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Der jugoslawische Film — heute

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Obwohl sich Jugoslawien durch seine gemäßigte politische Haltung von den anderen Oststaaten unterscheidet und es als südöstlicher Nachbar an Österreich grenzt, sind wir in kinematographischer Hinsicht von der jugoslawischen Produktion weiter entfernt als von den USA oder sogar von Japan; selbst Fachleute wissen hierorts kaum etwas über den künstlerischen oder thematischen Gehalt des gegenwärtigen Filmschaffens dieses Landes, obwohl sich dieses eines starken ausländischen Fremdenverkehrs erfreut, der nicht zum geringen Teil von Deutschen oder Österreichern bestritten wird. Doch jugoslawische Filme sind im deutschsprachigen Raum nur wenig bekannt...

Das alljährlich stattfindende nationale Filmfestival in Pula — oder Pola, wie die Küstenstadt in Istrien als ein Teil der österreichischen Monarchie bis zum Ende des ersten Weltkrieges hieß — gewährt die großzügigste Filmübersicht über den Produktionsstand eines kleinen Landes, eine vorbildliche Filmmesse, die sich in ähnlicher Lage befindliche Filmländer als Vorbild nehmen sollten (anstatt sinnlose und international völlig bedeutungslose Festivals zu kreieren). Der Film-interessierte hat dort die Möglichkeit in einmaliger Geschlossenheit und kompletter Übersicht die Gesamtproduktion eines Jahres (eben von Festival zu Festival, das immer im Sommer abgehalten wird) kennenzulernen und die Thematik, Qualität und den technischen Fortschritt zu studieren, die die herrschende kulturelle Problematik und geistige Lebensform widerspiegeln. Denn wie kein zweites Massenmedium ermöglicht gerade die Kinematographie — viel stärker noch als die Literatur, deren Angebotsüberflutung einen klaren Überschlag nicht mehr zuläßt — grundsätzliche Schlüsse über soziale Lebensformen und psychologische Verhaltensweise (der Produzenten, die das Interesse der Konsumenten vorwegnehmen) zu ziehen.

Das diesjährige, 12. Festival in Pula stellte die Spielfilmproduktion des Jahres 1964/65 (kinosaisonmäßig gesehen) zur Diskussion, insgesamt 20 Spielfilme, die sehr aufschlußreich den Bogen der Thematik bilden, der die jugoslawische Kinematographie der Gegenwart beschäftigt. Auf die einzelnen Filme näher einzugehen, ist hier weder der Raum noch die Notwendigkeit — da kaum anzunehmen ist. daß einzelne Filme davon auch in die österreichischen Lichtspieltheater gelangen werden. (Der niveaumäßig

überaus bemerkenswerte Kurzfilm, von dem in Pula eine kleine Auswahl gezeigt wurde, ist ein anderes Kapitel und weit eher einer ausführliche Betrachtung wert!) Eine kurze Zusammenfassung grundsätzlicher Natur genügt zur Kennzeichnung der Filmsituation.

Die jugoslawische Filmindustrie hat sowohl themen- als auch gestaltungsmäßig den Anschluß an den internationalen Standard noch nicht erreicht; die inhaltliche Problematik ist vorwiegend auf nationale Lebens- und Geistesfragen beschränkt (dies kann ein Vorteil sein, wenn die Gestaltung darüber hinaus internationale Gültigkeit besitzt, was jedoch nur in ganz wenigen Ausnahmen der Fall ist); Hauptthema ist nach wie vor der Krieg, der Widerstandskampf und Partisanenmut, jedoch in einer Form behandelt, die sowohl der Westen als auch der Osten — siehe die Filme der CSSR und Polens — schon überwunden hat. Das zweite brennende nationale Problem ist dann der Einfluß des westlichen Kapitalismus, der — meist in Komödienform behandelt — ebenso groteske wie für den östlichen „Sozialismus“ gefährliche und unangenehme Erscheinungsformen mit sich zu bringen scheint. Schließlich ist noch der Kampf der Generationen, das Einfügen sowohl der Kriegsgeneration als auch der Jugend in das moderne jugoslawische Gesellschaftsbild, das auf einem Mittelweg zwischen den zwei politischen Weltanschauungsformen laviert, in vielen Filmen variiert zu bemerken. Die wohl von modernen Strömungen und „Wellen“ beeinflußte Gestaltungsweise ist jedoch noch nicht stark genug, um dem jugoslawischen Filmschaffen der Gegenwart eine künstlerisch adäquate, über nationale Interessen hinauswachsende Bedeutung zu verleihen.

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