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Bauernsturm auf Erdgas

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Zu den Schwefelgruben kommt in Sizilien das Erdöl, in der Basilikata das Erdgas. Die Fundstätten von Fer-randina in Unteiiitalien fördern das Methan in so großen Mengen, daß der süditalienischen Industrie von Bari, Brindisi und Tarent eine weitere billige Energiequelle zur Verfügung stehen wird. Die Entdeckung des Erdgases in Ferrandina durch die E. N. I. hat Episoden nach sich gezogen, die in erschütternder Weise zeigen, welche Hoffnungen und Erwartungen die Bevölkerung in jede industrielle Initiative setzt, um von ihrem säkularen Elend erlöst zu werden. Die Kompanie sah natürlich keine Möglichkeit, das Erdgas an Ort und Stelle, in dem von allen großen Verkehrswegen abgeschnittenen Ferrandina zu verwenden, sondern gab den logischen Beschluß bekannt, das Gas nach der Küste, zu leiten und dort den Großverbrauchern, der Industrie, zu verkaufen. Die Bauern von Ferrandina glaubten sich eines gehobenen Schatzes beraubt, es kam zu Zusammenrottungen, zur Besetzung der Fördertürme, zu Gewaltakten, für die nur die verzweifelte Stimmung Erklärung gibt. Inzwischen hat die Kompanie beschlossen, auch die Bewohner von Ferrandina an dem neuen Reichtum Anteil nehmen zu lassen und durch Errichtung eines chemischen Werkes Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen.

Um sich ein richtiges Bild von der Urheberschaft der Initiativen im Süden zu machen, muß in Betracht gezogen werden, daß zwei Drittel von ihnen, 66 Prozent, aus dem Süden selbst kommen, 34 Prozent aus Mittel- und Norditalien und 5 Prozent aus dem Ausland. Die Promotoren des Südens zeigen aber mehr Interesse an mittleren und kleinen Betrieben, mit entsprechend geringerem Risiko, so daß dem Kapitaleinsatz nach nur 35 Prozent aus dem Süden stammen, 57 Prozent aus dem Norden und 8 Prozent aus dem Ausland. Es zeigt dies, daß die privaten Unternehmer ihr anfängliches Zaudern überwunden haben, wahrscheinlich auch, durch das Beispiel der staatlichen Initiative angeregt. Dieser eröffnen sich freilich Möglichkeiten wie sie der privaten Industrie nicht zu Gebote stehen. Der Unternehmer Staat hat nicht den Gewinn allein zum Gesellschaftszweck, sondern auch die soziale Förderung. Während die Privatwirtschaft an die Amortisierung innerhalb einer vernünftigen Zeitspanne denken muß, kann es sich der staatliche Betrieb auch erlauben, eine gewisse Zeit lang mit Verlust zu arbeiten, wenn nur ein anderer sozialer Zweck, die Beseitigung der.Arbsits-losigkeit etwa, damit erreicht wird. Den Staatsbetrieben ist daher auch zur Auflage gemacht, vierzig Prozent ihrer Gewinne wieder im Süden zu investieren.

Der Arbeiter oder Bauer im Süden ist vom Esel gestiegen und fährt auf dem Motor herum; inzwischen aber sitzt der Arbeiter in Turin oder Mailand in seinem Fiat-Wagen;'statt den Sonntag mit einem Trinkgelage unter Freunden in einer armseligen „Bar“ zu feiern, sitzt der Bauer im Süden jetzt mit seiner Familie am Fernsehapparat; der Arbeiter Turins, Mailands oder Genuas aber macht drei Wochen Ferien in den Dolomiten, an der Riviera oder sogar im Engadin. Der Bildschirm der TV enthüllt dem Volk des Südens eine Welt, von der es sich bislang keine Vorstellungen zu machen gewußt hatte, die Welt der Schlagerfestivals, der Filme aus Hollywoods Traumfabrik, de überspannten Starkults. Unvorbereitet, glaubt es an die Realität dieser Welt, wo die Bewohner des Nordens gut genug den Trennungsstrich zwischen Traum und Wirklichkeit zu ziehen vermögen. Aus Deutschland, aus der Schweiz, aus Frankreich kehren die Gastarbeiter in ihr Dorf zurück und berichten von dem unbegreiflichen Wohlstand von ihresgleichen in jenen Ländern.

Das alle erzeugt Groll und Protest gegen die eigenen miserablen Lebensbedingungen und jene, die man dafür verantwortlich hält Die Jahre des langsamen, aber sichtbaren Aufstiegs fallen zusammen mit den Jahren kommunistischer Wahlerfolge im Süden. Konservative Kurzsichtigkeit hat die Regierungen geradezu beschuldtigt mit ihrer Entwicklungspolitik den Süden dem Extremismus zuzutreiben, als ob sich die Sizilianer oder Kalabresen in diesen Jahren protestlos mit des Esels Schatten zufriedengegeben haben würden. Die Entwicklung des Südens, nach jahrhundertelanger Vernachlässigung, bedarf zur Erreichung der gewünschten Ziele auch einer langen geistigen Vorbereitung, die mit der Bekämpfung des Analphabetentums beginnt und mit einer wirklichen Berufserziehung fortgesetzt werden muß. Die Wichtigkeit der Schulbildung ist erst in diesen Jahren praktisch eingesehen worden, denn wie die Trak-tätchen über die Erlösung des Südens keine Abhilfe schafften, so nützten auch die theoretischen Erörterungen über Reformen dies Schulwesens nichts, solange es an Räumen und Lehrern mangelte. Der zehnjährige Schulplan der derzeitigen Regierung Fanfani will endlich die notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung stellen. Das Budget des Unterrichtsministeriums sieht in diesem Jahr 16 Prozent der Gesamtausgaben des Staates vor: damit ist zum erstenmal das Budget des Ministeriums für Landesverteidigung übertroffen.

Daß die Entwicklungspolitik für den Süden letzten Endes zur Demokratisierung und nicht zum Extremismus führt, ist auch aus den letzten Resul-

Die, Kf hat dcutllstie^Rflqläiiyttgelitten. Ai,s typiscji;könnte das Beispiel von Tarent genommen werden, wo die Errichtung der Stahlwerke der Italsider eine fühlbare Verminderung der Arbeitslosigkeit mit sich gebracht hat, unter der dieser einstige Kriegshafen durch die Verminderung der Flotte und der Arbeit im Arsenal besonders gelitten hatte. Ein ganzes Jahrzehnt lang sind Stadt und Provinz unter kommunistischer Verwaltung gestanden, die geänderten politischen Beziehungen zwischen der christlichdemokratischen Regierungspartei und den Linkssozialisten haben aber auch eine Veränderung des Kräfteverhältnisses mit sich gebracht. Tarent wird heute durch die Koalition der linken Mitte verwaltet, die kommunistische Hegemonie ist gebrochen. „Ohne die Italsider mit ihrem Walzwerk wäre die .linke Mitte' in Tarent niemals zustandegekommen“, hat der Ortsobere der KP zu einem Journalisten bitter bemerkt.

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