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Der Gewinner war Lenin

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DEUTSCHE OSTPOLITIK 1918. Von Brest-Litowsk bis zum Ende des ersten Weltkrieges. Von Winfried Baumgart. R. Oldenbourg-Verlag. 462 Seiten. S 330.—.

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DEUTSCHE OSTPOLITIK 1918. Von Brest-Litowsk bis zum Ende des ersten Weltkrieges. Von Winfried Baumgart. R. Oldenbourg-Verlag. 462 Seiten. S 330.—.

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Die vorliegende Arbeit untersucht die deutsche Ostpolitik von Brest- Litowsk bis zum November 1918 und bediente sich weitgehend der Archivbestände, darunter auch zahlreicher gedruckter Quellen in russischer Sprache. Die Ostpolitik des kaiserlichen Deutschland war bedingt durch die Hilfestellung, die man ganz bewußt Lenin und seiner Gruppe durch die Unterstützung der berühmten Reise aus der Schweiz nach Rußland 1917 geliehen hatte. In den Bolschewiki glaubte man die natürlichen Verbündeten gefunden zu haben, um zu einem raschen Friedensschluß zu kommen und gleichzeitig Rußland auf lange Zeit so schwächen zu können, daß gewisse Pläne zu mehr oder minder verschleierten Annexion ehemals rus- sicher Randstaaten verwirklicht werden könnten. Hierbei waren sich die Oberste Heeresleitung und vor allem Ludendorff sowie die politische Führung des Reiches — mehr und mehr hinter den Militärs zurücktretend — niicht immer einig.

„Die zweckgerichtete Interessensgemeinschaft” zwischen Lenin und dem kaiserlichen Deutschland kam in erster Linie dem noch schwachen Rätieregime zugute, wenn man bedenkt, welche Gefahren

1918 durch die Interventionspolitik der Entente auftrat, als alliierte Truppen im Murmangebiet, die tschechoslowakischen Truppen im Osten und die gegenrevolutionären Truppen im Süden antraten. Lenin hat in dieser Situation der ersten Augusttage des Jahres 1918 ein direktes Hilfegesuch über den neuen deutschen Gesandten Helfferich um deutsches militärisches Eingreifen gerichtet, das auch prompt erfolgte und sich vor allem auf Finnland und Südrußland konzentrierte. Daß dabei auch umfassende Eroberungspläne der politisierenden Generäle um Ludendorff eine große Rolle spielten, und man glaubte, vor allem durch Besetzung der Ukraine, durch einen Vorstoß in den Kaukasus und die Errichtung einer großen deutschen Einflußzone im baltischen Raum für die Zukunft wirtschaftliche und militärische Stützpunkte sichern zu können, erinnert an die im zweiten Weltkrieg Gestalt gewordenen Pläne des Kreises Rosenberg. Der gewinnende Teil des vorübergehenden Zusammenspiels zwischen OHL und der gesamten deutschen Außenpolitik war zweifellos Lenin, der in kühler Berechnung taktierte, und die „Gegensätze zwischen den Imperialisten” ausnützte. Die wirtschaftliche Hilfe aus den besetzten russischen Gebieten blieb für die deutsche Kriegsführung, die sich zur Endentscheidung im Westen aufraffte, unerheblich und das politische Ergebnis des Friedens von Brest-Litowsk wurde im Waffenstillstand von Comiėgne in den Artikeln 15 und 19 aufgehoben.

Das vorliegende Werk ist durch die profunde Verwendung der Quellen und durch eine Reihe interessanter Aktenbeilagen ein wesentlicher Fortschritt in der Erforschung der politischen und militärischen Geschichte des Jahres 1918, aber auch ein wichtiger Beitrag für die entscheidende Rolle Ludendorffs und seiner Mitarbeiter bei den Fehlbeurteilungen des letzten Kriegsjahres.

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