"Die Bedürfnisse decken sich nie ganz“

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Interview • Was, wenn Menschen viele Partner lieben? Therapeut Alois Kogler über das Phänomen "Polyamorie“.

Die Zweierbeziehung gilt in den allermeisten Kulturen als Norm und Ideal. Viele Menschen haben jedoch Probleme damit, gehen fremd oder erhalten heimlich Parallelbeziehungen. Manche entscheidung sich ganz bewusst für ein alternatives Liebeskonzept: die "Polyamorie“, bei der Beziehungen mit mehreren Partnerinnen oder Partnern eingegangen werden - und die Beteiligten (meist) davon wissen. Im FURCHE-Interview hat der Grazer Psychotherapeut Alois Kogler über das Phänomen der "Liebe von vielen“ gesprochen.

DIE FURCHE: Herr Kogler, zu Ihnen kommen seit knapp 30 Jahren Menschen mit Beziehungsproblemen. Sind auch polyamorös lebende Personen darunter?

Alois Kogler: Ja. Ich hatte sogar einmal eine Frau in Therapie, die gleichzeitig mit sieben Männern Beziehungen hatte, allerdings nicht als ausgewiesene polyamore Beziehung: Die anderen wussten nichts davon. Es gibt jedenfalls Menschen, für die es extrem schwierig ist, in nur einer Beziehung zu leben und die immer zwei oder mehr Partner haben. Die Psychotherapie geht hier von etwa drei Prozent der Bevölkerung aus.

DIE FURCHE: Gibt es bestimmte Auslöser für eine polyamoröse Prägung?

Kogler: Es gibt viele. Manche Menschen haben in ihrer Familie gar nicht erlebt, dass Zweisamkeit in einer Zweierbeziehung ein hoher Wert ist - etwa weil die Eltern dauernd gestritten haben. Andere haben nie gelernt, Liebe anzunehmen und Liebe zu geben. Bis heute ist es nicht überall so, dass man Kinder bedingungslos wertschätzt, umarmt, küsst und ihnen Streicheleinheiten gibt. Wenn dieses Element fehlt, kann es dazu kommen, dass man nicht beziehungsfähig wird für eine einzige Person.

DIE FURCHE: Weil man stets auf der Suche ist?

Kogler: Ja. Dazu kommen noch die vielen Faktoren, die das Leben in einer Beziehung prinzipiell schwierig machen: unterschiedliche Zukunftsvorstellungen, Probleme mit der Primärfamilie oder Erwartungen an den Partner, die oft unausgesprochen bleiben. Und weil sich die Bedürfnisse in keiner Zweierbeziehung ganz decken, leiden die Partner - nicht immer, aber immer wieder. Wenn man hingegen zwei, drei oder fünf Beziehungen hat, kann man sich überall etwas herausnehmen - und anderswo auch geben.

DIE FURCHE: Anders als beim Seitensprung wird das bei der "Polyamorie“ kommuniziert. Kann das funktionieren?

Kogler: Meist ist es nicht so, dass Menschen mit polyamoren Beziehungen den jeweils anderen genau erzählen, was sie mit wem machen. Es ist ja für niemanden angenehm zu erfahren, dass das Gegenüber noch eine andere Beziehung hat. Und auch die Personen selbst haben Schuldgefühle, weil ihr Verhalten unserer jahrtausendealten Norm widerspricht. Ich glaube auch nicht, dass die zweite Person, die nicht polyamor lebt, ehrlich sagen kann: "Es ist toll, wie es dir dabei geht.“ Zumindest kenne ich niemanden, wo das funktioniert.

DIE FURCHE: Leben mehr Männer als Frauen polyamor?

Kogler: Ja, das kann ich auf Grund meiner Erfahrung als Psychotherapeut sagen. Das hat natürlich mit unserer patriarchalen Kultur zu tun, mit dem Jäger-und-Sammler-Prinzip: Der Mann geht außer Haus, die Frau bleibt bei den Kindern. Jahrtausendelang hatte der Mann beinahe offiziell die Möglichkeit zu Seitensprüngen, während die Frau bei Untreue bis hin zur Todesstrafe belangt wurde - und in manchen Kulturen noch immer wird.

DIE FURCHE: Die Polyamorie sieht hier - theoretisch - Gleichberechtigung vor …

Kogler: Ja, wobei mir aufgefallen ist, dass gerade Männer in polyamoren Beziehungen mitunter sehr eifersüchtig sein können - auch, wenn sie sieben Partnerinnen haben. Liebe hat eben auch mit Interessen zu tun, mit Macht und mit Selbstwert.

DIE FURCHE: Kann man sagen, dass die Zweierbeziehung einfach eher der menschlichen Natur entspricht?

Kogler: Ich glaube prinzipiell nicht, dass der Mensch für die Paarbeziehung geschaffen ist - schließlich wissen wir, wie wenige Beziehungen halten. Aber ebenso wenig glaube ich, dass der Mensch für Beziehungen zu mehreren Partnern geschaffen ist. Außerdem: "Den“ Menschen gibt es nicht. Der Mensch ist ein höchst differentes Wesen. Es gibt aber Normen, die geschaffen wurden, um unser gesellschaftliches Zusammenleben zu ermöglichen. Und für die Norm der Zweierbeziehung gibt es gute Gründe: Man denke nur an Dynastien, wo alles andere als eine Paarbeziehung die Güter gefährden würde. Dass manche es anders gehandhabt haben, etwa Katharina die Große oder Heinrich der Achte, zeugt einerseits davon, dass der Mensch nicht "der“ Mensch ist, und andererseits, dass Normen nötig sind.

DIE FURCHE: Menschen in so genannten "offenen Beziehungen“ sprechen oft von bedingungsloser Liebe als Motor …

Kogler: Bedingungslose Liebe gibt es nicht, nicht einmal in der Mutter-Kind-Beziehung. Liebe ist immer ein Kampf, auch dann, wenn man vorbehaltslos zum Kind steht. Im Unterschied zum Verliebt-Sein ist Liebe auch keine Emotion. Liebe ist das Ertragen der Gewohnheiten, das Zeitaufwenden für den anderen. Liebe ist ein Lebensprojekt. Zugleich heißt Liebe auch immer, Verantwortung zu übernehmen - nicht nur für die Partnerin, den Partner, sondern für sehr vieles mehr.

DIE FURCHE: Sind Polyamoröse aus Ihrer Sicht weniger verantwortungsvoll?

Kogler: Es gibt einen wichtigen Therapiespruch, der lautet: Leben heißt auswählen. Verantwortung verstehe ich in diesem Sinne: Ich entscheide mich eben für eine oder für fünf Beziehungen. Doch diese Entscheidung wollen viele nicht treffen. Diese Nichtentscheidung ist ein durchgängiges Thema in vielen Therapien - gerade in unserer Multioptionsgesellschaft, in der die Fülle des Konsums einen gesellschaftlichen Wert darstellt. Diese Meta-Idee wird unsere Beziehungskonzepte weiter prägen. Schon jetzt kennen wir ja das Phänomen der "Lebensabschnittspartner“. Und wenn wir in Zukunft noch mobiler werden, wird es noch normaler werden, dass Menschen etwa in verschiedenen Erdteilen Beziehungen haben. Es ist sogar möglich, dass die Zweierbeziehung irgendwann nicht mehr als gesellschaftliches Ideal betrachtet wird. Aber geben wird es sie zweifelsohne immer.

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