6554048-1948_11_15.jpg
Digital In Arbeit

Kleine Geschichte in altenHäusern

Werbung
Werbung
Werbung

Wir erzählen weiter von dem alten Wiener Hause, von dem wir begonnen.

Ein Vorwärtseilen der Zeit beginnt, nachdem Saturn den letzten Kanonendonner über Wien im Jahre 1848 in nächster Nähe über sich rollen gehört. Auch der Hausbesitz wechselt bald nach dieser Zeit, er geht laut Grundbuch vom den Fürsten Arenberg auf die Fürstin Auersperg über. Die Zeit der Biedermeierhäuschen und der weitausgedehnten Gärten geht zu Ende. Das Nachbarhaus des Viereckhofes, Hauptstraße 90, bekommt noch das gräfliche Wappen des Malteserritters Grafen von Karatsonyi. Es hat noch als Gartenbesonderheit einen 100jährigen Weinstoch und viele Fliederbüsche. Es wird noch von vielen Festen und besonderen Gästen — au Serbien erfüllt. Man erzählt noch von den Karageorgewitsch — aber neben dem kleinen Arenbergkomplex wachsen bereits die Bauten zu fünf Geschossen in die Höhe. Wuchtig ist die Fassade, langgestreckt die anschließende Gebäudegruppe. Ein einziger steinerner Mamnsschädel über den Hauseingängen deutet noch in, wie schwer die Baulast wuchtet. Verstünde die Gegenwart auszudrücken, was Wesen der neuen Haussorgen bedeutet, es müßte launig zwei Männer in Stein lebendig werden lassen: den Hauswart und den Häuscrverwalter. Welche Sorgen mit der Stiegenbetreuung, welche Sorgen mit den Hausanteilverrechnungen! Bis an die 36 Anteile müssen an solchen Häusern unter zahlreichen Familienmitgliedern verrechnet werden, welche Berechnungskunst gehört dazu, n/us Prozent Anteil zu buchen und auszuzahlen!

Wuchtige Hauskomplexe wachsen, neue Geschäftslokale zerreißen jede bauliche Einheit. Auch der kleine Arenberg-Landhaus- komplex eröffnet sich straßenseitig für Geschäftsleute: eine Blumenhandlung, eine Wollstube, ein Schuhgeschäft, Altwarenhandel, Küchengeräte, Fisch- und Wildbrethandel, lebendiges Bezirksstraßenleben wimmelt straßenseitig um die Häuschen mit den barocken Höfen. Der Park aber, in den Saturn hinausträumen möchte, verschwindet ebenfalls zusehends. Ab 1909 wächst, während Bäume fallen, eine hohe Neubautensied. lung, der Arenbergring, empor, als freundliche, geschätzte Parkoase bleibt der Aren- berg-Park zurück.

Rechtsseitig stehen noch neben dem barocken Gartenpavillon die letzten Erzherzog-Karl-Rosen, um den Springbrunnen schließt sich ein Sitzrondeau, es ist das Schattenrondeau dieses Parks, das Gegenstück zum Donauweibchenrondeau im Stadtpark. Hier darf man ohne Bezahlung Platz im Schatten nehmen.

Die Grotte aus Schilfrohrmorast wird zugeschüttet, ein Hügel bleibt. Man eröffnet eine Meierei, letzte Erinnerung an die Meierhöfe Wiens. Man kann sich hier Milchkuren, den ganzen Tag lang, solange das Sonnenwetter anhält, gönnen. Sitzsesselreihen um die Schlängelwege zwischen zwei Parkhügeln, Sonnenplätze aber müssen bezahlt werden. Saturn am Dachfirst weiß vielleicht annähernd, sofern er Lust hat, Statistiker zu sein, wie viele Gäste und wieviel Sonnenplatzbezahlung auf seiner kleingewordenen Parkdomäne bezahlt wurde. Ei- muß rasch rechnen, denn die Zeit nach 1919, dem Staatsvertrag zu St.-Germain, bringt neu Kurse und Umrechnungen. Saturns Domäne ist österreichischer Bundesschatz geworden. Die Gemeinde Wien übernimmt den Gebäudekomplex 96 bis 100, 92 und 94 wird Sitz des Karitasinstituts. Eine Kindertagesstätte wird im Saturnhaus eröffnet. Ein Kinderplanschbecken wird zu Füßen von Saturns nächstem Ausblick angelegt. Lebendige Wiener Putten bevölkern nun an heißen Sommertagen das lustige Planschbecken, auf den Bankreihen gegenüber sitzen Großmütter und Großväter, strickende Mütter und Tanten, der Alltag der kleinen Leute wimmelt um Saturn. Eine Bronzeplastik von Joseph Müllner, ein Knabe, von Panthern umspielt, auf hohem Steinsocke!, den syrinxspielende Faune tragen, wird unfern aufgestellt. Eines Tages ist er verschwunden — gestohlen. Saturn sieht ihn wiederkehren. Ob die Stadtguardia zu seiner Zeit, die Rumorwache, das Diebstahlsproblem auch so rasch gelöst hätte? Ehe sich Saturn über das erfreuliche Lösen solcher Vorfälle in der Gegenwart erfreuen kann, ist das Jahr 1938 herangekommen. Die Zeit schreitet nicht mehr vorwärts, man wird in die Zeit geschleudert.

1942. Zerschlagen ist die Verbindung zwischen dem Viereck und dem Oktogonhof. Schienen werden angelegt, vom nahen Donaukanal bis zur Ungargasse aufwärts kommt eine kleine Materialbahn angefahren. Die Arenbergbäume fallen reihenweise, die Alleenbäume werden bis zum Geäste in Sandberge eingemauert, Mischmaschinen, Krane arbeiten bei Tag, bei Nacht. Zwei Bauten türmen sich auf, graugrün wachsen sie empor, Staub hängt zwei Jahre lang ständig in der Luft. Sinnlos in dieser Zeit steht der kleine Gartenpavillon an der Rosenseite. Sie sind verschwunden. Umgesiedelt steht der gestohlene Pantherknabe auf dem Schwarzenbergplatz. Dort vollzieht sich ähnliches. Im oberen Belvedere, im Schweizergarten, im Parkrest des alten Esterhazyparks in Mariahilf, im Augarten, überall wachsen Bunkerbauten. Alle Sandsteingottheiten Wiens sehen dasselbe Bild, alle umwohnenden Menschen erfaßt die Furcht vor der Zeit, die kommen wird und kommen muß. Zerstört sind die Somnenparkoasen in den gesamten Wiener Barockgärten, verscheucht sind die Wiener Putenen, die Greise fluchen den graugrünen Ungetümen aus Beton und Stahl.

1944. Die Ungetüme erwachen, wenn umweit Sirenen heulen. Es wimmelt von ungezählten Mensehenmassen in Saturns Bereich, der Bunker verschluckt sie für lange Stunden. Ausgestorben, tot ruht die ehemalige Vorstadt, die ewige Kampfvorstadt des Stadtkerns. Sie raucht, brennt, lange bevor die Menschenmassen den Bunker verlassen dürfen. Brand und Zerstörung ist wieder, wie lange vor Saturns Zeiten, ringsum.

April 1945. Tempore regredimur. April 1463: Stadtbesetzung unter Friedrich III. und Herzog Albrecht. April 1485: Stadtbesetzung unter Matthias Corvinus. April 1645: Stadtbesetzung unter den Schweden. April 1945: Wieder Stadtbesetzung.

Alte Schicksalstage leuchten noch nach Jahrhunderten nach. In der Silvesternacht 1814 ist, kaum entfernt vom Landhaus des Erzherzogs Karl, das Palais Rasumofsky um seine wertvollsten Kunstbestände, um seinen Wunderpark gekommen. Wetterleuchten für Napoleon! Die erste Donauarmbrücke Rasumofskys ist damals erhalten geblieben. Jetzt liegen alle Brücken in Trümmern. Die Zeit ist bitter arm geworden. Mühselig werden die Kampfspuren geräumt. Mühselig nach Brennstoff, nach Nahrung gesucht. Mühselig das Wasser geschleppt. Die Brunnenmasken im Viereckhof sind Nothelfer für einige armselige Haushalte geworden.

Unversehrt trotz allen Kampfhandlungen haben Saturn und seine Putten, ja sogar der Bienenkorb jene Zeit überdauert. Der Denkmalschutz der Stadt Wien hätte ihn kaum schützen können, auch wenn ihn Um'mauerung umgeben hätte. Es scheint, daß es einen Denkmalschutz der Bestimmung gibt. Vorne beim ersten Bunkerbau wird schon 1946 ein Gendarmeriebad angelegt. Man bezahlt wieder die Sonnenseite, man hat dafür ein Strandbad, rinen Rest friedlicher Welt, eine kleine Wasser- und Sonnenoase gewonnen.

Man muß zufrieden sein, Alltagsdinge wie kleine Wunder hinnehmen; Erinnerungen beachten. Man darf ein Wenig träumen und planen. Die graugrünen Flaktürme, die Fluchttürme waren, geben herrlich Fernsicht, man träumt von hängenden Gärten! Man mödite di Höfe betreuen und wahren. Man wünscht den kleinen Leuten ein n friedlichen Alltag, man träumt von neuem gesteigertem geschäftlichem Leben, von Selbständigkeit, von neuer Karitas, von neuer sozialer Fürsorge, von Stimmung, wie sie einmal diese Domäne umgeben hat.

Sie hat genug Fürsprecher: Fürst Esterhazy, Haydn, Mofcart, Lenau, den Hofnat Kleyle, den Sieger von Aspern Brahmj, den Zeitengott Saturn, die letzten Brunnenmasken und den Fleiß und die Ausdauer der vielen kleinen, unbekannten Menschen. Sie werken mühselig ihren Alltag und denken, Bergmenschen, bäuerliche Arbeitsmenschen, wenn auch in einer Stadt gleich jenem Dichter in der Schweiz, C. F. Meyer:

Was kann ich für die Heimat tun,

Bevor ich geh’ im Grabe ruhn?

Was geb’ ich, das dem Tod entflieht?

Vielleicht ein Wort, vielleicht ein Lied -—

Ein kleines stilles Leuchten!

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung