Fürchtet euch nicht -zumindest nicht unnötig!

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Es ist im Jahr 1933, als sich Franklin D. Roosevelt an die Amerikaner wendet: "Das Einzige, was wir wirklich fürchten müssen, ist die Furcht selbst", sagt er ihnen, "diese namenlose, blinde, sinnlose Angst, die die Anstrengungen lähmt, deren es bedarf, um den Rückzug in einen Vormarsch umzuwandeln." Die Botschaft des US-Präsidenten an die von Arbeitslosigkeit und der Großen Depression gebeutelte Nation ist klar: Es gibt zwar durchaus gute Gründe, Angst zu haben - aber was uns kaputt macht, ist diese Angst vor der Angst.

Mit seiner Rede schreibt Roosevelt Geschichte -und wird für viele zum Helden. Auch für Heinz Bude. Der deutsche Soziologe trifft 2014 mit seinem Buch "Gesellschaft der Angst" den Nerv seiner Zeitgenossen, die von Erschöpfung geplagt in eine vom Klimawandel verdüsterte Zukunft blicken. Die Alten hätten noch sagen können, dass das Schlimmste - der Krieg -hinter ihnen liege, meint Bude im Mai 2015 zur FURCHE. Doch für Jüngere sei das "keine gefühlte Realität mehr. Wenn sie an das Schlimmste denken, so liegt das eher vor ihnen". Viele würden sich in einen "Kokon der vollendeten Resignation" flüchten, so Bude. Eine gute Zeit für Demagogen, deren Geschäft schon immer jenes mit der Angst gewesen sei.

Terrorismus als größter Angstmacher

Wie sehr dieses Geschäft durch die großen Flüchtlingsbewegungen ab Herbst 2015 weiter angekurbelt werden sollte, konnte der Soziologe damals noch nicht ahnen. Laut einer Studie der deutschen R &V-Versicherung ist noch im Jahr 2009 die Verschlechterung der Wirtschaftslage die größte Angst der Deutschen, gefolgt von der Angst vor Arbeitslosigkeit. 2017 hingegen liegt der Terrorismus bereits unangefochten an der Spitze der Angstmacher-Top-Ten, auch die Ängste vor politischem Extremismus sowie vor einer Überforderung von deutschen Behörden durch Flüchtlinge finden sich auf dieser Liste. "Die Angst vor den fremden Menschen, die bei uns leben wollen, ist also zur Nummer eins aller Ängste geworden", schreiben der Wiener Psychiater Georg Psota und der Publizist Michael Horowitz in ihrem neuen Buch "Angst. Erkennen -Verstehen -Überwinden". Natürlich sei bei terroristischen Attacken Furchtbares geschehen. Dennoch habe allein der Straßenverkehr etwa tausendmal mehr Opfer gefordert. "Die aktuelle Angst korreliert nicht mit der Realität: Menschen können etwa auch heute noch schwerkrank oder dement werden, das ist nicht viel anders als vor zehn Jahren ", erklärt Georg Psota im FURCHE-Gespräch. Ständiger Angstvermittler und -verstärker sei dabei das mediale "Informationsdauerfeuer". Zudem sei Angst ansteckend, wie das University College London zeigen konnte: Sie breitet sich in Gesellschaften aus wie ein Virus.

Angst vor Bindung - oder Regeln

Angst gehört zum Menschsein, sie ist eine "Vorbedingung von Freiheit, zu der der Mensch verurteilt ist", schreibt Jean-Paul Sartre. Doch wann ist sie tatsächlich (biologisch) sinnvoll, wenn sie Menschen angesichts akuter, realer Gefahren durch Stresshormone zu Abwehrhandlungen wie Kämpfen, Flüchten oder Totstellen (Fight - Flight -Freeze) aktiviert? Wann wird Angst zur gesellschaftlichen Paranoia? Und wann wird sie zur idividuellen psychischen Erkrankung, die behandelt bzw. überwunden werden sollte? Diesen Fragen widmen sich Psota und Horowitz in ihrem Buch.

Angstauslöser, soviel wird bald klar, gibt es unendlich viele. Fast alles und jedes kann Menschen das Fürchten lehren, von Spinnen bis zur Einsamkeit. Dennoch lassen sich nach Fritz Riemann vier Angsttypen unterscheiden: der zu Depression neigende Typ, der sich häufig vor Einsamkeit fürchtet; der schizoide Typ, der Angst vor Abhängigkeit oder Beziehung hat; der zwanghafte Typ, der sich vor Unsicherheit und Veränderung fürchtet; und der hysterische Typ, der Angst vor Freiheitsverlust und Regeln hat. Der paranoide Typ, der sich vor den anderen fürchtet und sich politisch gut verwerten lässt, wäre eine aktuelle fünfte Kategorie.

Wann all diese Ängste noch "normal" sind und wann "pathologisch", lässt sich oft nicht so leicht sagen. "Angst ist jedenfalls dann nicht mehr gesund, wenn sie irreal ist -oder allgemeiner, wenn sie Menschen nicht nützt, sondern sie behindert und in ihren Entwicklungsmöglichkeiten einschränkt", meint Georg Psota. Lange wurden krankhafte Angstzustände pauschal als "Neurose" bezeichnet. Erst in den späten 1980er-Jahren erzielte man in der Psychiatrie einen Konsens darüber, Angsterkrankungen als eigenständige Gruppe in die internationalen Diagnoseschemata einzuführen. Auch hier gibt es wieder Untergruppen: die generalisierte Angststörung, eine Mischung aus permanentem Sorgenmachen und ängstlich-depressiver Grundstimmung; die Panikerkrankung mit Panikattacken; die Phobien, die sich auf bestimmte Objekte, Tiere oder Situationen beziehen, etwa enge oder offene Räume ("Agoraphobie"); und schließlich die sozialen Phobien mit ihrer Angst vor der Beurteilung durch andere.

Bis zu 15 Prozent aller Menschen zwischen 18 und 65 Jahren sind laut Studien in den USA und Europa innerhalb eines Jahres von Angsterkrankungen betroffen. Die Zahl derjenigen, bei denen einmal in ihrem Leben eine solche Erkrankung diagnostiziert wird, liegt demnach deutlich darüber. Aussagekräftige Zahlen für Österreich fehlen (noch), doch in den Ambulatorien der Psychosozialen Dienste in Wien, denen Psota als Chefarzt vorsteht, machen Angsterkrankungen ein Viertel aller Behandlungsfälle aus. Klar ist auch, dass Frauen deutlich häufiger betroffen sind als Männer. "Das Geschlechterverhältnis liegt hier bei etwa 2:1", weiß Georg Psota. Wobei Männer etwa sechs-bis zehnmal so häufig alkoholkrank seien wie Frauen -und eine Teilgruppe dieser Alkoholkranken vor ihrer Sucht-schon eine Angsterkrankung durchlebt und diese mit Alkohol selbst zu "behandeln" versucht habe. "Die Angsterkrankung liegt in diesen Fällen hinter der Suchterkrankung verborgen", erklärt der Psychiater.

Sich den eigenen Ängsten stellen

Viele Angsterkrankungen werden demnach nicht erkannt. Und auch nicht alle werden richtig behandelt. "Das Therapieangebot ist schon gestiegen, doch oft fehlt der Zugang zur Kassenfinanzierung", weiß Psota. Das sei umso problematischer, als Angsterkankungen bei frühzeitiger Therapie sehr gut behandelbar seien. Am besten belegt ist etwa bei spezifischen Phobien die (kognitive) Verhaltenstherapie. Oft verschwindet die Angst, wenn Menschen es im Rahmen einer "systematische Desensibilisierung" mehrmals geschafft haben, eine furchterregende Situation durchzustehen. Die Angst ist dann nicht gelöscht, aber über sie wird Vertrauen gelegt. Bei generalisierten Angststörungen sei hingegen die Gabe von Psychopharmaka anzuraten, weiß Psota. "Zu viele Menschen erhalten aber einfach Beruhigungsmittel, doch das kann nicht nur zu Sucht führen, sondern auch zu problematischem Vermeidungsverhalten."

Die eigenen Ängste nicht als "abnormal" tabuisieren, sondern darüber reden, sich ihnen stellen und sich im Zweifel helfen lassen: Dafür plädieren er und Michael Horowitz in ihrem Buch. Mit der Frage "Ist das, wovor ich mich fürchte, überhaupt real?" könnte man beginnen -im Umgang mit Fremden und überhaupt.

Angst ist dann nicht mehr gesund, wenn sie irreal ist -oder allgemeiner, wenn sie Menschen nicht nützt, sondern sie behindert und in ihren Entwicklungsmöglichkeiten einschränkt.

Georg Psota

Der Psychiater ist Chefarzt der Psychosozialen Dienste in Wien sowie Präsident von pro mente Wien. Zuletzt ist von ihm und Michael Horowitz erschienen: "Das weite Land der Seele"(Residenz 2016).

Angst Erkennen - Verstehen - Überwinden. Von Georg Psota und Michael Horowitz. Residenz 2018.216 S., Hardcover, € 22,00

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