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Zehn Jahre Wort und Wahrheit

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Ah vor zehn Jahren, mitten unter vielen literarischen, kunst- und kulturkritischen Zeitschriften, die nach 1945 in rascher Folge gegründet wurden und in rascher Folge wieder verschwanden, in äußerlich recht unansehnlichem Gewände die ersten Nummern von „Wort und Wahrheit“ erschienen, wagten auch wohlwollende Beurteiler dieser neuen Zeitschrift nicht jene Zukunft zu prophezeien, die sie sich, heute, als Gegenwart erkämpft hat. Neben dem altangesehenen „Hochland“ und den ebenso angesehenen „Stimmen der Zeit“ ist „Wort und Wahrheit“ zur dritten großen Monatsschrift im deutschsprachigen Katholizismus geworden, deren Stimme aber weit hinaus über den Raum der deutschen Sprache und auch des Katholizismus sich ernste Beachtung errungen hat. Wer heute internationale wissenschaftliche und gegenwartspublizistische Veröffentlichungen in der westlichen Hemisphäre durchblättert, begegnet immer wieder Hinweisen auf Aufsätze und Kurzartikel dieser Zeitschrift. Dazu bezeugt die Polemik im Osten gegen diesen und jenen Aufsatz, wie ernst auch dort diese Monatsschrift neuen Typs genommen wird. Ein neuer Typ Zeitschrift im katholischen Raum: eben dieser Tatsache verdankt „Wort und Wahrheit“ seine schwierigen Anfänge und in den letzten Jahren seine steigenden Erfolge. Jeder, der mit Presse und Publizistik im christlichen Raum zu tun hat, weiß, wie schwer es ist, hier neue Versuche, neue Wege zu gehen: und sie einigermaßen heil durchzuhalten durch Jahre und gar Jahrzehnte hindurch. „Wort und Wahrheit“, entstanden in Wien 1945/46 aus einer kleinen Zelle, aus der Gesprächsgemeinschaft Otto Mauers und Karl Strobls, ist in den folgenden Jahren unter Leitung Otto Schulmeisters zu einem deutsch-österreichischen Ge-meinschaftswedi: herangewachsen, das heute seine Schwerpunkte in Wien, Freibure im Breisgau und Köln hat. Damit sind naturgemäß einige innere und äußere Wandlungen verbunden, die aber mit dem natürlichen Hineinwachsen der Zeitschrift in den deutschen Raum gegeben sind Die Stärken des österreichischen Katholizismus liegen nicht in seiner intellektuellen Kultur, in seiner Bildungswelt, sondern in dem Frommsein der vielen „kleinen. Leute“, die ihn lebensmäßig tragen und bezeugen. Die Schicht der Leser einer hochintellektuellen, hohe geistige Ansprüche stellenden Monatsschrift blieb deshalb in Oesterreich immer gering. Es war deshalb für „Wort und Wahrheit“ bereits eine Frage der äußeren Existenz, den gesamten deutschscrachigen Raum für sich zu erschließen. Mindestens ebensosehr aber ging es um die innere Existenz: die Zahl nicht nur der Leser, sondern auch der Autoren hn deutschsprachigen Katholizismus, die an sich selbst einigermaßen hohe kritische Anbruch stellen, ist nicht sehr groß Wenn „Wort und Wahrheit“ nicht an Blutarmut eingehen und in einem neuen Getto dahinsiechen sollte, mußte e* den Schritt aus der Wiener Zelle (die aber heute noch den Kern des Ganzen bildet) wagen.

Worin besteht nun der neue Typ dieser Monatsschrift „für Religion und Kultur“, wie sie sich selbst nennt? Es ist nicht leicht, das mit einem Wort anzusagen. „Wort und Wahrheit“ vereinigt nämlich verschiedene Anliegen, die an sich nicht unbedingt in einer Zeitschrift vereinigt erscheinen müssen. „Religion und Kultur“: das bedeutet zunächst das Streben, einer gebildeten katholischen und christlichen Leserschaft Information und kritische Darstellung der vielen neuen und alten Probleme zu liefern, die heute in Wissenschaft, Kunst und Theologie auf der ganzen Welt zur Debatte, zur Auseinandersetzung stehen bzw. heranreifen. Es gelang in diesem Sinne „Wort und Wahrheit“, den Leser im deutschsprachigen christlichen Raum mit einer großen Reihe von Dichtern, Denkern, Autoren und nicht zuletzt Künstlern bekanntzumachen, die ihm zuvor kaum dem Namen nach bekannt waren. Die kritischen Besprechungen amerikanischer, englischer, französischer literarischer Neuerscheinungen — ein Verdienst Friedrich Hansen-Löves — ist eines der größten Verdienste dieser neuen Zeitschrift. Sie hat dadurch starke und eigene Akzente erhalten, wenngleich sie dafür einen gewissen Preis zahlen mußte, indem sie gerade durch diese Universalität und Intellektualität in manchen Kreisen in den Ruf geriet, „snobistisch“ und allzusehr „high-brow“, für die allerobersten vierhundert Gebildeten im Orbis catholicus redigiert zu werden.

Diese literarische Note, verstärkt durch einen bewüßten Einsatz für moderne christliche Dichtung und christlich inspirierte Gegenwartskunst, ist jedoch nur eine Komponente dieses neuen ZeitSchriftentyps. Was „Wort und Wahrheit“ will, haben seine vieldiskutierten redaktionellen Drei-Stern-Leitaufsätze herauszuarbeiten gesucht. In maßvoller Kühnheit, so daß es auch penible und nervöse katholische Ohren ertragen können, ist hier mehr als einmal der Versuch unternommen worden, für eine innere Reform, für eine echte Erneuerung im europäischen Katholizismus einzutreten. Diese Vorstöße trafen naturgemäß bald hier, bald dort auf Widerspruch. Eine christliche Zeitschrift, eine katholische Zeitschrift spräche sich selbst das Todesurteil, wenn sie nicht hier und dort auf Kritik und Widerspruch träfe. Das Kreuz ist das Zeichen des Widerspruches. Selbst das ärmste Blatt Papier, das christliche Publizistik vertritt, muß wenigstens einmal Widerspruch herausfordern. Freunde der neuen Zeitschrift wiederum haben mehrfach geklagt, daß diese Anliegen innerchristlicher Reform nicht noch akzentuierter, noch deutlicher und noch öfter zum Ausdruck kommen. Statt dessen, so meinen sie, trete allzuoft ein gewisses Lavieren und ein Ausweichen in Fluchtpositionen, wie Dichtung und Literatur, in den Vordergrund. Wer aber die Wirklichkeit kennt — die Wirklichkeit im christlichen Raum —, der wird hier nicht allzu hart urteilen. Das katholische Volk, auch seine Gebildeten, müssen ja erst langsam und mit großer Geduld zu einer selbstkritischen, selbsterhellenden Haltung erzogen werden.

„Wort und Wahrheit“ hat auf seine Weise und mit seinen Mitteln allen katholischen und christlichen publizistischen Organen einen großen Dienst erwiesen mit seiner maßvollen, vorsichtigen Art, doch immer wieder heiße Eisen anzurühren und dabei sich und seine Leser nicht zu verbrennen. In diesem Sinne wünscht gerade die „Furche“ der Monatsschrift „Wort und Wahrheit“ eine gute Gangart für die nächsten Jahre und Jahrzehnte.

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