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FILME IM SCHWARZHEMD

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SEIT EINIGER ZEIT wendet sich die italienische Filmproduktion neuen Stoffen zu, die eine reiche Ausbeute versprechen. Wie sich aus den bis jetzt bekanntgewordenen Themen ergibt, stehen sie unter einem Oberbegriff, der schlicht mit dem Wort: „Zeitgeschichte“ gekennzeichnet sei. Der Rahmen scheint also eng gezogen zu sein. Denn gemeint ist die Spanne der letzten sechzig Jahre, welche die Älteren von uns miterlebten und in der Mehrzahl mit durchlitten. Besonders dicht sind die Ereignisse in Italien, wo sie sich in fast lückenloser Folge aneinanderreihen. Oft haben sie geradezu abenteuerlichen Charakter, so der um die Jahrhundertwende überstürzt einsetzende Prozeß der Industrialisierung im Norden mit seinen revolutionären sozialen Umschichtungen, ferner die planlos anmutenden opferreichen Kolonialkämpfe, endlich der im Ergebnis für Italien sehr magere Weltkrieg 1915—1918 und die Auslieferung des Landes an Linksradikalismus und Faschismus.

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WIE ES DANN WEITERGING, das wissen auch die Gestrigen und Heutigen. Die Aneinanderreihung dieser aufwühlenden, in das Leben der Zeitgenossen tief einschneidenden Erlebnisse bietet Filmstoffe in Hülle und Fülle. Auch wenn die dramatischen Kriegs- und unmittelbaren Nachkriegsereignisse dabei in den Hintergrund treten, so bleibt zum Beispiel für die künstlerische, durch den Film vermittelte Nachgestaltung einer mehr als 22 Jahre währenden Periode der Auslöschung der Persönlichkeit viel Raum übrig.

Das damals auf andere Länder der Welt übergreifende Regime des Faschismus (1922—1945) bietet sich seit einiger Zeit den mit kaufmännischem Spürsinn begabten Filmherstellern als reizvolles und ergiebiges Thema an. „Filme im Schwarzhemd“ — so werden diese auf angeblich soliden dokumentarischen Unterlagen aufgebauten Werke genannt. Ihre Stoffe schöpfen sie aus den Selbsterlebnissen der heute 40- bis 50jährigen Zeitgenossen und — so will es die heute noch nicht klar erkennbare Filmregie — aus dem von unverdächtigen Historikern zusammengetragenen Material.

Wie ernst diese Absichten sind, das bekunden einige inzwischen bekanntgewordene Filmtitel Einer davon lautet: „Der Italiener ist fünfzig Jahre alt.“ Hier tritt also einer jener hunderttausend und, bei weitherziger Auslegung, Millionen von Schicksalsgenossen auf, der um 1910 das Licht der Welt erblickte und dem die faschistische Diktatur zum der Freiheit beraubten Lebensinhalt wurde. Da gibt es in der Rückschau unendlich viel zu berichten. Ein anderer Filmstreifen nennt sich anspruchslos: „Eine italienische Geschichte.“ Diese „Geschichte“, ein tragisch ausgehendes Erlebnis wie damals tausend andere, fällt natürlich in die faschistische Zeit. Nicht alles endet, wie in diesem Fall, düster. Zumeist sind Freude und Leid, Mut, Ernüchterung und Entsagung zu einem bunten Muster gewebt. Die heiteren Noten, auch sie der Wirklichkeit abgelauscht, fehlen ebensowenig wie die bittere Verhöhnung eines- Weltmachttraums, den ein seine eigenen und'seines Volkes Kräfte überschätzender „schrecklicher Simplifikateur“ verwirklichen wollte. Wir nennen andere Sujets aus der ominösen Geschichte dieses faschistischen „Ventennio“. Da ist zum Beispiel jener den König und fast das ganze Volk ins Bockshorn jagende, gänzlich unblutig verlaufene „Marsch auf Rom“ (Oktober 1922), ein groteskes, vom Zufall meisterhaft gestaltetes Einschüchterungsmanöver zehntausender ehrlich begeisterter und jugendlicher Abenteurer, das dem von weit hinten, nämlich von Mailand, zuschauenden „Organisator“ Mussolini in weitem Bogen die Siegespalme zuwarf.

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DIES ALLES UND ÄHNLICHES WÄRE WENIG, wenn nicht auch das „dicke Ende“ gebührende Würdigung fände! Gemeint sind der unausbleibliche, das die Rechnung bezahlende Volk ins Elend stürzende Angriffskrieg mit dem zu erwartenden kläglichen Ausgang an der Seite des dem „Duce" gefährlich werdenden Rivalen und Bundesgenossen Hitler, der die Gegenkräfte, verkörpert in der buntfarbigen „Resistenza" (Widerstandsbewegung), mobil machte. Diese auf die Vernichtung des Faschismus zielende Bewegung, die zwangsläufig auch gegen die deutsche Besatzungsmacht gerichtet war und mit Feuer und Schwert ausgetragen wurde, stellt den in der filmischen Auswertung geradezu unerschöpflichen Epilog eines erschütternden Ringens dar, das nicht nur die italienischen Bürger in tragischer Weise spaltete und zum Bruderkampf trieb, sondern auch die von diktatorischen Gelüsten zu Bundesgenossen gestempelten italienischen und deutschen Soldaten zu erbitterten Feinden machte.

Aus dieser Zeit des schauerlichen Endkampfes lassen sich Dutzende von Filmen herausschneiden, wobei freilich eine auch noch so gewissenhafte Dokumentation kein objektives Bild ver mitteln kann. Hier, wo sich zwei schließlich in Feindschaft und Haß verkrampfte Gegner — Italiener und Deutsche — mit der Waffe begegnen, ist die Gefahr der Geschichtsklitterung, schlimmer: der einseitigen Abreagierung von alten Haßgefühlen, besonders groß. Die auf dem jäh absteigenden Ast der deutschitalienischen Waffengemeinschaft besonders enge Fühlung der beiden Diktatoren empfiehlt geradezu die für das Filmpublikum zugkräftige Auswertung dieses verzweifelten Schlußkampfes zweier kriegsmüder Völker.

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DIE FRAGE DRÄNGT SICH AUF, warum bedeutende Zweige der italienischen Filmproduktion sich anschicken, eine in Elend und Blut versunkene Epoche unserer Zeitgeschichte Wiederaufleben zu lassen. Fehlt es heute an künstlerisch hochwertigen Vorwürfen, sind die Quellen verstopft oder gar versiegt? An bedeutenden, schöpferisch veranlagten Autoren und an hohe Qualität verbürgenden Leistungen von erprobten Regisseuren und Darstellern fehlt es in Italien keineswegs. Aber die sich jetzt andeutende Wandlung läßt auf andere Motive schließen. Es sind nicht so sehr die angeblich verschärften Maßstäbe der Amtlichen Filmzensur, als vielmehr die sich mehrenden Proteste der Öffentlichkeit und die energischen Eingriffe der Staatsanwaltschaft in anstößige, auch vom Filmpublikum verurteilte Filmwerke der letzten Jahre, welche diese wie auf Kommando erfolgte Hinwendung zu anderen Stoffen zur Folge haben mögen.

Aber nicht allein! — Einige Filme der letzten Vergangenheit, die u. a. die italienische Widerstandsbewegung gegen den hier in eins verschmolzenen und in dieser Ausdrucksform, „Nazifaschismus“, gang und gäbe gewordenen Freiheitskampf in den Mittelpunkt der Handlung stellten und die sich keineswegs immer um sachliche Darstellung bemühten, haben einen ungeahnten, die Taschen der Filmproduzenten füllenden Publikumserfolg gehabt Zudem sind die Möglichkeiten für immer neue Sujets fast unbegrenzt.

Und noch eines: Filmstoffe der letztgenannten Art greifen von selbst über auf die Darstellung der Untaten des nationalsozialistischen Regimes. Dieses leidige Thema war hier seit langem preisgegeben; aber nun ist es durch den in aller Welt Grauen erregenden Fall Eichmann wieder aktuell geworden vnd läßt den Deutschenhaß wieder aufbrausen.

Wenn also auf der einen Seite die erzieherische Wirkung dokumentarisch belegter antifaschistischer Filme zu begrüßen ist, so ist die damit zum Teil verbundene Nebenwirkung, die erneute Entfesselung längst eingeschlummerter Haßgefühle zwischen zwei aufeinander angewiesenen Völker tief zu bedauern.

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