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Die angenehmsten Problemlösungen auf der Kehrseite unseres Wirtschaftswunders wenden dort am eifrigsten vollzogen, wo man mit der „Einsicht“ der Sozialpartner rechnen kann. Da aber neben objektiven Wirtschaftsnotwendigfceiten sehr häufig auch subjektive Gründe eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen, darf diese „Einsicht“ nicht schon im voraus verlangt werden.

So bekommen die Arbeitnehmer des Steinkohlenbergwerks Höflein (Niederösterreich) seit kurzem Entlassungsscheine am laufenden Band.

Wenn der Vertreter der Niogas-Generaldorekttion — Höflein ist ein Niogas-Unternehmen —, Generalsekretär Dr. Herbert Schuster, sich zufrieden äußert: „Ein Ersatzbetrieb in Häfiein kann mit der politisch und moralisch konsolidiertesten Belegschaft rechnen...“, so darf diese Arbeiitnehmertugend nicht generalisiert werden.

Da Höflein zu den ersten Symptomen unserer Wirtschaftsstagnation zählt, lassen wir noch einmal kurz die Geschehnisse in Niederösterreich Revue passieren.

Schwarze Fahne

Das Steinkohlenbergwerk wurde erst 1954 wiedereröffnet und 1959 von der Niogas übernommen. Nach anfänglichen Schwierigkeiten und immer größeren Mußinvestitionen beschloß die Niogas-Leitung, Höflein mit 30. Juni 1968 stillzulegen. Der neue Niogas-„Besen“ kehrte auch in Höflein gut, und nach einer Expertise der Leobener Montanisten beschloß man, die gänzlich unrentable Förderung mit sofortiger Wirkung einzustellen. Die Belegschaft wurde verständigt, und nach Festsetzung von Abfertigungssummen hißte man auch in Höflein die schwarze Fahne.

Die Kumpels in Höflein wollen aber nicht pendeln, da Haus, Hof und „Minilandwirtschaft“ für eine dauernde Seßhaftigkeit sorgen; andererseits muß man auch an das dortige Kleingewerbe denken, das haupt-

sächlich von den Arbeiterfamilien lebte.

Pendeln — so paradox dies auch auf den ersten Blick klingen mag — ist nicht nur eine wirtschaftliche „Not-Wendigkeit“, sondern meäsit eine Konjunkturerscheinung. Durch die Stagnation der VoBbeschäffiigung und beim plötzlichen Auftreten der Arbeitsplaitzangst möchten die meisten in ihren Heimatorten arbeiten. Es ist vielleicht eine subjektive Reaktion auf die objektiven Schwierigkeiten, wobei eine gewisse Abwehrhaltung nicht zu leugnen ist: Beim Schwinden des großen Arbeitsangebots kapselt sich jeder ato und will auch seinerseits nicht mehr mit derselben Großzügigkeit seinen Arbeitsplatz wählen, wie bisher.

Ausschlaggebend: die Industrie

Wie sehr der Anbeitsmarkt ein getreuer Spiegel der allgemeinen Struktur- und Wachstumspoliitik ist, bewies auch der Leiter des österreichischen Instituts für Wirtscbafits-forsebung, Professor Dr. Franz Nem-schak, der eine vielbeachtete Rede in einer Sitzung des Beirates für Arlbeit'smarkitpolitik im Sozialmini-sterium hielt. Es ist sicherlich kein Zufall, daß die Nemschak-Rede sowohl in Unternehmer- als auch in Arbeitnehmerzeitungen großen Widerhall fand.

Nach einem fast zur Gewohnheit gewordenen steilen Aufstieg unserer Wirtschaft erlitt auch Österreich vor zwei bis drei Jahren seinen ersten empfindlichen Rückschlag, wobei die internationale Wirt-s<haffekonkurrenz einerseits und das Nicht-Schrftt-halten-Wollen mit der technologischen Entwicklung, vor allem in der Eisen-, Stahl- und Metallindustrie anderseits zu einer spürbaren Wirtschaftsstagnation führen.

Durch das Schmelzen der großen Absatzmärkte ließ auch die Industrie weniger investieren als in den Zeiten der Hochkonjunktur. „Dieser Sachverhalt ist deshalb so bedenklich, weil das Wachstum der gesam-

ten Wirtschaft entscheidend vom Wachstum der Industrie abhängt,“ (Prof. Nernschak) Nach einem „Inve-stitaonsltest“ des österreichischen Istaitutes für Wirtschaftsforschung (Dezember 1966) wird die Industrie 1967 uim 7 Prozent und die Bauwirtschaft sogar um 30 Prozent weniger investierten als 1966.

Diese Stagnierung des Investi-tionsprogrammes zieht unwillkürlich eine gewisse Freisetzung der Arbeitskräfte mach sich; trotzdem empfiehlt Prof. Nernschak nicht die „unverzügliche Einsetzung von allen Mitteln der Budget-, Kredit- und Steuerpolitik“. Jetzt ist das vielleicht noch nicht notwendig.

Richtig fundierte Arbeitsplätze können niur auf wirtschaftlichem Wege gesichert werden; nicht die „Erhaltung um jeden Preis“, sondern die Berufsrentalbiiität muß berücksichtigt werden. Schon aus diesem Grunde hat die Arbeitsmarktverwaltung die speziellen Maßnahmen der „aktiven Arbeitsmarktpolitik“ eingeführt. Die von Prof. Nernschak angegebenen Schäteungszahlen bieten genügend Unterlagen für eine kräftige Förderung der notwendig gewordenen Berufsiumschi'chitung: Gegenwärtig sollte demnach mindestens ein Drittel der Arbeitskräfte in Wirtschaft und Verwaltung auf andere Arbeitsplätze umgeschichtet werden, das heißt, mindestens 800.00 Arbeiter und Angestellte (bei rund 2,4 Millionen Arbeitnehmern). Dazu kommen noch einige hunderttausend Selbständige in Gewerbe und Landwirtschaft.

Es gibt heute noch keinen „Propheten des Arbeitsmarktes“. Niemand vermag mit unerschütterlicher Sicherheit „Ewigkeitisprognosen“ zu stellen; jeder tastet nur vorsichtig herum und erhebt seine Stimme kritisch oder nachgiebig, je nach politischer Einstellung. Eines betrifft jedoch uns alle: Durch die Schwankungen („Entspannung“ nennt man sie feinfühlig) des Arbeitsmarktes werden alle Beteiligten in Mitleidenschaft gezogen.

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