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Randnah oder randfern

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„Rechtsverkehr verlangt Rechtslenkung’’, 1st, der Titel eines im Verlag Oreli Füssli, Zürich, vor einiger Zeit erschienenen Buches, das von Dr. E. Borsari und H. A. Schwarzenbach zusammengestellt und herausgegeben wurde. Es enthält Beiträge von namhaften Fachleuten der Automobilbranche, von Wer- tungs- und Rennfahrern, Konstrukteuren, Journalisten, die sich zum Thema der Lenkersitzanordnung äußern. Auch diejenigen, deren Meinung im Gegensatz zu der der Autoren steht, kommen zu Worte. Allein das Wäre bemerkenswert, aber auch der übrige Inhalt der Schrift mit Photos, Diagrammen und hun- derten Zitaten ist es erst recht.

Zur Erklärung der Situation sei angemerkt, daß auf dem europäischen Kontinent seit der Umstellung Schwedens vom Links- auf den Rechtsverkehr, ferner in den beiden Amerika und auch noch in anderen Teilen der Welt überwiegend rechts gefahren wird. Demgegenüber gibt es Länder, in Asien und Afrika, etwa Japan und die ehemals englischen Kolonien, die, ebenso wie Großbritannien, an der Linksfahrordnung fenthalten.

Vor einigen Jahrzehnten begann sich — ohne daß es jemand ausdrücklich gewünscht hätte — der Brauch durchzusetzen, daß in Ländern mit Rechtsfahrordnung linksgelenkte Fahrzeuge in Mode kamen, für Länder mit Linksfahrordnung hingegen das Volant auf der rechten Seite des Fahrzeugs eingebaut wurde. Es gab allerdings eine Ausnahme: Schweden. In diesem Land kursierten bis September vorigen Jahres, als die Umstellung auf Rechtsverkehr erfolgte, 95 Prozent aller Fahrzeuge mit der sogenannten „randnahen” Lenkung. Der Ausdruck kommt aus dem Englischen, von „nearside-steering”, im Gegensatz zur „randfernen” Lenkung („off- side-steering”). Man spricht also in Ländern in denen links gefahren wird, von einem Wagen mit Linkslenkung (bis vor kurzem also in Schweden, mit den linksgelenkten Fahrzeugen), ebenso von einer „randnahen” Lenkung, wie man das täte, wenn es in einem Lande mit Rechtsfahrordnung Fahrzeuge gäbe, deren Lenkrad rechts angebracht ist. Dieser letztere Fall allerdings ist die Ausnahme, es gibt wohl in der Schweiz und in Italien (beide Länder haben Rechtsverkehr) Fahrzeuge mit Rechtslenkung, aber sie sind in der Minderheit.

Das Beispiel Schweden ist insofern bemerkenswert, als dieses Land trotz einer starken Motorisierung von allen europäischen Ländern die geringste Zahl von Unfällen im Straßenverkehr auf weist. Es sind volle zwei Drittel weniger als der Durchschnitt anderer Länder und dieser bemerkenswerte Umstand hat die beiden obgenannten Autoren des erwähnten Buches dazu geführt, für die Länder mit Rechtsverkehr auch die Rechtslenkung zu verlangen, ist sie doch ein Spiegelbild der Linkslenkung bei Linksverkehr. Borsari und Schwarzenbach haben vor zwölf Jahren ein „Initiativkomitee für die Rechtslenkung” ins Leben gerufen und sammeln seit jener Zeit Material und Beweise für ihre Theorie, daß nämlich die randnahe Anordnung der Lenkung neben zahlreichen anderen Vorteilen die Sicherheit auf unseren Straßen bedeutend erhöhen würde.

Über die Vorteile der randnahen Lenkung ist man sich längst im klaren: Wenn wir von einem Land, in dem rechts gefahren wird, ausgehen, dann ist klar, daß der reohtssit- zende Lenker Radfahrer und Fußgänger am Straßenrand früher und besser erkennt, daß er vom Gegenverkehr weniger stark geblendet wird, daß er sich auf engen Gebirgsstraßen, wenn etwa rechts ein Abgrund gähnt, leichter tut, ebenso hat er weniger Schwierigkeiten beim Zurückstoßen in eine Parklücke. Dazu kommen noch andere Annehmlichkeiten, zum Beispiel, daß man als Lenker, der am häufigsten die Tür eines Wagens öff net, dies immer nach der Seite des Gehsteiges und nicht nach der Verkehrsseite tut und auch die Tatsache, daß man sich etwa als Ortsfremder leichter mit Passanten verständigen kann, wenn man rechts im Wagen sitzt, wäre in diesem Zusammenhang zu erwähnen.

Aber alle diese Argumente sind nicht so stark wie das Bestreben des rechtssitzenden Lenkers, sich am rechten Straßenrand zu orientieren, den er ja viel besser sehen kann als der Linkssitzende. Er fährt eben wirklich, wie es das Gesetz vorschreibt, auf der rechten Straßenseite und nicht, wie der Großteil der linkssitzenden Verkehrsteilnehmer in der Mitte der Straße. Wer links sitzt, orientiert sich eben automatisch nach links, er „reitet” auf der Mittellinie, und da sind wir beim Grundübel unseres Verkehrs und bei der Ursache vieler Verkehrsunfälle:

Mit der Rechtslenkung würde die Straße automatisch breiter werden, ohne daß das etwas kosten würde. Frontalzusammenstöße oder das Abweichen auf die Gegenfahrbahn kämen gewiß seltener vor.

Nun aber treten die Gegner dieses schon öfter diskutierten Themas auf und argumentieren, das Vorfahren sei in Ländern mit Rechtsfahrordnung mit einem rechtsgelenkten Wagen schwieriger und das sei auch der Grund, warum man die randnahe Lenkung strikte ablehnen müsse. Auch zu diesem Punkt nehmen die Verfechter der randnahen ^Lenkung sehr gewissenhaft Stellung. Sie verweisen darauf, daß das Überholmanöver aus drei Phasen besteht: Man schert nach links aus, um zu sehen, ob die Straße frei ist, man überholt und man kehrt — so will es das Gesetz — ohne Gefährdung des Überholten in die ursprüngliche Fahrspur zurück. Es unterliegt keinem Zweifel, daß in den beiden letzten Phasen, dem eigentlichen Überholvorgang und dem Zurückkehren auf die rechte Straßenseite, die Rechtslenkung von Vorteil ist. Man kann den Abstand zum Überholten genauer abschätaen und man kann leichter ohne Gefährdung des Überholten wieder einschwaniken, da man ja vom rechten Sitz aus besser sieht, wie der Überholte auf das Manöver reagiert hat und wie die Situation unmittelbar nach dem Überholen aussieht.

Es verbleibt also nur die erste Phase, das Ausscheren, und gerade dieser Vorgang ist von allen drei Phasen der am wenigsten gefährliche, denn er kann jederzeit und ohne Gefahr rückgängig gemacht werden, wenn es die Verkehrssituation erfordert. Außerdem werden immer mehr und mehr Personenwagen mit geradezu idealen Sichtverhältnissen gebaut. Durch die meisten kann man heute hindurchblicken, gleichgültig, wo man als Hintermann in seinem Wagen sitzt. Die ins Treffen geführte vermeintliche Gefahr reduziert sich also auf Kasten- und Lastwagen, welche die Sicht tatsächlich behindern, aber selbst in diesem Falle kann ein rechtssitzender Fahrer am Vordermann leicht rechts (!) vorbeiblicken und die Situation vor dem zu Überholenden übersehen. Es ist anzunehmen, daß die oberwähnte Schrift eine lebhafte Diskussion (es wäre nicht das erste Mal) auslösen wird. Auf das Resultat darf man gespannt sein.

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