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Schlote Uber 1100jhriger Geschichte

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ES WAR EIN FARBENFROHES FEST. Herolde und Fahnenträger, verwegene Gestalten mit Krummsäbeln, Bischöfe und Fürsten mit den Insignien ihrer Macht, Hexen und Richter, Bauern und Handwerker und Arbeiter, Ratsherren und Soldaten — diese und noch viele andere Gestalten und Gruppen zogen unter dem blauenden Zelt eines weitgespannten Sommerhimmels durch die reinlichen Straßen des bur-genländischen Städtchens Pinkafeld. 1100 Jahre wechselvoller Geschichte und Geschicke, 1100 Jahre Arbeit und Zerstörung, Aufbauwillen und Vernichtung, 1100 Jahre Frieden und Krieg zogen hier vorüber und tauchten unter in lärmender Heiterkeit. Zurück blieben ein paar zertretene Blumen, mit denen der Wind, als die Festfanfaren verklungen waren, sein abendliches Spiel trieb. Ich wanderte noch einmal den Weg zurück zwischen den sauberen Häusern und Gärten arbeitsamer Menschen. Aufgestört durch die bunten, vielfältigen Bilder dieses sonnendurchwirkten Sonntagnachmittags glitt meine Erinnerung hinüber in jene 1100jährige Vergangenheit, die eben so festlich sich darbot. *

HIER HATTE DER EDLE ERINBERT im 9. Jahrhundert eine Kirche errichtet. Hier hatte der König der Franken Besitztümer, der im Jahre 860 den Ort „Peincaha“ dem Erzbistum Salzburg schenkte. Die Pergamentrolle, auf der die Schenkungsurkunde abgefaßt war und in der zum ersten Mal der Name Peincaha, also Pinkafeld, erwähnt wurde, befand sich bisher unter der Obhut des ^ Salzburger Erzbischofs. Jetzt wurde sie der Stadt geschenkt.

Nachdem die Wehrkirche am Pielfelde, die den Aposteln Petrus und Paulus geweiht war, im Laufe der „Güssinger Fehde“ des Jahres 1289 zerstört wqrden war, wurde _die.. Herrschaft von Pinkafeld zu jener von Bernstein gegeben.-Ein Jahrhundert später ging Burg und Herrschaft Bernstein mit Pinkafeld an das Geschlecht der Kaniszai über. Nikolaus von Kaniszai verlieh nun dem Ort Pinkafeld Freiheiten, wie sie damals nur einer Stadt zukamen. Hiedurch wurde der „Appidum privilegiatum“ frei von aller Jurisdiktion des Schlosses Bernstein. Er hatte das Recht, Richter und Rat selbst zu wählen, Gericht zu halten in „Criminalibus und civilibus“. war befreit von Zehent und Bergrecht und hatte das Mark- und Mautrecht.

Als der letzte Ast des Geschlechts der Kaniszai verdorrt war, kam Pinkafeld wieder an die ungarische Krone, wurde aber von der Königin-Witwe an Kaiser Friedrich gegen „ein großes Stuck Geldes samt der Herrschaft von Pernstein zur Errettung des Königreiches gegen den Erbfeind verkauft, verpfändet und in Possession gegeben“. Der Besitz wurde der niederösterreichischen Hofkammer einverleibt und auch die Pinkafelder Privilegen wurden weiterhin anerkannt. Die Kämpfe um das Grenzland und die ungarische Krone im ausgehenden Mittelalter gingen auch an Pinkafeld nicht spurlos vorüber. Als das kaiserliche Heer nach der Wahl Kaiser Friedrichs III. zum König von Ungarn auf Burg Güssing nach Güns zur Krönung ziehen wollte, wurde es auf dem Langenfelde vor den Toren der Stadt vor Sonnenaufgang des 14. April 1459 von einem Trupp corvinischer Soldaten überfallen und zum Rückzug gezwungen. Im Zuge der Türkenkriege wurde Pinkafeld 1528 gebrandschatzt und wenige Jahre später dem Erdboden gleichgemacht. Wiederaufgebaut wurde der Ort nicht mehr am Rande des Pielfeldes, sondern am linken Ufer der Pinka, wo auch heute das Städtchen in einer Mulde zwischen sanft ansteigenden Hügeln liegt. Kaiser Friedrich I. schenkte der Gemeinde für die neuerbaute Wehrkirche eine Glocke mit reichem Silbergehalt und vermehrte die Privilegien durch das Recht, zu Peter und Paul und zu Gallus neben den Wochenmärkten auch Jahrmärkte abzuhalten.

EINE KURZE ZEIT war Pinkafeld unter der Herrschaft des Geschlechts derer von Königsberg, bis 1633 Adam von Bätthyany den Besitz kaufte.

Wirtschaftlich hatte der Ort unter den Königsbergern und dann unter Maria Theresia einen beachtenswerten Aufschwung genommen. Die wirtschaftliche Bedeutung beweist die Konskription der Handwerke aus dem Jahre 1850, nach der sich 661 Meister in den Pinkafelder Zünften befanden.

Durch die Ereignisse der Jahre 1848 und 1849 verlor Pinkafeld den Großteil seiner Privilegien. Das Stuhlrichteramt wurde nach dem madjarischen Oberwart verlegt. Wohl wurde dem Ort von Kaiser Franz Joseph I. noch die Gerichtsbarkeit 1. Instanz zugesprochen, aber die allgemeine Gemeindeordnung des Komitats Eisenburg schaltete auch Pinkafeld gleich — es wurde eine Großgemeinde ohne geordneten Magistrat.

So galt in Hinkunft die Hauptsorge der Stadtväter den wirtschaftlichen Belangen. Das Tuchmacherhandwerk wandelte sich in eine Textilindustrie, die heute 70 Prozent ihrer Erzeugnisse nach dem Osten exportiert. Einige dieser im Zuge der Industrialisierung damals rasch gegründeten Betriebe verschwanden allerdings wieder in den letzten Jahrzehnten, so die Brauerei, die Pechfabrik, die Zündholzfabrik, die Papiermühle und der Eisenhammer. Anschluß an das Bahnnetz bekam Pinkafeld mit dem Bahnbau Friedberg—Pinkafeld. Im Jahre 1937 endlich beschloß der Burgenländische Landtag in Anbetracht der einstigen geschichtlichen, gewerblichen und handelspolitischen Stellung des „landesgerichtlich privilegierten Marktes“ und der gegenwärtigen wirtschaftlichen Bedeutung des Ortes die Erhebung Pinkafelds zur Stadt.

HEUTE NUN ZÄHLT DIESES STÄDTCHEN, das sich stolz eine Industriestadt nennt, 3519 Einwohner, verfügt über zwei Textilfabriken und eine Gerberei, die zusammen etwa 500 Menschen Arbeit und Brot geben, eine Garnison, die zur Zeit das 19. Feldjägerbataillon des österreichischen Bundesheeres beherbergt und einel landwirtschaftliche Berufsschule, deren 250 Schüler die würdigen Räume des alten Batthyany-Schlosses mit jungem Leben bevölkern. Kommt man auf die Bautätigkeit in Pinkafeld zu sprechen, so erklärt Bürgermeister Direktor Anton Braun, daß sich die Wohnbauten in den vergangenen vierzig Jahren, die das Burgenland bei Österreich ist, von 360 auf 760 vermehrt haben und daß man bereits mit 60 Fremdenzimmern rechnen kann, deren Pensionspreise sich zwischen 28 und 36 Schilling bewegen. Weiter weiß der äußerst aktive Stadtvater zu erzählen, daß man in Pinkafeld Baugründe noch zu einem Quadraftneterpreis von 2 Schilling kaufen kann und daß eine Hollsteiner Bürstenfabrik demnächst ihre Produktion beginnen wird.

Als bemerkenswertes Ergebnis eines konstruktiven Aufbauwillens aber scheint neben der Vollendung eines neuen Rathauses die Errichtung eines burgenländischen SOS-Kinderdorfes zu werten zu sein. „Wissen Sie“, meinte Direktor Braun hiezu, „1100 Jahre ist eine schöne Spanne Zeit, ohne Zweifel Anlaß zu Feiern und Festlichkeiten. Aber all diese Fröhlichkeit, all dieser Festestaumel verfliegt so schnell. Wir wollten diesem Datum für alle Zukunft ein Denkmal setzen. So besprachen wir mit Direktor Gmeiner den Bau eines SOS-Kinderdorfes. Wir luden ihn ein, zeigten ihm diesen und jenen Platz, den wir dazu ausersehen hatten. Aber als wir dann oben standen auf dem Hügel und vor uns mit all seinen Dächern und Türmen das Städtchen lag, als der Duft von Obstbäumen und Fichtenwäldern herüberwehte, sagte er nur noch:, Das ist es. Hier und nirgends sonst soll eine Heimstatt für meine Kinder gebaut werden.' Alles andere war dann kein Problem mehr. In wenigen Wochen wird Bundespräsident Dr. Schärf den Grundstein zum .Jubiläumshaus' legen. Die Mittel für vier weitere Häuser sind ebenfalls bereits vorhanden.“

Da werden also auf dem Hügel im Südwesten des Städtchens inmitten von Fichtenwäldern Häuser gebaut werden, in denen Kinder leben werden, in denen Kinder ihre allzu frühen Tränen vergessen können und richtig Kind sein dürfen.

Die beispielhafte Aktivität, die in dieser Stadt wirkt und schafft, ist .nicht.zuletzt deo..b iden Männern an ihrer Spitze zu danken, die jenseits aller Parteipolitik wirklich um das Wohl der ihnen anvertrauten Stadt besorgt sind. Das geht so weit, daß der Vizebürgermeister, Mitglied der SPÖ, einen sozialistischen Korrespondenten in scharfen Worten zurechtwies, als dieser Bedenken äußerte, ob er über die Stadt und den Bau des Kinderdorfes werde berichten können. Ein erfreuliches Zeichen, das Beispiel sein sollte für viele, die noch weit von einer solch ehrlichen und objektiven Zusammenarbeit entfernt sind.

DASS PINKAFELD sich nicht auf den Lorbeeren einer 1100jährigen Geschichte auszuruhen gedenkt, beweisen die Pläne, die in den nächsten Jahren verwirklicht werden sollen. Da ist vor allem der Plan zu einem Fernheizkraftwerk, der Erwähnung verdient. Die Tauchener Kohlengruben, wenige Kilometer von Pinkafeld entfernt, haben Absatzschwierigkeiten, wie so manche großen Kohlengruben auch. Hier soll nun ein Fernheizkraftwerk errichtet werden, das die Kapazität der vorhandenen Braunkohle ausnützt und die umliegenden Orte, vor allem aber Pinkafeld mit Wärme, in der Folge vielleicht sogar mit Strom versorgen soll, was der Stadt die hohen Kosten für den Einkauf von Strom ersparen würde.

Weiter — und das ist des Obmanns der Burgenländer Landsmannschaft, Medizinalrat Doktor Lex, liebstes Kind — wird viel von der Auswertung der Thermalquellen gesprochen, die im südlichen Burgenland, größtenteils noch unerforscht oder wenigstens unausgenützt, reichlich fließen. Schon im kommenden Jahr soll in Sulz, nahe Pinkafeld, ein großes Nierenbad erbaut werden, dessen Pläne schon vorliegen. Die Heilkraft dieser Quelle ist nach medizinischen Untersuchungen doppelt so groß als die der weltberühmten Karlsbader Quellen.

„Quellen mit unglaublicher Kapazität fließen im Burgenland, deren Wasser von einer sonst nie auf so kleinem Gebiet vorhandenen Verschiedenheit ist - so ein bißchen Schallerbach, Schärding, Gastein und Bad Hall auf einem Fleck —, von denen außer einem kleinen Kreis von Eingeweihten niemand weiß. Im Gras versteckt, mit einem Mühlstein zugedeckt, sprudeln dort Quellen vielfältiger Heilkraft, die für viele Menschen Linderung und Heilung ihrer Leiden bedeuten würde. Es fehlt uns das Geld, aber vielleicht kommt auch das mit der Zeit. Geduld muß man halt haben, wie für alles im Leben.“

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