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Mit Tito und der Loren

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Mit der Festvorführung des 10-Millionen-DoIlar-FiIms „Bitka na Neretvi“ von Veljko Bulajic, dem jugoslawischen Tschiaureli, wurden in Anwesenheit von Marschall Tito und seines Ehrengastes Sophia Loren (die sich in diesem sozialistischen Land in sehr kapitalistischer Form eine „Insel“ als standesgemäße Residenz gekauft hat) heuer die 17. jugoslawischen Filmfestspiele in Pula (früher Pola) eröffnet; und anschließend, um Mitternacht, fand für einige hundert Gäste auf den Terrassen des Touristenerholungsbetriebs „Verudela“ ein Festempfang statt — wobei säuberlich die Terrassen nach der Prominenz der Anwesenden getrennt waren: in der oberen residierte der Marschall wie ein orientalischer Potentat mit dem schönen Star und seiner „neuen Klasse“, in der daruntergelegenen waren die unwichtigen Personen, Journalisten, Ausländer usw., zusammengestopft... Und während oben Hummer und andere Köstlichkeiten serviert wurden, unten die unbedeutenden Gäste sich um ein kaltes Büfett raufen konnten, durften Touristen und Neugierige in respektvoller Entfernung den Glanz des Sozialismus bestaunen — selbstverständlich streng bewacht von einer kaum zählbaren Soldatenschar, die mit entsicherter Maschinenpistole hinter Jedem Strauch wie Heinzelmännchen hervorlugten...

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Mit der Festvorführung des 10-Millionen-DoIlar-FiIms „Bitka na Neretvi“ von Veljko Bulajic, dem jugoslawischen Tschiaureli, wurden in Anwesenheit von Marschall Tito und seines Ehrengastes Sophia Loren (die sich in diesem sozialistischen Land in sehr kapitalistischer Form eine „Insel“ als standesgemäße Residenz gekauft hat) heuer die 17. jugoslawischen Filmfestspiele in Pula (früher Pola) eröffnet; und anschließend, um Mitternacht, fand für einige hundert Gäste auf den Terrassen des Touristenerholungsbetriebs „Verudela“ ein Festempfang statt — wobei säuberlich die Terrassen nach der Prominenz der Anwesenden getrennt waren: in der oberen residierte der Marschall wie ein orientalischer Potentat mit dem schönen Star und seiner „neuen Klasse“, in der daruntergelegenen waren die unwichtigen Personen, Journalisten, Ausländer usw., zusammengestopft... Und während oben Hummer und andere Köstlichkeiten serviert wurden, unten die unbedeutenden Gäste sich um ein kaltes Büfett raufen konnten, durften Touristen und Neugierige in respektvoller Entfernung den Glanz des Sozialismus bestaunen — selbstverständlich streng bewacht von einer kaum zählbaren Soldatenschar, die mit entsicherter Maschinenpistole hinter Jedem Strauch wie Heinzelmännchen hervorlugten...

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Nach diesem Blendwerk präsentierte sich dann ein Filmfestival, das nicht nur jüngeire (nicht der Partei ange-hörfge) Kritiker und Filmschaffende, sondern sogar den Festival-direktor zu der Bemerkung nötigte, daß „das Niveau in diesem Jahr wenig zufriedenstellend sei“. Auch das Staatsoberhaupt ließ sich nicht mehr blicken... Doch seien wir gerecht: es gab in Pula, diesem einzigartig-bewundernswerten Filmfestival, dag als einziges der vielen jährlich abgehaltenen, die gesamte Spiel-fllmjahresproduktion eines Landes vollkommen und geschlossen der Kritik vorstellt (was für künstlerische, technische, soziologische, aber auch politische Erkenntnisse dabei zu gewinnen sind, ist kaum vorstellbar!), immer schon schlechte (genügend!) und auch gute Filme, das ist heuer nicht zum erstenmal so; doch in den früheren Jahren gab es dann immer noch ein paar Filme, die mehr als nur „gut“ waren, ausgezeichnet, zumindest aber interessant, die dann die (vielen) schlechten vergessen ließen. Und eben solche waren heuer fast ganz verschwunden, fehlten in einem Ausmaß, daß der Durchschnitt nicht verbergbar war ... Der Grund liegt darin, daß Jugoslawien letztlich doch keineswegs ein so freies und westlich-kapitalistisches Land ist, wie es die vielen deutschen und österreichischen Touristen in ihrer kurzsichtigen Urlaubsbüindheit sehen wollen und ihnen auch von einer privilegierten Oberschicht vorgespielt wird. Die Partei hat noch immer recht viel zu sagen — und sie tat dies auch anläßlich der Preisverteilung des vorjährigen Pulafestivals: Schluß mit den negativen sozialkritischen „schwarzen Filmen“ — und dieser zarte Wink mit dem Zaunpfahl ließ Produzenten und Autoren erbeben (Das Geld kommt ja doch von Väterchen Staat!)... Und so gab es als Folge heuer keine Filme von Pavlovii, von Petrovic, von Makavejew, sondern Komödien, unverbindlich und meist in der Vergangenheit spielend (im Stil deutscher oder österreichischer Lustspielfilme der dreißiger oder vierziger Jahre inszeniert), und Partisanendramen, durch den Zeitabstand immer unwirklicher und grotesk-verstiegener werdend (von unwahrscheinlich komischen „Allegorien“ bis zum Partisanenwestern mit amerikanischen Darstellern!)... Alles andere hatte die kommerzielle Monsterspekulation „Schlacht an der Neretva“, der „Staatsfllm“, an dem sowenig jugoslawisch ist wie am „Dr. Schiwago“ russisches, aufgesaugt und verschluckt (an diesem Bissen wird Jugoslawiens Film noch lange zu verdauen haben — zumindest die Filmkunst). Die wenigen Ausnahmen: ein grandioser, selbstverständlich ohne jeden Preis verbliebener, eiskalt-intellektuell konstruierter KZ-Film von Vatroslav Mimica, „Der Ernährte“ — kein Film gegen die Deutschen, sondern eine Analyse des Faschismus, in jeder Zeit, in jedem Land, in jedem Menschen (das war zuviel für eine Anerkennung!); die bezaubernde, heuer bei der „Viennale“ gezeigte Zweipersonenkomödie „Das elfte Gebot“ — eine ebenso originell aufgebaute wie spannende, amüsant gespielte wie inszenierte Seifenblase fast HoMywoodscher Gekonntheit, Witzes und Charmes (zu dekadent, zuwenig sozialistisch — kein Preis!); ein archaisch-antikes folkloristisches Dorfdrama mit einigen geradezu atemberaubenden, filmisch genialen Szenen, Krsto Papies „Handschellen“ — leider durch einen völlig unnötigen politischen Aktualitätsbezug (auf das Jahr 1948) seiner Urkraft beraubt; und schließlich ein psychologischer Film, von der Aussage her völlig verquer, doch in der Gestaltung interessant und sehr „westlich“ (daher als Jugoslawiens Beitrag für Venedig bestimmt, wo er jedoch kaum Lorbeeren ernten wird), „Bube u glavi“ von Milos Radivojevic (etwa mit „Mücfcen im Kopf zu übersetzen). Ein schwaches Ergebnis für ein Angebot von 25 Filmen! Es heißt, der (einheimische) Filmbesuch von jugoslawischen Filmen ist um fast 48 Prozent zurückgegangen; sieht man von der Konkurrenz von 358 im Vorjahr eingeführten ausländischen Filmen (!) und der immer stärker spürbar werdenden Belastung der jugoslawischen Filmindustrie durch die jugoslawische Television (das Problem, vor zehn Jahren bei uns aufgetaucht, beginnt bereits in unserem südöstlichen Nachbarland Sorge zu machen) ab, so dürfte das jugoslawische Filmschaffen dieses Jahres dank seiner wenig vernünftigen Drosselung und Ausrichtung durch „oben“ kaum geeignet sein, den Besucherschwund aufzuhalten — höchstens ihn noch zu vermehren ...

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