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Der Diplomat

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Unsere an politischem Aberglauben reiche Zeit und zumal ihre öffentliche Meinung ist oft der Ansicht, heute bedürfe es keiner Diplomaten mehr. Ihre Zeit sei vorüber. Politik wird von „Führern“, Präsidenten, Parteikomitees und Kongreßausschüssen gemacht. Die Außenpolitik wird in aller Oeffentlichkeit abgesprochen in den Debatten der Parlamente. — Nichts ist jedoch vielleicht so charakteristisch für den Wandel in unserer Nachkriegszeit und ihren möglichen Uebergang in eine Epoche friedsamerer Auseinandersetzungen der Weltvölker als das immer sichtbarer werdende Gewicht der Diplomatie. Der „Geheimdiplomatie“, wenn man so will — soeben hat ja Paul Henri Spaak, einer der prominentesten Führer des westeuropäischen Sozialismus, eine Lanze für sie gebrochen. Der Diplomatie als Arbeit berufener Fachleute. Niemand hat vielleicht so viel Wert gelegt auf die Ausbildung seiner Diplomaten wie die Sowjetunion, die für jede Perspektive und Aufgabe heute eigene Garnituren von hervorragenden Sachkennern und Könnern besitzt. Die Neubesetzung ihrer Botschafterposten in Washington, London, Paris — soeben sind ihre Vertreter zur Absprache nach Moskau berufen worden — stellt jeweils ein Ereignis erster Ordnung dar, ebenso wie etwa die amerikanische „Besetzung“ in Bonn und Moskau. Das soeben erfolgte Revirement in der österreichischen Diplomatie, die zahlreichen Neubesetzungen am Ballhausplatz in Wien, fügen sich in diesen Zusammenhang ein. Es korrimt wieder eine neue Zeit herauf für Diplomaten. Für berufliche und berufene Unterhändler, die die Aufgabe haben, die vielfältigen Interessen ihrer Regierungen anderen Regierungen und Völkern verständlich zu machen. „Die Oesterreichische Furche“

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Unsere an politischem Aberglauben reiche Zeit und zumal ihre öffentliche Meinung ist oft der Ansicht, heute bedürfe es keiner Diplomaten mehr. Ihre Zeit sei vorüber. Politik wird von „Führern“, Präsidenten, Parteikomitees und Kongreßausschüssen gemacht. Die Außenpolitik wird in aller Oeffentlichkeit abgesprochen in den Debatten der Parlamente. — Nichts ist jedoch vielleicht so charakteristisch für den Wandel in unserer Nachkriegszeit und ihren möglichen Uebergang in eine Epoche friedsamerer Auseinandersetzungen der Weltvölker als das immer sichtbarer werdende Gewicht der Diplomatie. Der „Geheimdiplomatie“, wenn man so will — soeben hat ja Paul Henri Spaak, einer der prominentesten Führer des westeuropäischen Sozialismus, eine Lanze für sie gebrochen. Der Diplomatie als Arbeit berufener Fachleute. Niemand hat vielleicht so viel Wert gelegt auf die Ausbildung seiner Diplomaten wie die Sowjetunion, die für jede Perspektive und Aufgabe heute eigene Garnituren von hervorragenden Sachkennern und Könnern besitzt. Die Neubesetzung ihrer Botschafterposten in Washington, London, Paris — soeben sind ihre Vertreter zur Absprache nach Moskau berufen worden — stellt jeweils ein Ereignis erster Ordnung dar, ebenso wie etwa die amerikanische „Besetzung“ in Bonn und Moskau. Das soeben erfolgte Revirement in der österreichischen Diplomatie, die zahlreichen Neubesetzungen am Ballhausplatz in Wien, fügen sich in diesen Zusammenhang ein. Es korrimt wieder eine neue Zeit herauf für Diplomaten. Für berufliche und berufene Unterhändler, die die Aufgabe haben, die vielfältigen Interessen ihrer Regierungen anderen Regierungen und Völkern verständlich zu machen. „Die Oesterreichische Furche“

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Mittler zwischen den Völkern! Welcher Beruf, der nur etwas auf sich halt, beanspruchte nicht, bei der Annäherung der Nationen eine wichtige Rolle zu spielen. Wir leben in einem Zeitalter der internationalen Zusammenkünfte, die selbstverständlich alle dem Frieden und der Verständigung dienen. Ach, vor der Tatsache eines unruhigen, gefährlichen Zeitalters, in das wir, jeden Abend vor dem Mor.gen zitternd, gebannt sind, schrumpfen die Hoffnungen rasch und sehr ein, die man auf die Mittlerschaft dieses oder jenes Berufes setzen könnte. Von den drei Berufen: den leitenden Staatsmännern, Wirtschaftsführern und Diplomaten, die je nachdem Mittler der Völker oder gebietende Rufer im Streit sein können — ein vierter Beruf, der des Militärs, ist heute überall der Zivilgewalt wesentlich unterordnet und wenn dieser Zustand auf revolutionärem Wege durchbrochen wird, dann verwandelt sich der siegreiche Offizier rasch in den Staatsmann —, von jenen drei von uns genannten Berufen also ist es der des Diplomaten, dem die größte Verantwortung, die weitesten Möglichkeiten im Völkerverkehr anheimgegeben sind.

Der Staatslenker entwirft Programme, er erteilt die Befehle, der Wirtschaftskapitän in kapitalistischen, der Planleiter in sozialistischen Ländern hat sein gewichtiges Wort in der Politik mitzusprechen, doch es wird stets vom Diplomaten abhängen, inwieweit und auf welche Weise sich die Beziehungen von Nation zu Nation gestalten. Der Diplomat pflegt den Kontakt mit den Maßgebenden des Landes, bei dem er beglaubigt ist; e r ist der einzig bevollmächtigte Sprecher seiner eigenen Gemeinschaft, von seiner Klugheit, Gewandtheit und Geistesgegenwart, von seinem Scharfblick hängt es ab, wie er die ihm gewordenen Aufträge ausführt. Anderseits bestimmen seine Berichte die Auffassung, die sich die Regierenden seiner Heimat von der Gemeinschaft machen, in der er tätig ist. Der Diplomat erscheint eben, und n u r e r erscheint einzig in dieser Funktion, nicht etwa nebenbei auch als Mittler der Völker, sondern er ist wesenhaft der Mittler der Völker. Oder auch, fügen wir mit der gebotenen Vorsicht hinzu, er sollte es sein. Der Umstand, daß so mancher Diplomat seinen Aufgaben nicht gewachsen war und daß der eine oder andere aus dieser bevorrechteten Zunft seine Stellung für das Gegenteil dessen mißbrauchte, dem er nachstreben sollte, das alles hindert nichts an der vordring-'ichen Sendung des Diplomaten, Mittler der

Völker zu sein. Mittler und V e r-mittler.

Der finnische Gesandte in Prag, der auch in Wien beglaubigt ist, hat in einem bedeutenden Buch die Anfänge der Diplomatie geschildert und gezeigt, wie sie mit den frühesten Versuchen eines freundlichen Miteinander der Menschengemeinschaften an Stelle des vorherigen dauernden Kampfes aller gegen alle verknüpft sind. Mittler waren die ständigen oder zeitweisen Vertreter fremder Staaten schon darum, weil sie am ehesten und am umfänglichsten die Kenntnis von der wahren Art anderer Nationen heimnahmen. Völkerhaß wurzelt beinahe immer in mangelnder Kenntnis des Auslandes, sodann im Abscheu vor Denken und Sitten, die von der eigenen Gewöhnung, — der einzig guten, klugen, rechten, — abweichen. Der Abgesandte, der Diplomat, lernt d i e kennen, die nicht wie er sind; er lebt bei ihnen und mit ihnen; er sieht, daß sie Menschen sind wie du und ich, mitunter sogar bessere, klügere als wir. Er birgt diese Erfahrung in seine Erzählungen und Berichte; yon ihnen strahlt derlei Wissen aus auf Staatslenker, Gelehrte, Schriftsteller, heute auch auf Presse und Rundfunk.

Der Diplomat bemüht sich nicht minder — oder er soll sich bemühen — dort, wo er akkreditiert ist, sein Land, sein Volk in dessen Leistungen darzutun, es zu rühmen, soweit an ihm Preisliches ist, und es verständlich, entschuldbar zu machen, soweit es an Mängeln und Fehlern leidet. Faire comprendre, c'est faire pardonner. Verständnis hat Verzeihung zur Folge. Doch der Abgesandte eines Staates ist ja keiner des großen göttlichen Ratschlusses, keiner, der unbekümmert um Lohn nur den reinsten Zielen dient. Er muß die Interessen seines Landes wahren, er ist auch ein Vermittler, ein Makler. Wohl ihm, wohl uns, wenn er, wie Bismarck von sich sagte, ein ehrlicher Makler ist. Dann heimst er zwar die Gebühr, das ihm Gebührliche für seine Regsamkeit ein, doch beide Teile, alle, die an dem Geschäft beteiligt sind, haben Ursache zur Zufrieden heit. Es ist ein Ausgleich zwischen einandei widerstrebenden Belangen getroffen worden-Konflikte, Zusammenstöße sind unterblieben Wie sieht nun die doppelte Aufgabe des Diplomaten als Mittler und als Vermittler heute in der Praxis aus?

Man hat sehr viel von der Demokratisierung der Diplomatie gesprochen und geschrieben. Einiges davon ist nicht nur auf dem geduldigen Papier und im nicht weniger ge-

duldigen Aether Wahrheit geworden. Vornehmlich, was die persönliche Seite betrifft. Von ein paar Mittelstaaten abgesehen, sind überall die Schranken gefallen, die den Nichthochgeborenen oder zum mindesten den nicht von Höchstbegüterten Abstammenden den Eintritt in die „Carriere“ verwehrten. Im Osten sind dagegen Barrieren aufgerichtet die den Sprossen der bisherigen Oberklassen, mit geringen Ausnahmen, den Zugang zu Botschaften und Gesandtschaften verwehren. Wir haben heute Exzellenzen, die in ihrer lugend an der Drehbank standen oder als Setzer in der Druckerei; einstige Lehrer, Bergarbeiter, Eisenbahner haben in den Volksdemokratien den Sprung in die exklusivste Laufbahn getan. Im Westen hat man wenigstens den Söhnen von armen Intellektuellen, in seltenen Fällen auch von Bauern und Kleinbürgern Einlaß in die Diplomatie gewährt. Das alles fügt sich zusammen, um dieser das Kastenmäßige, Abgeschirmte zu nehmen.

Es wäre aber irrig, wollte man deshalb in diesem Wände! sofort den Beginn einer Aera erblicken, in der nach dem Ende der Geheimdiplomatie nur noch die Diplomatie der offenen Türen, und zwar von geistreichen, überklugen Naturgenies betrieben wird. Hatte man vor nicht zu langer Zeit die Automobilkennzeichen des Corps diplomatiques, C. D., im französischen Volksmund mit „cretin distingue“ oder mit „contrebandier diplome“, mit „vornehmer Schwachkopf“ oder mit „geprüfter Schmuggler“ aufgelöst, so lag in derlei Worten mehr vom Vorurteil der Massen gegen eine sich absondernde Schicht als von gegründetem Urteil. Die Geschichte des neunzehnten und der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts ist voll von Beispielen hervorragender Diplomaten, die sich als vorzügliche Mittler der Völker, als feinsinnige Kennet und Künder fremder Kulturen bewährt hatten. Und es soll vorkommen, daß sich unter den auf breiter demokratischer Grundlage ruhenden Diplomaten von heute

Schwacliköpfe befinden, denen der mildernde Beisatz der Distinktion fehlt; auch an gelegentlicher Verwertung der diplomatischen Vorrechte zu sehr privaten wirtschaftlichen Zwecken hat es in jüngster Zeit nicht gemangelt. Trotzdem, die Diplomaten unserer Tage sind, weniger gesellschaftlich eingeengt als ihre Vorläufer, mehr denn je in der Lage, völkerverbindend zu wirken.

Der Diplomat als Mittler besucht das Volk an seiner Arbeit in Fabrik und Werkstatt, am Pflug und im Laboratorium; er hat regen Verkehr mit Vertretern aller Berufe. Er liest die Zeitungen aller Parteien, trachtet nach Fühlung mit sämtlichen politischen Gruppen. Er widmet dem religiösen Leben seine Aufmerksamkeit. Er hält sich auf dem laufenden über Theater und Kunst, Literatur, Film und Sport. Er beobachtet die Bewegungen auf dem Wirtschaftssektor wie die der geistigen Atmosphäre. Kurz, er lebt mit der Nation, zu der er die Verbindung aufrechterhält. Er fühlt, er beobachtet intensiver als die Einheimischen und, Gast auf eine, wenn auch lange Weile, und sei es auf Langeweile, sieht er auf eine Meile dort, wo der Blick der Eingeborenen durch Kurzsichtigkeit gehemmt wird. Er wird, er muß jeden Moment auf der Lauer sein, um günstige Gelegenheiten zu erfassen, die Beziehungen zum Empfangsstaat besser, inniger zu gestalten; um aufziehende Wolken am politischen Horizont zu verscheuchen.

Es obliegt dem Diplomaten des weiteren, ein Botschafter, ein Gesandter nicht nur seines Souveräns, seiner Regierung zu sein, sondern auch der Wesenheit, des Vollbringens, der Denkensweise, des Empfindens seines Volkes,

seiner Kultur und seiner Gesinnung. Er sucht von dem allen möglichst Vielen eine möglichst vielseitige, eindrucksame Vorstellung zu bieten. Diesem Zweck aber sind die mannigfachsten Methoden geweiht: Gespräch und gesellschaftliche Berührung jeder Art mit den Machern und Dienern der öffentlichen

Meinung, also mit Parlamentariern, Zeitungsleuten, Professoren der Hochschule, Schriftstellern, Kinomännern; unkennbar inspirierte oder offen bekannte propagandistische Veröffentlichungen in der Presse, in Broschüren und Büchern; Ausstellungen und Kulturfilme; Vorträge von ausgezeichneten Repräsentanten des eigenen Heimatlandes; Veranstalten von Reisen einzelner wichtiger Persönlichkeiten oder geschlossener Gruppen des Empfangsstaates in das Vaterland des Diplomaten, das sind nur einige der Aufgaben, die der Botschafter und Gesandten, ihrer Räte, Sekretäre und Attaches harren.

Den Kern ihrer Tätigkeit aber, das Ent-

scheidende muß nach wie vor das Streben bilden, im engen Kreis der Regierenden, der Machthaber freundliche Gefühle und vor allem das Bewußtsein der Interessengemeinschaft mit dem Lande des Diplomaten zu wecken. Daran vermag keine Demokratisierung das leiseste zu ändern. Will der Beauftragte eines Staates ein erfolgreicher Mittler und Vermittler sein, dann heißt es, den Hebel dort ansetzen, wo das wahre Kraftzentrum sich findet, also bei den Inhabern der realen Gewalt. Subtilste Staatskunst, von deren Feinheit das Schicksal der Nationen und des einzelnen nur zu oft bedingt wird, muß die Diplomatie nicht nebelhaften, verschwommenen Zielen nachjagen, sie darf nie das Sollen mit dem Sein verwechseln. Sie wird darum stets dessen eingedenk bleiben, daß die schönsten Sportfeste, die glänzendsten Tagungen der Gelehrten und Schriftsteller, die blendendsten Erfolge einer Kunstschau oder eines Theaterstücks niemals jene Viertelstunde an Wichtigkeit übertreffen, in der es einem, der nicht nur Gesandter, sondern auch Geschickter ist, gelingt, maßgebende Lenker der Völkerschicksale für die Freundschaft mit seiner, des Diplomaten, Nation zu gewinnnen und ebendiesen Mächtigen den Vorteil derartiger Verbundenheit eindringlich zu erweisen. Der richtige Mittler wird eben gleichermaßen zum Hirten und zur Herde sprechen, und es ist das besondere Charisma des Diplomaten, daß er dabei jedem, dem Hirten und der Herde, das Bewußtsein einflöße, der oder die zu sein, an den sich der herzliche, der an Gefühl und Vernunft appellierende Anruf wendet.

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