Stonehenge in Simmering

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Am Zentralfriedhof ist Stimmung! Wolferl Ambros hat es schon vor Jahren gesungen - jetzt sind die Kraftlinien ausgeschildert.

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Am Zentralfriedhof ist Stimmung! Wolferl Ambros hat es schon vor Jahren gesungen - jetzt sind die Kraftlinien ausgeschildert.

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Haltestelle Zentralfriedhof, Tor drei, dann immer gerade aus. Der Weg zum neu gestalteten "Park der Ruhe" am Wiener Zentralfriedhof ist gut beschrieben. Ob sich die versprochene Ruhe und Kraft auch so einfach finden lassen?

Nur wenige, von denen die aus der Straßenbahn steigen, gehen Richtung Friedhof. Für die anderen bedeutet die Anschrift schon zu Lebzeiten Heimat und Wohnstatt zugleich. Die Marktstände links und rechts vom Friedhofseingang sind bereits am frühen Nachmittag beleuchtet und erinnern an einen Christkindlmarkt. Anstatt Punsch und Keksen bieten die eifrig miteinander tratschenden Händlerinnen Grablichter und Blumenschmuck feil.

Eingerichtet wurde der mehr als zwei Quadratkilometer große Zentralfriedhof im Jahr 1874. Die Architektur der Eingangstore und die Inschriften auf den ersten Gräbern, an denen der Weg vorbeiführt, erinnern an längst vergangene Zeiten. Heute ist der Friedhof zu groß geworden. Durch das Auflassen vieler Gräber werden die Freiflächen immer weitläufiger. Damit sich nicht nur Rasen ausbreitet, wurde die Idee einer Parkanlage geboren Doch der Park im Friedhof ist keine gewöhnliche Grünanlage. Dieser Park hat Stimmung! Er ist nach den Grundsätzen der Geomantie angelegt. Ursprünglich bezeichnete der Begriff eine sehr alte Form des Orakels. Seit dem 20. Jahrhundert hat sich eine andere Bedeutungsvariante durchgesetzt. Geomantie heißt heute die Erforschung vermuteter Kraftlinien und -zentren der Erde und ist eine Art esoterische Geographie zum Erspüren des spirituellen Gehalts einer Landschaft. Laut Christof Riccabona, Architekt und Gestalter des Parks der Ruhe und Kraft, wurden die Kraftlinien im Friedhof mit Pendeln und Rutengehen gefunden. Die ausgewiesenen Wege sollen die Kraftfelder erlebbar machen. "Der Sinn dieses Weges der Kraft ist, eine weitere Möglichkeit zu bieten, mit dem Leid umzugehen", erklärt Riccabona.

Heute ist der Park menschenleer. Achtsamkeit ist gefordert. Man wird gezwungen, sich einzubremsen, sonst eilt man mit den ersten paar Schritten schon an einigen Kraftorten vorbei, ohne davon Kenntnis, geschweige denn eine sonstige Auswirkung mitbekommen zu haben.

Der Eingang ist an japanische Torii angelehnt, die im Land der aufgehenden Sonne die Eingänge zu Tempeln und Klöstern bilden. Sie sollen das Verlassen einer Welt und das Betreten einer anderen symbolisieren. Auch mit dem Tor im Friedhofspark ist solches intendiert. Lädt doch die Beschreibung ein, "sich von Alltagsgedanken frei zu machen, zu versuchen, die Schwelle in diesen Garten ohne Sorgen und Kummer zu überschreiten".

Ganz will es nicht gelingen, dieser Aufforderung gerecht zu werden. Nicht einmal das Balancieren auf dem 320 Millionen Jahre alten Neuhauser Granit, der entlang der Kraftlinien aufgelegt wurde und diese anzeigt, kann da helfen. Zwei ältere Damen hasten vorüber. Sie beachten weder die Kraftlinien, noch lesen sie die Beschreibungen bei den Kraftorten. Eine von den beiden will gar den Garten diretissimo durchqueren. Doch die Zweite verweigert. "Wenn ich schon da bin", argumentiert sie, und macht noch einen schnellen Abstecher zur sogenannten "Kathedrale".

Kathedrale: einziger Ort im Park der explizit auf die christliche Religion Bezug nimmt. Doch bei dieser Anspielung bleibt es. Der gemauerte Grundriß ist zwar wie bei vielen christlichen Gotteshäusern nach Osten ausgerichtet. Und in der Beschreibung wird eingeladen, bei Sonnenaufgang hier Erneuerung und Erlösung nachzuempfinden. Jeglicher Verweis auf einen Erlöser unterbleibt jedoch. Ähnliches gilt für die Erklärung der Zwölfzahl. Monate und Tierkreiszeichen werden angeführt; von den Stämmen Israels oder den Aposteln ist nirgends die Rede.

Ein weiteres Torii markiert den Parkausgang und bietet Gelegenheit zurückzuschauen. Spürbar mehr Kälte als Kraft ist durch die Fußsohlen gedrungen. Doch auch das Staunen über scheinbar zufällig und doch nicht zufällig gewachsene alte Bäume hat sich eingeprägt. Guter Stimmung geht's zurück in die Stadt. Also hat der Ort doch was bewirkt, oder war's der Ausflug in der frischen Luft?

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