7096565-1994_47_15.jpg
Digital In Arbeit

Wenn die Seele Balsam braucht

Werbung
Werbung
Werbung

Eine Studie der WHO aus dem vorigen Jahr zeigt auf, daß etwa 18 Prozent aller Menschen im Laufe ihres Lebens eine schwere Depression mitmachen. In Österreich dürften etwa 400.000 Menschen depressiv sein, jeder zweite Mensch über 65 Jahre klagt auch über psychische Leiden. Für die hochtechnisierte Medizin eine neue Herausforderung: die Suche nach der Seele, ihre Wiederentdeckung und Pflege.

Man ist sich jetzt auch darüber einig, daß die Depression eine Krankheit ist, man kann sie an Hand von organischen Veränderungen nach- weisen und man kann sie auch erfragen. Wer ist nun depressiv, wer ist nur traurig oder resignativ? Mit ganz einfachen Fragen könne man entschlüsseln, ob ein Mensch an einer Depression leidet, empfiehlt Walter Pöldinger (Psychiatrische Universitätsklinik Basel): „Können Sie sich freuen, können Sie sich entscheiden?“ Der Depressive weiß darauf'keine Artwort, der traurige, resi- gnative Mensch hingegen ist dazu schon in der Lage.

Auch an Hand von organischen Veränderungen läßt sich heute eine Depression diagnostizieren, etwa mit dem EEG, oder durch die Messung des Hormonspiegels. Beim Depressiven fehlen die Tiefschlafphasen, die Traumphase tritt schon früher als bei Gesunden ein. Auffallend ist die hormonelle Verschiebung: Wachstumshormone werden, im Gegensatz zum Gesunden, vermehrt in der Nacht produziert; Cortisol (ein Hydrocortison, das die Nebennierenrinde ausscheidet) wird, entgegen den normalen Abläufen, vermehrt am Tag produziert.

Die medizinische Abgrenzung gegenüber einer Demenz ist für die weitere Behandlung besonders wichtig. Chronische Depressionen können nämlich auch zu Gedächtnis-- Störungen führen und so eine Pseudodemenz vortäuschen. Vor allem bei älteren Menschen kann es dadurch zu Fehldiagnosen kommen. Behandelt man jedoch die Depression, so können diese Menschen wieder ein völlig normales Leben führen. Dabei muß man nicht gleich zu Medikamenten greifen. „Ganz entscheidend helfen kann ein Hobby, pder der Familien- und Freundeskreis“, empfiehlt Pöldinger. Der schnelle Griff zu Tranquilizern helfe wenig, sie brächten zwar eine momentane Erleichterung, aber danach komme der Rückfall.

Die Wahl der Medikamente muß äußerst vorsichtig vom Facharzt vorgenommen werden. Umfangreiche Studien zeigen, daß echte Antidepressiva eine längere Zeit hindurch, keinesfalls kürzer als zwei Monate, verabreicht werden sollen. Wird ein depressiver Mensch nicht rechtzeitig behandelt, so steigt das Selbstmordrisiko gewaltig an. „Während jüngere Menschen“, so der Psychiater, „mit einem Selbstmordversuch oft um Hilfe rufen, legen ältere Menschen den Suizidversuch so an, daß Hilfe zu spät kommt.“

Die Depression ist eine ernsthafte Krankheit, sie muß daher ernst genommen werden, von den Medizinern, aber noch mehr von den Mitmenschen, die oft geneigt sind, nur augenscheinliche Krankheitsbilder ernst zu nehmen, — denn der Seele kann man nicht das Fieber messen!

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung