“, betont Adam Brumm. Wird dieser Befund erhärtet, wären die indonesischen Höhlenmalereien die ältesten Belege für ein spirituelles Weltbild. „Die indonesischen Ureinwohner schufen Kunst, die wahrscheinlich ein spirituelles Denken über die besondere Beziehung zwischen Menschen und Tieren ausdrückt“, so Adam Brumm – „lange bevor die erste Kunst in Europa gemacht wurde.“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung