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Arriba las Pesetas!

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Die Arbedtervertreter innerhalb der Arbeitgeber und Arbeitnehmer zusammenschließenden spanischen Einheitssynidikate haben in Madrid getagt. Sie forderten u. a. „äußerste Eile bei der Veröffentlichung und Verwirklichung der Mittel zur Teuerungsbekämpfung”, Erhöhung der zwischenberuflichen Mindestgehälter und Erweiterung des Gesetzes über die Kollektivverträge. Diese Konferenz ist von der Tagespresse, die Falange- und Syndikatszeitungen ausgenommen, mit Schweigen übergangen worden. Dennoch oder deshalb ist sie das bei weitem wichtigste Ereignis im spanischen Geschehen seit vielen Monaten. Denn es wird mit Entschlossenheit ein Problem angegangen, das seit zumindest einem Jahr dem Spanier auf der Haut brennt: Teuerung und Inflation.

Niemand kann das „spanische Wirtschaftswunder” leugnen, die sicht- und wägbaren Fortschritte auch auf sozialem Gebiet. Aber niemand kann auch die Kehrseite der Medaille übersehen: die Pauperi- sierung bestimmter Gesellschaftsschichten, des Landproletariats und kleinen bis mittleren Landbesitzer- tums, ferner den Kaufkraftverlust des Industriearbeitereinkommens und schließlich das Fortbestehen eines Mindestlohns, der mit 60 Pesetas täglich (genau ein Dollar) zum Hungern zwingt. Denn bedenkt man, daß eine christliche Unternehmerorganisation den täglichen Mindestaufwand einer vierköpflgen Familie unter Zuhilfenahme rein theoretischer Preise, die in Wirklichkeit auf keinem Markt mehr bestehen, auf 188 Pesetas festlegt, was ein Monatseinkommen von 5640 Pesetas voraussetzt, so darf man behaupten, daß ein Teil der spanischen Bevölkerung hungert, jene etwa 15 Prozent, die weniger als 5640 Pesetas verdienen und eine vierköpfige Familie erhalten müssen.

Die spanische Gesellschaft ist Wirtschafts- wie sozialpolitisch im tiefsten und mitleidlosesten Manchesterliberalismus verstrickt. Daß hier ein fabulöser Reichtum besteht, der oft den von Texas-Ölmillionären übertrifft, ist bekannt, doch sucht man ihn nur beim Großgrundbesitz. Der aber ist ‘in jeder Hinsicht bereits museumsreif. Der wahre Riesenreichtum liegt in der Hand einiger, zumeist adeliger Bankiers und Finanziers, die praktisch alle wesentlichen Teile der Groß- und Schwerindustrie kontrollieren. Doch alle anderen Gesellschaftsklassen, wenn auch in unterschiedlichem Maß, haben ausnahmslos unter der Inflation zu leiden. Als Ursache bezeichnen die Manchesterliberalen, die wahren Herren des Landes, die Lohnerhöhungen, die bei weitem die Produktivität übersteigen würden. „Falsch”, hält ihnen der mit einem großen Tropfen sozialistischen Öls gesalbte falangistische Arbeitsminister Romeo entgegen und bezeichnet die Argumente der „Landesherren” als „Demagogie der Rechten”. „Vor allem muß erreicht werden”, rief er vor dem Fernsehen aus, „daß die Löhne nicht ihre Kaufkraft verlieren, und zwar mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln!”

Die Lesart des Ministers

Die Arbeitersektion der Syndikate klatschte Beifall, aber das Hochkapital erhielt Schützenhilfe vom Handelsminister Ullastres, Mitglied des hier mächtigen Laienordens „Opus Dei”. Er sieht als die eine gerechtfertigte Ursache der Teuerung die höheren Preise für landwirtschaftliche Produkte an (die nicht dem Erzeuger, sondern, wie statistisch belegbar, ausschließlich dem Zwischenhandel zugute kommen). Die andere findet er in den Lohnerhöhungen, die, gemäß dem „Entwicklungsplan”, dessen Kommissar Lopez ebenfalls ein „Opus- Dei”-Mann ist, nur 6 Prozent jährlich steigen dürften, wogegen man jedoch Lohnforderungen (nicht tatsächliche Lohnverbesserungen) von 40 Prozent begegne. Immerhin gibt selbst Ullastres zu, daß es „einige Mißbräuche seitens der Zwischenhändler gibt”, doch wollte er nicht so weit gehen wie sein falangisti- scher Kollege Romeo, der „Strukturmängel auf unserem Markt” konstatiert.

Dem Minister antwortete ein ein-

ziger empörter Aufschrei im Land. Nicht in der streng zensurierten Tagespresse, aber in den vielen christlich-demokratischen Zeitschriften, die hauptsächlich dank dem Konkordat sich beachtlicher Freiheit erfreuen. Sagen wir es gleich: mit Erfolg, denn eben erklärte Ullastres, daß er nie an ein „Einfrieren” der Löhne gedacht habe. Allgemein wird eine Kontrolle der schamlosen Gewinne gefordert, es wird unverhüllt von Inflation gesprochen, wogegen „Plankommissar” Lopez nur von einer „inflationären Tendenz” hören will, es wird nicht Reform, sondern eine totale Umwandlung, also die soziale Revolution gefordert, ein Umdenken hinsichtlich des Besitzbegriffs, und diesen tapferen christlichen Demokraten sekundiert, zensurbedingt vorsichtiger, die Syndikatszeitung „Pueblo”, die den „Demagogen von rechts” ihre wahnwitzigen Einkommen, ihr unsoziales Verhalten, die Riesenspanne zwischen Produzen ten- und Verbraucherpreisen vorwirft. Vor allem aber hält der nichtmarxistische sozialistische Volkswirtschaftler Ramon Tamames in einer christlich-demokratischen Zeitschrift dem „System” den Spiegel entgegen. Er verwirft den Plan, die Löhne in vom Staat überwachte „Renten” umzuwandeln, da der Produktionsfortschritt von den die Initiative stimulierenden Kollektivabkommen abhängt. Spekulation und Paternalismus werden gleichermaßen als Attribute des heutigen Spanien angeprangert, und Tamames fordert, die in einer gewissen Phase der kapitalistischen Entwicklung unumgängliche Inflation durch Schockimporte zu bekämpfen, d. h. echte Wettbewerbsmarktbedingungen zu schaffen. Wenn nicht, werde die heute halsstarrige Unternehmerschaft sich in einigen Monaten infolge Massenemigration der Arbeiterschaft unter ungünstigeren Bedingungen zu Verhandlungen mit den Syndikaten bereitfinden müssen.

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