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Österreich in Europa
In einer Rede in München hat Bundeskanzler Klaus vor kurzem über Julius Raab und die mit seinem Namen verbundene Orientierung der österreichischen Außenpolitik wörtlich folgendes festgestellt:
„Mit dem Abschluß des österreichischen Staatsvertrages 1955 und dem nach Abzug der vier Besatzungstruppen am 26. Oktober 1955 vom österreichischen Parlament beschlossenen Gesetz über die immerwährende Neutralität ist dem verstorbenen Bundeskanzler Julius Raab etwas geglückt, was den Staatsmännern Österreichs im Jahre 1918 leider versagt geblieben ist: Die Fixierung der weltpolitischen Koordinaten für einen Staat in der Größenordnung Österreichs, der an den machtpolitischen Schnittlinien zweier militärischer Blöcke liegt und dessen Existenz die Interessensphäre beider Machtgruppierungen infolge seiner geopolitischen Lage in gleicher Weise berührt.”
Ausgangspunkt 1918
Zunächst ist es gewiß richtig, das Jahr 1918 als einen Wendepunkt in der außenpolitischen Entwicklung unseres Landes zu erwähnen und diese Jahreszahl als einen Ausgangspunkt für die weiteren in die Gegenwart fortwirkenden Betrachtungen festzusetzen. Mit dem Ende des ersten Weltkrieges hat Österreich seine politische Großmachtstellung verloren. Jene, denen dieses Erbe zufiel, konnten den eingetretenen politischen Bedeutungsverlust nicht sofort überwinden. Die Generation unserer Väter verdrängte folgerichtig das „Politische” ins „Unterbewußte”. Das „Musische”, aber, das „Kulturelle”, das „Künstlerische”, „Festwochen und Festspiele”, „Oper und Burgtheater”, bleiben zunächst das einzige, wodurch wir glaubten, in Europa und in der Welt existieren und funktionsbewußt fortbestehen zu können. Seit dieser Zeit liebten es die Österreicher, darauf hinzuweisen, und ließen es sich vom Ausland gerne bescheinigen, daß dieses Land unbeschadet seiner physischen Größe und der Anzahl seiner Bewohner als kulturelle Großmacht fortbesteht und fortwirkt. Unsere Väter hatten in einem gewiß nicht unrecht: Mit dem Untergang der österreichischungarischen Monarchie ist Österreich als machtpolitischer Faktor von der weltpolitischen Schaubühne zunächst einmal abgetreten. Der Friedensvertrag von St. Germain bildet den Schlußakt einer tausendjährigen Präsenz Österreichs als aktiv gestaltender europäischer Macht- und Ordnungsfaktor. Die Regisseure der Pariser Vororteverträge wiesen uns zwar eine neue Rolle zu; aber bis zum Jahre 1938 wußten die Österreicher mit ihr nicht sehr viel anzu fangen. Wir Jüngeren haben kein Recht, es der Generation von 1918 übelzunehmen, daß ihr Glaube an die Lebensfähigkeit und die Funktion dieses neuen so immens verkleinerten Landes nicht sehr tief verwurzelt war und allenthalben die Anlehnung an eine größere, wirtschaftliche und politische Einheit als damals mögliche und einzig erstrebenswerte Lösung empfunden wurde. Österreich war zunächst der Staat „den keiner wollte”, wie es ein zeitgenössischer österreichischer Journalist so treffend in einem Buchtitel über das Österreich von 1918 bis 1938 zu charakterisieren wußte. Es bedurfte der vorübergehenden Auslöschung der Eigenstaatlichkeit, der Wasser- und Feuerprobe eines Krieges, der Prüfung einer zehnjährigen vierfachen Besatzung, um dem Österreicher im Jahre 1955 deutlich erkennen zu lassen, daß der Dichter doch recht hat, wenn er sagt: „Der Österreicher hat ein Vaterland, er liebt’s und hat auch Ursach’ es zu lieben.”
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