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Richter nicht ausschalten!

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Der oberste Zweck der Strafrechtspflege ist der Schutz der Gesellschaft vor den durch Rechtsbrüche entstehenden Schäden; dieser Zweck soll erreicht werden durch:

1. Unschädlichmachung der Rechtsverbrecher;

2. Abschreckung der Elemente, die zu Rechtsbrüchen neigen;

3. Befriedigung des allgemeinen Gerechtigkeitsbedürfnisses und sich daraus ergebende Stärkung des allgemeinen Rechtsgefühls.

Ich will mit diesem letzten Punkt anfangen, der wohl der schwächste ist; denn genau besehen, enthält er ja nichts anderes als die Forderung nach Befriedigung eines ethisch kaum zu rechtfertigenden Rachegelüstes. Trotzdem glaube ich, daß er, wenigstens heute, nicht vollkommen außer acht gelassen werden darf, denn seine Mißachtung würde bei der Allgemeinheit unweigerlich eine Schwächung des Ansehens der staatlichen Rechtspflege und damit auch ein allgemeines Nachlassen mit sich bringen.

Der zweite Zweck, die Abschreckung, verlangt, daß jeder, der anderen ein rechtswidriges Uebel zuzufügen beabsichtigt, wisse, daß ihm ein gleichwertiges Uebel droht. Hier stoßen wir vor allem auf das alte Problem der Todesstrafe. Diese, bei der ja der erste und oberste Zweck der Strafrechtspflege, die 3.'Gerung, vollkommen hinwegfällt, kann nur at dem Abschreckungs- und dem Vergelrungs-zweck verteidigt werden. Gegen die Todesstrafe sprechen außer ihrer Unwiderruflichkeit hauptsächlich religiöse und andere transzendentale Gründe. Nicht moralische oder weltanschauliche Betrachtungen, also statistische und sonstige Erhebungen, geben leider sehr widersprechende Antwort.

Bei Gefängnisstrafen ist das Abschreckungsmotiv jedenfalls auch insoweit zu beachten, daß das Leben in der Strafanstalt als hart gefürchtet sein muß und nicht etwa als eine Zeit der Befreiung von der Sorge um den Lebensunterhalt betrachtet werden kann. Die Grenze der Strenge, die dem Strafgefangenen gegenüber anzuwenden ist, bildet der dritte oder eigentlich erste Zweck der Strafrechtspflege, die Besserung. Die Besserung, das heißt die Unterdrückung der im straffällig gewordenen Subjekt schlummernden asozialen Triebe, ist wohl der oberste und edelste Zweck aller Strafrechtspflege. In dieser Hinsicht aber — wir dürfen es uns nicht verhehlen — stehen wir vor einem vollkommenen Fehlschlag; die Strafanstalten sind, weit entfernt Besserungsanstalten zu sein, geradezu Verbrecherschulen geworden, und erschreckend hoch ist der Prozentsatz von Leuten, die, wegen einer geringen Straftat ins Gefängnis gekommen, dieses als Dauerverbrecher verlassen.

Daß dieser furchtbare Uebelstand allgemein erkannt worden ist, beweist die überall, so auch in Oesterreich zutage tretende Forderung nach einer Reform des Strafwesens. Wie mit allen brennenden Fragen hat sich auch „Die Furche“ in einer Reihe höchst beachtenswerter Aufsätze mit diesem Problem befaßt, insbesondere hat Herr Dr. Egon Kittl unter dem Titel „Tatstrafrecht — Täterstrafrecht?“ den ganzen Fragenkomplex ausgezeichnet beleuchtet. Er kommt nach Würdigung aller Vorteile des Täterstrafrechts gegenüber dem reinen Tatstrafrecht zum Schlüsse doch zur Erkenntnis, der wir uns nur vollinhaltlich anschließen können, daß es äußerst gefährlich wäre, das Ausmaß der Strafe statt dem Richter praktisch dem Strafanstaltspersonal zu überlassen. Ich muß mich der Ansicht Dr. Kittls vollkommen anschließen, daß die Reform sich in erster Linie auf das Strafgesetz und auf die Ausbildung der Richter, nicht aber auf die Uebertragung der Befugnisse des Richters auf andere Personen zu erstrecken hätte, und-möchte nur noch hinzufügen, daß vielleicht das Wichtigste - und dabei Erreichbare - eine weitestgehende Intensivierung der Ex-Sträflings-fürsorge wäre. Die — ansonsten höchst umstrittene — Verstaatlichung so vieler großer Industriebetriebe, wodurch der Staat über eine enorme Zahl von Arbeitsplätzen verfügt, könnte vielleicht das Mittel bilden, wodurch der Staat dieser Aufgabe in großem Maße nachkommen könnte.

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