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Höhen und Tiefen

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Ein FemsehspieH wird heute in Österreich von gut 1,5 Millionen Menschen angesehen. Kein Theater (zumindest hierzulande) kann bei noch so vielen En-suite-Auf- führungen eine solche Besucherzahl für ein Stück erhoffen. Man sollte also meinen, daß in Hinblick auf so weite Verbreitung eine besonders hohe Verantwortlichkeit in bezug auf die Qualität der Stücke herrschen müßte. Das Gegenteil ist — wenigstens im Vergleich zu den Bühnenstük- ken — der Fall: an die letzteren werden weit höhere Ansprüche gestellt. Die Rundfunkdirektoren sehen die Sache anders. Für sie ist ein Fernsehspiell eine von rund 7000 Sendungen in ihrem Jahres

programm, und der Geldbetrag, der ihnen sogar für ein „langes“ Spiel (kaum je länger als 50 bis 70 Minuten dauernd) zur Verfügung steht, ist unvergleichlich geringer als die Einnahmen, mit denen ein Theater bei einem Stück rechnen kann. Dennoch müßte das nicht besagen, daß die Qualität eines Fernsehspiels deshalb nicht hoch sein kann. Schließlich besitzen die Produzenten Absatzmöglichkeiten in anderen, vor allem in den gleichsprachigen, jedoch auch in fremden Ländern durch Synchronisierungen und Übersetzungen. Der internationale Bedarf an guten Fernsehstücken ist enorm groß und kann gar nie gestillt werden. Bis heute ist es jedoch noch keinem Land gelungen, eine führende Stellung in der Produktion von Fernsehspielen zu erringen, wie das Großbritannien und den USA und zeitweise Italien im Film gelungen ist. Der Durchschnitt der Fernsehstücke ist zwar nicht überall, das heißt im Vergleich eines Landes zum anderen, gleich schlecht, jedoch nirgends gut genug. Hierzu kommt, daß die Produzenten zumeist in dem Irrtum befangen sind, zu glauben, sich an ein legendäres international vorherrschendes niedriges Niveau anpassen zu müssen, um Absatz im Ausland finden zu können. Ein anderer Irrtum ist, daß sie glauben, Stücke schwerer anbringen zu können, die an den eigenen nationalen Hintergrund gebunden sind. Gerade das Gegenteil ist der Fall.

So verdient von all den Spielsendungen der vergangenen Woche nur eine einzige Beachtung: die im besten Sinn deutsch zu nennende und in der BRD hergestellte „Der Attentäter“. Es handelt von dem mißglückten Attentat gegen Hiler, das im Münchner Bürgerbräukeller im November 1939 von einem Mann namens Georg Elser, einem ehemaligen Kommunisten, unternommen wurde. (Die Linke hat mit derlei Unternehmungen nie soviel Glück gehabt wie die Völkischen.) Der Verfasser Hans Gottschalk hielt sich in der Form an eine zwar spielhaft aufgelöste Dokumentation, die jedoch strenge auf den Gestapoakten des Falles sowie auf Aussagen noch lebender Zeugen basiert. (Mir

lief's kalt über den Rücken, als der ehemalige „Sonderbewacher“ Elsers im KZ Dachau über die letzten Augenblicke und die Ermordung des Gefangenen mit stentorischer Sachlichkeit berichtete.) Trotz aller dokumentarischen Nüchternheit empfinden wir zutiefst mit dem Attentäter, mit seiner ehrlichen Gesinnung, der unendlichen Einsamkeit und der so deutschen Akribie, mit denen er seine Tat monatelang vorbereitet. Selbst die Ungeschicklichkeit, mit der er selber seine Verhaftung herbeiführt, spricht für ihn und seine Geradheit und Unverdorbenheit.

Wie die künstlerische Bewältigung einer solchen Thematik auch scheitern kann, zeigte sich an dem Oratorium „Dies ir a e“ des Polen Penderecki. Hier wurde versucht, das große Leiderlebnis der in Auschwitz Umgekommenen durch Chöre und Bewegungstanz auszudrücken. Just diese Mittel sind jedoch mit dem Ausmaß an menschlicher Degradation im Vernichtungslager unvereinbar; ihre Anwendung ist daher artifiziell, unglaubwürdig und modernistischkitschig. Die Unvereinbarkeit sprang jedesmal ins Auge, wenn echte Film- und Photoaufnahmen aus Auschwitz eingeblendet wurden.

Nicht befriedigen konnte mich auch, die rein ' dokumentarische Gestaltung des Problems Alkoho- lismus, wie das zuletzt in den „Horizonten“ geschah. Die Hersteller erlagen dabei der unzulänglichen, rein empiristischen Haltung, mit der Behörden, Psychiater und Sozialpolitiker bei uns an diese Sache herangehen. Von den verheerenden Folgen, Erscheinungsformen und Behandlungsmethoden am Individuum wissen wir nun schon genug. Sie können und sollen uns nicht vergessen lassen, daß wir es doch hier mit einer allgemeinen Erscheinung zu tun haben, deren Ursachen tief und bereits umfassend weit reichen.

Wer ein Gefühl für diesen Gesamtzustand hat, dem kann es auch nicht gefallen, wenn in der „Jugendlichen ab 14 Jahren" gewidmeten sonntäglichen „Kontakt-Sendung die Schütteltänze und Massenhysterie des Tausende zählenden Auditoriums eines Pop-Musiktreffens im Londoner Hydepark ganz und gar kommentarlos vorgeführt werden — als ob es sich dabei um eine ganz normale und unserer Jugend anheim zu stellende Kulturform handelte. Es ist ein weiter Weg von den Schütteltänzen animistischer Naturvölker über diejenigen mittelalterlicher Wiedertäufer und amerikanischer Sektierer des 19. Jahrhunderts bis zu den nahezu identischen unserer Jugend, die so ungestüm die sublimen Kulturformen der Neuzeit mehr oder weniger bewußt verneint. Ist sie doch, diese Jugend, gleichzeitig viel zu sehr Produkt und Teilhaber eines Ausmaßes an Individualisierung des Menschen, die den Rückfall in kulturelle Verhaltens formen von Naturvölkern monströs erscheinen läßt. Dennoch ist er hier. Wir dürfen ihn jedoch nicht als selbstverständlich und gegeben hinnehmen, sondern müssen gemeinsam mit unserer Jugend nach Wegen suchen, die aus dem Dschungel hinausführen.

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