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Gespräch mit Dr. Kurt Schumacher

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Mit dem Porträt Konrad Adenauers hat die „Österreichische Furche" (siehe Nummer 36/1949 vom 3. September 1949) in der Zeit unmittelbar nach den deutschen Wahlen einen Beitrag zur Erhellung des politischen Kräftespiels in Westdeutschland gegeben. Dem näheren Verständnis der bedeutungsvollen Auseinandersetzung der zwei großen Parteien, die seither der politischen Lage in Deutschland das auffallende Gepräge gibt, dient nunmehr die nachstehende Unterredung unseres Mitarbeiters mit dem Führer der SPD-Opposition, Dr. Schumacher.

„Die Österreichische Furche"

Bonn, im Dezember

Aus der Polarität der Erscheinungen Konrad Adenauers und Kurt Schumachers, die der dramatische Zusammenstoß im Bundeshaus so deutlich machte, muß die deutsche Innenpolitik verstanden werden.

Wie sieht Dr. Schumacher die innere Lage Deutschlands? Welche Gedanken bewegen diesen Mann, den „Time Magazine“ den nach Adenauer bedeutendsten deutschen Politiker genannt hat?

Er sitzt mir gegenüber. Das großflächige Gesicht wird durch viele Leidensfalten zerschnitten. Die Gestalt des Einarmigen, Einbeinigen verharrt in der ihm eigenen schiefen Haltung am Schreibtisch. Die wäßrig- blaueja Augen scheinen oft in weite Ferne zu schweifen, formen sich nicht immer zu einem Blick. Die Stimme ist sehr leise, die Diktion maßvoll. Schumacher schildert die Entwicklung in kleinen, sehr präzisen Einzelbeobachtungen, die sich wie ein engmaschiges Netz über die politischen Realitäten zu senken scheinen. Die übliche Frage nach dem Wohlbefinden verliert bei diesem verstümmelten Menschen, der zehn Jahre im KZ war, den konventionellen Charakter.

Dr. Schumacher: „Ich fühle mich wieder frisch und sehr leistungsfähig. Die Zeit im KZ hat meine Gesundheit zwar nicht gehärtet, aber doch die Vitalität nicht angetastet, obwohl ich zeitweise fast die Hälfte meines Gewichtes verloren habe. Übrigens kenne ich aus jenen Tagen eine Reihe österreichischer Politiker sowohl aus dem sozialistischen wie aus dem konservativen Lager.“

„Verbinden Sie auch mit den deutschen Politikern der gegenwärtigen Regierungskoalition ähnliche gemeinsame Erlebnisse?“

Dr. Schumacher: „Eigentlich nicht. Womit nicht gesagt sein soll, daß nicht der eine oder andere mit dem Dritten Reich in Konflikt geraten sein könnte. Poch fallen diese Ereignisse mehr in die Zeit der

Pseudoverschwörung der letzten Phase, die schon in den Kampf aller gegen alle überleitete.“

Warum es nicht zur großen Koalition kam

„Sind Sie, Dr. Schumacher, der Ansicht, daß dieser Umstand zu den psychologischen Imponderabilien gehört, die in Deutschland, im Gegensatz zu Österreich, die „große Koalition“ nicht zustande kommen ließ?“

Dr. Schumacher: „Vielleicht. Was die entscheidenden Gründe anbelangt, so scheint das Jahr 1945 in Österreich wie ein tiefer, traumatischer Schock gewirkt zu haben, der zu einem Ausgleich sozialer Spannungen führte. Inwieweit dieser Ausgleich Bestand und Tiefenwirkung hat, möchte ich nicht beurteilen. In Deutschland herrschte anfänglich völlige Lähmung, sobald aber die Dinge wieder in Fluß kamen, ging die russische Besatzungsmacht dazu über, in ihrer Zone die SPD gewaltsam zu unterdrücken, beziehungsweise ihre Verschmelzung mit der KPD zu erzwingen. Damit verschob sich das ganze Bild. Die SPD wurde in ihren eigentlichen Hochburgen eine Untergrundbewegung, die nichtsozialistischen Parteien im Westen rückten weiter nach rechts und die Amerikaner sind in Deutschland, wenn man so sagen darf, „amerikanischer“ als in Österreich.“

Boden und Flüchtlinge

„Aber wurden nicht gerade in Deutschland Eingriffe in die Besitzstruktur vorgenommen, die über die in Österreich ergriffenen Maßnahmen hinausgehen? Ich denke hiebei vor allem an die Bodenreform im deutschen Westen.“

Dr. Schumacher: „Die erwähnte Bodenreform kann kaum als weitgehender Eingriff in die Besitzstruktur bezeichnet werden. Da sie von Anfang an Ländersache war, zersplitterten die getroffenen Maßnahmen und wurden schließlich von den Besatzungsmächten abgestoppt. Dabei ist das Problem nach wie vor ein dringliches. Man darf nicht auf die rund acht Millionen Flüchtlinge, von denen ein Großteil einer ländlichen Bevölkerung angehört, vergessen.“

„Wie hat sich diese riesige Menschenmasse in das politische Gesamtbild eingeführt?“

Dr. Schumacher: „Sie haben sich anfäng- ' lieh der SPD zugeneigt. Natürlich war es aber für uns sehr ungünstig, daß die wichtigsten Aufnahmeländer gerade jene waren, in denen die SPD eine mächtige P

. So wurde die Tatsache, daß den Flüchtlingen nicht rasch und nicht ausreichend geholfen wurde, vor allem uns in die Schuhe geschoben, obwohl wir bereits im Bonner Grundgesetz die Stellung der Flüchtlinge für die soziale Hilfe durch den Bund zu fundieren trachteten.“

„Waren es rein materielle Gründe, die es unmöglich machten, die Flüchtlinge großzügiger zu unterstützen?“

Dr. Schumacher: „Materielle und ideelle Gründe. Nach zwölf Jahren nie eingehaltener Appelle an das Gemeinschaftsgefühl war dieses ganz einfach gefährlich überlastet. Dazu kam, daß die ungeheure Zahl der Flüchtlinge in einzelnen Gegenden die gesamte Gesellschaftsstruktur zu verändern begann.“

„Welche Haltung nahmen die Flüchtlinge ein, nachdem sie sich zum Teil von der SPD abkehrten?“

Dr. Schumacher: „Sie splitterten weitgehend auf, wodurch über eine Million Stimmen verlorenging. Ein gewisser

Teil der Flüchtlinge geriet unter den Einfluß rechtsradikaler Politiker. Man darf ja nicht vergessen, daß in diesem Kreis großdeutsche Schlagwörter, wie sie etwa der Abgeordnete Richter im Munde führt, noch am ehesten Widerhall finden.“

„In welchen Wahlkreisen konnten sich eigentlich rechtsradikale Abgeordnete durchsetzen?“

Dr. Schumacher: „Sie sind über die Landesliste Niedersachsens ins Abgeordnetenhau gekommen.“

Der Konflikt Dr. Schumacher — Dr, Adenauer

„Gibt es in dem nun beigelegten Konflikt zwischen Ihnen, Dr. Schumacher, und dem Bundeskanzler auch noch einen positiven Aspekt?“

Dr. Schumacher: „Gewiß. Ich sehe ihn in der tiefen Anteilnahme, die sehr weite Kreise unseres Volkes an den Tag legten. Es konnte hier zum erstenmal der B

cht werden, daß dem Volk die Vorgänge im Bundeshaus durchaus nicht gleichgültig sind, wie man manchmal behaupten will. Irh Gegenteil, man verspürte immer wieder das Gefühl einer echten Sorge um die Demokratie.“

„Bestand nicht innerhalb der SPD eine Strömung, das Bundeshaus zusammen mit Ihnen, Dr. Schumacher, zu verlassen, als Sie nach dem bekannten Zwischenruf aaf 20 Sitzungstage ausgeschlossen wurden?

Dr. Schumacher: „Diese Stimmung wat sogar sehr allgemein. Aber es gelang mir überzeugend darzulegen, daß wir bei den kommenden Beratungen, vor allem der Sozialgesetzgebung, einfach nicht abwesend sein konnten. Und der Ausschluß auf die Dauer von 20 Sitzungen hätte ja ungefähr bedeutet, daß ich bis Pfingsten hätte den Verhandlungen fernbleiben müssen.“

Die Lage im deutschen Osten

„Besteht trotz des russischen Druckes die SPD in der Ostzone fort?“

Dr. Schumacher: „Allerdings. Man kann sie ruhig als den bedeutendsten politischen Faktor in der Arbeiterschaft bezeichnen. Solange die Russen noch freie Betriebswahlen duldeten, kam dies ganz klar zum Ausdruck. In den einzelnen Orten spielte es allerdings einen großen Unterschied, ob die Mitgliedsliste der SPD in kommunistische Hände fiel oder nicht. War dies der Fall, so konnte die gesamte Anhängerschaft der SPD unter einen viel konzentrischeren Druck gestellt werden. Die einzelnen Mitglieder, die abgeneigt waren, der SED beizutreten, wurden vor die SAM (sowjetische Militärverwaltung) geladen und darauf verwiesen, daß sie damit auch eine feindselige Haltung gegenüber der Sowjetunion an den Tag legten. Damit war der Kurs politischer Abstinenz unmöglich geworden. Mitarbeit in der SED wurde zu einer Lebensnotwendigkeit, die politische und berufliche Belastung aber muß zwangsläufig die Tätigkeit für eine echte Arbeiterbewegung erschweren oder unmöglich machen.“

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