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Israel will keine Schweine

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Israel hat mit dem alten Palästina außer der geographischen Identität nicht mehr allzuviel gemeinsam. Wie es für einen souveränen Staat selbstverständlich ist, wurden allmählich die aus der vorstaatlichen Periode — aus der englischen Mandat.“ und sogar noch aus der türkischen Zeit — übernommenen Gesetze durch eigene, den geänderten Verhältnissen entsprechende ersetzt. Nur auf einem Gebiet trachtete man die Politik der letzten hundert Jahre fortzusetzen: auf dem der Religion. Hier herrscht der Status quo, wie er unter britischer und vorher unter türkischer Herrschaft oberstes Gesetz war. Der Staat weicht, wo er nur kann, jedem Eingriff in das Rechts- und Traditionsgebiet der von ihm anerkannten Religionen aus. Dieses systematische Umgehen eines „heißen Eisen*“ erwies sich insofern als glückliche Politik, da dadurch der Friede zwischen den Religionen und innerhalb der Bekenntnisse aufrechterhalten wurde. Mit der fortschreitenden inneren Festigung des Staates und seiner Normalisierung aber erinnerten sich die religiös orientierten Parteien an den vornehmlich jüdischen Charakter des Staates. Sie begannen immer dringlicher beim Entwurf neuer Gesetze ein Zurückgreifen auf die alte jüdische Gesetzgebung, soweit dies mit den Erfordernissen einer modernen Gesellschaft vereinbar ist, zu verlangen. Da nun die religiösen Gruppen bei jeder Regierungskoalition das „Zünglein an der Waage“ bilden, schloß immer wieder — hinter den Kulissen - die die Regierung bildende Partei mit ihnen Kompromisse, welche den Status quo nur leicht änderten. In einem aber ließen sich die Religiösen auf kein Kompromiß ein und brachten ihre Forderung immer wieder von neuem auf die Tagesordnung: in der Sabbatgesetz-

gebung und in einem im Staatsgesetz niedergelegten Verbot der Schweinezucht in Israel.

Der Genuß von Schweinefleisch ist, wie es im 5. Buch Mosis unter der Einleitung „Da sollt ihr aber nicht essen...“ heißt, für Juden verboten. Wohl gilt das Verbot auch in betreff auf Kamel- und Pferdefleisch, aber, so argumentieren die Verfechter des Verbotes, Juden wurden in aller Ge-

schichte immer wieder von ihren Bedrückern zum Genuß gerade von Schweinefleisch gezwungen. Einer der Anlässe des großen Makkabäeraufstan-des unter Antiochus Epiphanes war der. daß man einen jüdischen Schriftgelehrten „mit Aufsperren des Mundes zum Essen von Schweinefleisch gezwungen“ hat, so daß dieses Speiseverbot nicht nur religiöses, sondern auch nationales Symbol wurde.

In Nazareth darf man...

Die religiösen Parteien versuchen, wie angedeutet, immer wieder, das biblische Verbot in der Gesetzgebung des Staates zu verankern. Dies gelang ihnen aber nur insoweit, als das Verbot des Schweinezuchten und Verkaufes von Schweinefleisch ins Kompetenzgebiet der Ortsgemeinden überwiesen wurde. Nun aber, allem Anschein nach auf Grund eines vor der Bildung der Regierungskoalition mit der sozialdemokratischen Mapai abgeschlossenen Vertrags, wurde von den Koalitionsparteien ein Gesetzentwurf eingebracht, der ein generelles Verbot für das ganze Land mit Ausnahme von Nazareth und acht Gemeinden mit christlicher Majorität vorsieht. Die Diskussion in der Knesseth gab den Gegnern, vornehmlich den linken Sozialisten, Gelegenheit zu einer schließlich ins Uferlose mündenden Kulturdebatte, die interessante Einblicke in die Stellung zur Religion erlaubte. Da alle Parteien, von den religiösen und den antireligiösen linkssozialistischen abgesehen, ihren Anhängern Abstimmungsfreiheit gewährten, ging die Trennungslinie quer durch die Parteien, Die Befürworter des Verbotes brachten, soweit sie nicht einfach sich auf die Bibel beriefen, historische Argumente vor, während die Gegner

in einer merkwürdig kollektiven Monotonie mehr oder weniger mit Paraphrasen über den Begriff von Fortschritt und religiösen Zwang operierten. Ihnen wurde entgegengehalten, daß es sich um keinen Zwang handle, etwas zu tun, sondern nur, etwas zu unterlassen. Einige Freunde des Verbotes, sowohl von den Religiösen wie von der Mapai, gingen sogar über den Entwurf hinaus. Manche — vor allem der mohammedanische Vertreter von Nazareth — verlangten Verbot auch für die acht Orte und Gefängnis statt Geldstrafen für die Übertreter. Nach sehr heißer Debatte wurde das Gesetz in erster Lesung angenommen.

Abgesehen von den Religiösen stimmten für das Verbot die meisten sozialdemokratischen Abgeordneten (nur vier, darunter der Ackerbauminister, enthielten sich der Stimme), Mitglieder der Liberalen und beinahe alle Mitglieder der rechtsradikalen Heruth. Dagegen waren die prinzipiell antireligiösen Linkssozialisten, bei denen Stimmzwang herrschte, die vier Kommunisten, ein paar Heruth-Leute und Liberale, unter ihnen auch solche, die sich persönlich an das Verbot halten, aber gegen jeden gesetzlichen Zwang sind.

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