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Fröhlich sein, weil es absurd ist...

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Die Verfasserin unterrichtet an der Handelsakademie Althofen Deutsch, Geschichte und Philosophie. Für publizistische Arbeiten hat sie den Leo-pold-Kunschak-Preis 1965 erhalten.

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Die Verfasserin unterrichtet an der Handelsakademie Althofen Deutsch, Geschichte und Philosophie. Für publizistische Arbeiten hat sie den Leo-pold-Kunschak-Preis 1965 erhalten.

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Credo quia absurdum, sagte einmal ein christlicher Philosoph. „Ich glaube, weil es absurd ist.“ Nun könnte man diesen Satz einmal nicht unserem Verhältnis zum Jenseits, sondern zum Diesseits unterlegen. Wir haben unsere Welt zu einem reichlich absurden Spektakel gemacht. Ich glaube, daß wir in diesem Spektakel fröhlich bleiben sollen, vielleicht auch, weil es absurd ist.

Kinder finden sich da leichter zurecht. Sie haben eine Art von Freikarten, die wir inzwischen alle ausgegeben haben. Wenn wir zurückschauen, könnten wir den Eindruck gewinnen, diese Freikarten für einen Irrweg ausgegeben zu haben. Wir haben gelernt, vor Gott seien wir alle gleich und vor den staatlichen Gesetzen auch. Weiters haben wir gelernt, wir seien eine Persönlichkeit, unaustauschbar, unverwechselbar usw.

Kürzlich hat in Alpbach Prof. Avi-neri die Theorie vertreten, wir wären nur ein Bündel von Beziehungen, das Individuum in seiner unabhängigen Form existiere gar nicht. Er stieß auf heftigsten Widerstand, Nobelpreisträger Sir John Eccles bekam bei seiner Entgegnung einen höchst individuellen roten Kopf.

Da dachte ich (und diese Assoziation wird natürlich bei jedem Philosophen den Eindruck des Banalen hervorrufen), vielleicht hat Avineri gar nicht so unrecht: Wenn ich da in meine Klassen gehe, beispielsweise in eine Abschlußklasse einer berufsbildenden Schule, dann muß ich mir von den Schülern unisono sagen lassen, Beziehungen seien das Wichtigste, was man selbst wolle, sei uninteressant, man erreiche es unter den gegenwärtigen Umständen sowieso nicht...

Da wird der eine Polizist, denn da hat er einen, der ihn „hineinbringt“, der andere wird Lehrer, und zuerst holt er sich das Parteibuch. Ich wende ein, daß sich ja das System von selbst aufhebt, wenn jeder ein Büchlein hat, denn dann müßten bei der Anstellung doch wieder andere Kriterien gelten. Was tut's? In einer anderen Klasse fragt man mich, ob sie im Aufsatz schreiben dürften, was sie selbst meinen, oder das was ich lesen will. Da bin ich schon froher, weil die Frage selbst noch etwas von der Ungezwungenheit der Kleinen zeigt.

Jeder kennt die Geschichte des Mächtigen, dem niemand zu widersprechen wagt, solange er mächtig ist. Zeigt sich die erste Schwachstelle, hauen nun alle auf ihn ein, und es zeigt sich, daß niemand so ohnmächtig ist wie der gestern noch Mächtige. Weil die Beziehung zu ihm nichts mehr gilt, werden die Fäden gelöst und anderswo eingehakt.

Ist er nun, dieser Beziehungslose, niemand mehr? Oder fühlt er sich unendlich frei, weil er sich in diesen Beziehungsfäden nicht mehr verhaspeln kann?

Wer sich von vornherein solcher Verknüpfungen für ledig hält und sich in Abhängigkeit begibt nur von denen, die er liebt, der muß in seiner absurden Lage doch ein beängstigendes Freiheitsgefühl empfinden - oder, wie Andre Breton schreibt, etwas „von der Gewißheit, die man hat, wenn man ertrinkt und in weniger als einer Minute alles Unüberwindbare seines Lebens an sich vorüberziehen läßt“. Das ist nicht sehr ermutigend, aber man hat dann wenigstens noch die Freiheit zu bleiben, wer man ist.

Ich meine halt, daß ein christliches Persönlichkeitsverständnis nicht daran erkenntlich sein müßte, wie einer sich bückt, sondern wie fröhlich er nach oben (und nach unten) lacht. Zwar nicht mehr mit der naiven Unbefangenheit der Kinder, sondern mit einer, die aus der Einsicht in die Vorläufigkeit jeder Existenz kommt und nichts Arges will, die standhält, auch wenn man hinter dieser Unbefangenheit Arglist vermutet. Ich könnte mir nämlich vorstellen, daß die Mächtigen auch einmal ein offenes Gesicht sehen wollen.

Dann wäre es nicht undenkbar, daß unsere Heranwachsenden die Notwendigkeit, früh Beziehungen zu knüpfen, nicht so' hoch einschätzten und dann mehr Fröhlichkeit als Gedrücktheit in den Klassen wäre.

Wem aber diese Weltsicht nicht einsichtig wird, der könnte sich auf die Psychologie berufen, die weiß, daß auf fröhlichem Boden mehr und das Mehrere besser wächst. Da aber die Psychologie noch lange nicht an jenen Grenzen angelangt ist, die dem Verständnis der Persönlichkeit gesetzt sind, zudem verhaltensbedingende beziehungsweise verhaltensmodifizierende Umweltbedingungen erst neuerdings Gegenstand psychologischer Forschung geworden sind, besteht noch einigermaßen Hoffnung, daß wir in diesem Weltspektakel auch von der Umgebung her nicht gezwungen werden, unsere Persönlichkeit gegen ein Beziehungsbündel einzutauschen und in der Angst, womöglich die Fäden nicht rechtzeitig richtig zu knüpfen, unsere Fröhlichkeit endgültig verlieren.

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