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Staatsrechtliches Rätsel um das Saarland

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Kürzlich wurde zwischen dem französischen Außenministerium und der saarländischen Regierung ein Abkommen unterzeichnet, das die Rechte und Privilegien des autonomen Saarlandes unter gleichzeitiger Eingliederung in das französische Wirtschaftsgebiet festlegt. Hier soll der Versuch gemacht werden, die staatsrechtlichen Grundlinien dieses in Europa einzig dastehenden Statuts und seine historischen Hintergründe darzustellen. „Die Furche“

Mit dem Ende des ersten Weltkrieges begann das Saargebiet der Ausgangspunkt schwieriger rechtlicher und politischer Auseinandersetzungen zu werden. Durch den Vertrag von Versailles blieb es zwar Teil des Deutschen Reiches, die Ausübung der gesamten Regierungsgewalt wurde jedoch dem Völkerbund übertragen, der sie 15 Jahre lang durch einen fünfgliedrigen Ausschuß ausübte. Es handelte sich also um eine Treuhandschaft des Völkerbundes, eine Lösung auf zwischenstaatlicher Basis. Die bereits im Vertrag von Versailles vorgesehene Volksabstimmung über das endgültige Schicksal des Gebietes entschied 1935 mit überwältigender Majorität zugunsten Deutschlands. Das Saarbecken schied aus dem französischen Zollverband aus, und die Hoheit des Deutschen Reiches wurde wiederhergestellt.

Dieser Zustand dauerte zehn Jahre. Mit Ende des zweiten Weltkrieges und der Besetzung durch französische Truppen entstand die gleiche Frage wie ein Vierteljahrhundert früher: Verbleib des Gebietes bei Deutschland oder Annexion durch Frankreich oder Sonderstatut auf autonomer Grundlage. Durch eine Erklärung des französischen Außenministers Bidault vom 12. Jänner 1947 wurde eine Entscheidung in Richtung der letzten Alternative erzielt: „Das Saargebiet muß der Wirtschaftskontrolle Frankreichs unterstellt werden. Wir fordern keine territoriale Annexion. Wir sind uns darüber klar, daß die 800.000 Saarländer Deutsche sind, aber das Saargebiet selbst, muß wirtschaftlich an Frankreich angeschlossen werden ... Das Saargebiet soll im Rahmen des französischen Wirtschaftssystems und einer französischen Zollunion unabhängig sein." Es ist ein Monat vorher bereits zwischen Saargebiet und der französischen Besatzungszone Deutschlands eine Zollgrenze errichtet worden. Eine Verfassungskommission des Saarlandes arbeitete einen Verfassungsentwurf aus, der am 25. September 1947 in Saarbrücken bekanntgegeben und mit einigen kleinen Änderungen etwas später als „Verfassung" angenommen wurde. Die politischen Parteien entschieden sich einstimmig für die Verfassung und damit für den wirtschaftlichen Anschluß an Frankreich.

Am 15. Dezember wurde ein Vertrag zwischen Frankreich und dem Saarland über die Anerkennung der Verfassung als Grundlage der gegenseitigen Beziehungen geschlossen.

Die aus 133 Artikeln bestehende Verfassung wirft die Frage nach der Natur des Saarlandes auf. Ist es ein Teil

Frankreichs oder Deutschlands, erhält es das gleiche Statut wie nach dem ersten Weltkrieg oder kann man es als einen eigenen Staat betrachten? Art. 59 der Verfassung versucht eine gewisse Antwort auf diese Frage dadurch zu geben, daß er das Saarland als ein „autonomes“ und „wirtschaftlich an Frankreich angeschlossenes Land" bezeichnet. Das wirtschaftliche Moment wird durch Art. 62, weiterhin durch den Passus „Einbau der Saar in den französischen Wirtschaftsbereich und in das französische Zoll- und Währungssystem" präzisiert und auch an mehreren anderen Stellen der Verfassung betont. Dabei wird der Terminus „angeschlossen“ verwendet, ein unglücklicher Ausdruck, der nicht mit nötiger Klarheit ausdrückt, ob das Gebiet als solches eine mit Frankreich verbundene Wirtschaftseinheit bleibt oder sich aufgibt und in die Wirtschaft Frankreichs über geht. Es wäre jedoch verfehlt, die Funktion Frankreichs im Saargebiet als eine bloß wirtschaftliche zu betrachten, wenn schon allein dieser Umstand betont wird. Es heißt nämlich weiterhin in Art. 30, daß die saarländischen Schulen durch die Lehre der französischen Sprache zur Entwicklung der kulturellen Beziehungen zwischen Frankreich und dem Saarland beizutragen haben. Es ist dabei von Interesse, festzustellen, daß das Wort „Frankreich“ oder „französisch“, abgesehen von der Präambel nur dreimal in der Verfassung vorkommt, während doch Frankreich der dominierende Hintergrund des ganzen Verfassungswerkes ist. Fernerhin sind die Bestimmungen der Präambel von entscheidender Bedeutung, daß die Landesverteidigung und die Vertretung der saarländischen Interessen im Ausland durch die französische Republik wahrgenommen werden.

Der letztere Punkt ist trotz seiner Wichtigkeit in der Verfassung nicht deutlich herausgearbeitet. Wer leitet die saarländische Außenpolitik und wer schließt bindende Verträge für das Saargebiet ab? Die „Vertretung“ der saarländischen Interessen im Ausland bedeutet noch nicht die Leitung der auswärtigen Angelegenheiten. Dieser Unterschied war schon seinerzeit bei dem Statut der Freien Stadt Danzig von Bedeutung, wo Polen zwar die Führung (con- duite), nicht jedoch die Leitung der auswärtigen Beziehungen Danzigs hatte; diese lagen in den Händen des Senats der Freien Stadt. Einen Wegweiser geben die Art. 35 und 39, die von Verträgen und Vereinbarungen mit den „Kirchen" sprechen, die der Staat anerkennt. Somit wird der saarländische Staat als vertragsfähig bezeichnet, wenn auch nur auf einem bestimmt umgrenzten Gebiete. Nun heißt es aber im Art. 92, daß der Ministerpräsident die Richtlinien der Politik bestimmt. Auch der Außenpolitik? Den Rahmen der Ingerenz des Ministerpräsidenten in dieser Hinsicht scheint nun Art. 96 festzulegen, der verfügt, daß „Abkommen und Vereinbarungen, die im Rahmen des Landesstatuts von der Landesregierung oder dem von ihr beauftragten Minister abgeschlossen werden, zur Wirksamkeit der Zustimmung des Landtages bedürfen“. Das Landesstatut erstreckt sich aber nur auf die Regelung rechtlicher, sozialer, wirtschaftlicher, finanzieller und kultureller Angelegenheiten. Da nun die Wirtschaft Frankreich überantwortet ist, läßt sich der Schluß ziehen, daß die Regierung des Saargebietes aus eigener Machtvollkommenheit Verträge kulturellen, sozialen, rechtlichen und humanitären Inhalts mit anderen Staaten schließen kann. Hier ist auch der Passus des Art. 62 wichtig, daß die Regeln des Völkerrechtes Bestandteile des Landesrechtes sind und den Vorrang vor innerstaatlichem Recht genießen. In allen übrigen völkerrechtlichen Belangen muß angenommen werden, daß Frankreich als der Wahrer saarländischer Interessen auftritt. Dies läßt sich neben der Präambel auch aus der Erwägung schließen, daß die derzeitige Rechtsordnung dem französischen Staat nicht weniger Befugnisse einräumen kann als das seinerzeitige internationale Statut, bei dem seit Juli 1920 Frankreich die Vertretung der saarländischen völkerrechtlichen Beziehungen innehatte. Die Präambel des Vertrages verfügt die Bestellung eines französischen Vertreters mit Verordnungsrecht 1. zur Sicherstellung der Zoll- und Währungs einheit und 2. mij; einer Aufsichtsbefugnis zur Einhaltung des Statuts.

Die Abschaffung der Einrichtung des Kontrollors, ja auch nur eine Beschneidung seiner Funktion war verfassungs- und vertragwidrig und würde logischerweise ein Interventionsrecht Frankreichs nach sich ziehen. Solange die Verfassung besteht, hat Frankreich das vertragliche Recht, ihre Einhaltung zu verlangen. Es würde also unmöglich sein, eine Fundamentaländerung der Verfassung und damit des saarländischen Statuts ohne Zustimmung Frankreichs durchzuführen. Der schon traditionelle Wunsch Frankreichs zur starren Aufrechterhaltung des Status quo hat sich in den letzten Jahrzehnten nur als Ausgangspunkt neuer Konflikte erwiesen.

Diese Erwägungen bieten aber die Möglichkeit, die Rechtsnatur des Saarlandes zu deuten. Wenn die Präambel von einem „Internationalen Statut“ spricht, auf das das Volk an der Saar vertraut, so wurde damit eine irreführende Bezeichnung angewendet. „International“ war das Statut nach dem Versailler Vertrag (Art. 45 bis 50). Diesmal handelt es sich aber um einen bilateralen Vertrag, nicht um einen multilateralen, auf den die Bezeichnung „international“ hin- weisen würde. Das Saargebiet ist durch sein eigenes Verfassungsgesetz, durch innerstaatliche Gesetze Frankreichs und .einen Vertrag an die französische Republik gebunden. Nur in dem engen Rahmen des Art. 96 ist eine völkerrechtliche Befugnis der saarländischen Regierung dritten Staaten gegenüber gegeben. Man kann daher das Saarland als ein Protektorat Frankreichs bezeichnen, das sich bedenklich dem Zustand eines Vasallenstaates nähert.

Während also die Verfassung auf der einen Seite durch den Ausdruck „Internationales Statut“ übers Ziel schießt, schränkt sie sich auf der anderen Seite durch den Ausdruck „autonomes Land“ wiederum irreführend ein. Von einer Autonomie läßt sich nur sprechen, wenn das Saargebiet ein Teil Frankreichs wäre. Es wurde jedoch ausdrücklich niemals annektiert, und es findet sich nirgends ein Passus, daß es ein Teil der französichen Republik ist. Daran ändert auch der Umstand nichts, daß das Saarland kein Staatsoberhaupt besitzt. Bei der allgemeinen Unklarheit, die die Verfassung bietet, könnte eventuell der Art. 87 der Landesregierung Funktionen eines Staatsoberhauptes zuweisen, da es darin heißt, daß sie die vollziehende Gewalt „als oberste Behörde" ausübt. Man kann annehmen, daß der offizielle Name „Saarland“ lautet, daß darunter aber ein Staat gemeint ist, geht durch die Anwendung des Wortes „Staat“ in einer großen Zahl von Artikeln hervor. Besonders wichtig ist Art. 65, der von einer saarländischen „Staatsangehörigkeit", und Art. 120, der von einem „demokratisch - konstitutionellen Staat spricht. Daher ist die Bezeichnung „Land im entscheidenden Art. 59 absolut verfehlt.

Eine weitere Komplikation dieser unklaren Rechtslage bietet das Verhältnis des Saarlandes zu Deutschland. Es findet sich nirgends ein Passus, der es ausdrücklich von Deutschland trennt. Es heißt nur in der Präambel, daß die wirtschaftliche Zugehörigkeit des Saarlandes zu Frankreich die „politische Unabhängigkeit vom Deutschen Reich ein- ischließt". Daher finden wir die seltene Situation vor, daß die Rechte Deutschlands zu einem „nudum jus" herabgesunken sind, ähnlich der seinerzeitigen Stellung des Otto- manischen Reiches gegenüber Ägypten. Also läßt sich aus der Verfassung des Saarlandes schließen, daß es sich um ein französisches Protektorat handelt, wobei die bloß rechtliche Zugehörigkeit zu Deutschland nicht aufgegeben ist.

Wichtigste Dinge werden in dem Statut nicht behandelt: kein Wort sagt, welche Territorien das Saarland umfaßt, was seine Hauptstadt ist, wie Gebietsveränderungen durch geführt werden, wie viele Minister die Regierung hat. Dabei die stets wechselnde Bezeichnung von „Staat“ und „Land“. Nir-

gends findet man ein Wort über militärische Verpflichtungen der Bevölkerung. Da das Saarland nicht von Frankreich annektiert ist, gelten auch nicht die französischen Militärgesetze. Kann aber im Saarland die Militärpflicht eingeführt werden?

Das Statut des Saarlandes wurde, abgesehen von Frankreich, noch von keinem Völkerrechtssubjekt an-

erkannt. Eine Anerkennung wird aber wohl de facto im Laufe der Zeit eintreten. Aber es läßt sih wohl heute schon Voraussagen, daß die jetzige unklare Zwischenlösung keinen langen Bestand haben dürfte und das Saarland früher oder später entweder zum Deutshen Reih zurückfindet oder wie Elsaß-Lothringen in die französische Republik inkorporiert wird.

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