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Mehr zitiert als gelesen

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Quer durch alle Bereiche der Wissenschaft und der Literatur kennen prominente Autorin-ne%_und Autoren dieses Schicksal: Ihre Werke sind manchmal mehr durch den Titel als durch den Inhalt bekannt. Oswald Spenglers „Untergang des Abendlandes" ging es nicht anders als Hans Sedlmayrs Kulturkritik „Verlust der Mitte" oder Robert Musils „Mann ohne Eigenschaften".

Ob dieser Mammutroman wirklich von allen, die daraus zitieren, jemals vollständig gelesen wurde?

Wen sollte es also wundern, daß auch theologische Publikationen von diesem Geschick nicht ausgenommen sind? Selbst einem Karl Rahner SJ ist es nicht erspart geblieben. Mit „Hörer des Wortes" - seinen als junger Privatdozent 1937 auf den letzten Salzburger Hochschulwochen vor der von den Nazis verfügten Liquidierung angebotenen Vorlesungen, die 1941 unter diesem Titel in Ruchform erschienen - ist es ihm so ergangen.

Ein ähnliches Schicksal erlebte seine als philosophische Doktorarbeit konzipierte Untersuchung „Geist in Welt". Nach ihr ist sinnigerweise der zweite Band „Sämtlicher Werke" Karl Bahners benannt, der alle ausdrücklich philosophischen Schriften Rahners zwischen zwei Buchdeckeln zusammenspannt. Die titelgebende Studie Rahners, die den damals üblichen, päpstlich sanktionierten Schul-thomismus mit Hilfe neuer Sichtweisen eines Pierre Rousselot SJ und eines Joseph Marechal SJ unterlief, indem sie Thomas von Aquin theologisch las, Begriffe auf ihren Inhalt, nicht nur auf ihre Geschichte abklopfte, erschien im ersten Kriegsjahr und wurde 1957 von Johann B. Metz überarbeitet und bekanntgemacht.

Der zweite Band der Gesamtausgabe (siehe furche 27/95) enthält in Teil A beide Fassungen und macht auch deutlich, wo die zweite von der ersten abweicht. Es folgen ein Vortrag über „Die Wahrheit bei Thomas von Aquin" von 1938 und, erstmals auf Deutsch, Rahners kurze Darstellung der Existentialphilosophie Martin Heideggers, die er 1940 auf Französisch publiziert hat. Teil B präsentiert einschlägige Rezensionen und Stellungnahmen Rahners zu ausgesprochen philosophischen Arbeiten, zwölf an der Zahl. Teil C schließlich bringt unveröffentlichte Manuskripte Rah-ners: sein wichtiges Exzerpt des berühmten „Cahier V" von Marechals Standardwerk „Le point de Depart de la metaphysique"; Seminarprotokolle aus dem Oberseminar bei Martin Heidegger; ein Protokoll aus einem Husserl-Seminar bei Fritz Kaufmann; einen Begleittext zu „Geist in Welt"; und einige Vortragsnotizen, die aus der schwer lesbaren Handschrift transkribiert wurden.

Als „Geist in Welt" 1939 erschien, war Rahner von seinen Ordensoberen längst von der Philosophie in die Theologie „umdirigiert" worden. Sein Vorwort endet mit dem Hinweis, die Studie sei im Mai 1936 abgeschlossen worden. Damals war Rahners Manuskript in der Vorbegutachtung seines Doktorvaters Martin Honecker steckengeblieben, der darin zuviel Einfluß von Heidegger witterte. Die von Honecker verlangte Überarbeitung interessierte Rahner nicht mehr. Er war Ende 1936 in Innsbruck mit einer exegetisch-patristi-schen Arbeit zum Doktor der Theologie promoviert und im Juli 1937 habilitiert worden. Der Innsbrucker Verlag Felizian Rauch brachte das Buch übrigens nur unter der Bedingung heraus, daß der Verfasser ein anderes Buch zur Veröffentlichung anbiete, das sich verkaufen lasse. Daraus wurde das Meditationsbändchen „Worte ins Schweigen", das ein Rahner-Klassiker werden sollte.

Albert Raffelt, dem Rearbeiter dieses Bandes, ist für die sorgfältige Gestaltung der aufwendigen Edition ebenso zu danken wie für seinen instruktiven Editionsbericht, der die Genese der Texte darstellt. Der Titel ist in der Tat eine erste Problemanzeige: „Geist ist gemeint als Titel eines Vermögens, das über die Welt hinausgreifend das Meta-physische erkennt. Welt ist der Name der Wirklichkeit, die der unmittelbaren Erfahrung des Menschen zugänglich ist" (Bahner in der Einleitung).

Wer sich durch den anspruchsvollen Band durcharbeitet, kann erkennen, daß die Stoßrichtung eine theologische war. „Conversio ad phantas-ma", „excessus", „Freiheit" sind einige der Fachbegriffe für das Unternehmen. Glaube, läßt sich mit Rahner sagen, ist Mut zur Welt. Er ruft nicht aus der Welt hinaus, sondern in sie hinein, als Ort, an dem Gott sich zu erkennen gegeben hat. Die Studie endet mit dem Satz: „Und wenn Christentum nicht Idee ewigen, immer gegenwärtigen Geistes ist, sondern Jesus von Nazareth, dann ist des Thomas Metaphysik der Erkenntnis christlich, wenn sie den Menschen zurückruft in das Da und Jetzt seiner endlichen Welt, da auch der Ewige in sie einging, damit der Mensch ihn (und in ihm noch einmal sich selber) finde."

SÄMTLICHE WERKE. Von Karl Rahner. Band 2: Geist in Welt Bearbeitet von Albert Raffelt Verlag Benziger, Solo-thurn und Herder, FreiburgjBr. 1996. 503 Seiten, geb., öS 1.169,-

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