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Neurosen und die Gruppenpsydiotherapie
Psychotherapie wird immer mehr zu einem großen Sammelbegriff — die Amerikaner haben dafür den Ausdruck „waste- basket“ geprägt —, der die verschiedensten Heilmethoden in sich vereinigt. In den angelsächsischen Ländern spielt, anders als bei uns, die „Soziale Psychotherapie“ eine bedeutende Rolle; sie nimmt einen wesentlich breiteren Raum ein als die analytischen Methoden.
Unter „Sozialer Psychotherapie“ versteht man die seelische Betreuung und Führung mehrerer Menschen gleichzeitig, wobei die Sozialarbeit unter besonderer Betonung des Seelischen in den Vordergrund gestellt wird. Dazu gehören die m England üblichen Neurosespitäler, in denen seelisch Kranke und Psychopathen Monate hindurch (besonders arbeitstherapeutisch) neu für das Leben vorbereitet werden, ferner die Patientenklubs, in denen aus der Nerven- klinik Entlassene die Möglichkeit finden, sich wieder sozial anzupassen und es lernen, sich organisatorisch zu betätigen, um dadurch neues Selbstvertrauen zu gewinnen, dann die gesamte nachgehende Fürsorge für Geisteskranke und vor allem die Gruppen- p,ychotherapie.
In den letzten acht Jahren sind mehr als 500 Publikationen über Gruppenpsychotherapie in englischer Sprache erschienen, eine Zahl, die immerhin aufhorchen läßt. Diese Art der Behandlung wird in erster Linie an Nervenheilanstalten betrieben, darüber hinaus aber wird sie in den Vereinigten Staaten auch an anderen Klįniken angewandt, zum Beispiel an Abteilungen für Geschlechtskranke, in Lungenheilanstalten, kurz, überall dort, wo es angebracht erscheint, Menschen, die an ähnlichen Symptomen leiden, zu einer Gruppe zusammenzuschließen. Man darf die Tatsache nicht übersehen, daß die Aufnahme an eine der erwähnten Kliniken fast immer einen seelischen Schock bedeutet; seit eh und je hat im Volksmund die geistige Störung, die Geschlechts- und Lungenkrankheit ein gewisses Odium.
Durch die Aufnahme entsteht eine starke Emotion und innere Unruhe, es treten Angstgefühle auf, eine Angst, die durchaus komplexhaften Charakter trägt. Sie darf nicht unterschätzt werden, und die Erfahrungen, die jetzt seit fast einem Jahr auch in Österreich mit der Gruppenpsychotherapie gemacht wurden, zeigen deutlich, daß die Patienten, die schon bei der Einweisung die Tendenz erkennen lassen, so schnell als möglich wieder von der Klinik fortzustreben, durch eine gemeinsame Aussprache unter Leitung des Arztes von dieser „Aktualangst“ befreit werden können. Besonders dann, wenn sie aus dem Mund der anderen Kranken Heilerfolge erfahren.
Gerade für die Patienten von Nerven- kliniken ist es charakteristisch, daß sie die Tendenz zeigen, abgesondert zu bleiben. Besonders Geisteskranke und Neurotiker, die sehr oft unter Minderwertigkeitsgefühlen leiden, fühlen sich aus der menschlichen Gemeinschaft ausgeschlossen; hier arbeitet die Isolation geradezu der Gesundheit entgegen. Der amerikanische Psychiater Marsh prägte einmal das schöne Wort: „Nervenheilanstalten sollten eher.Schulen als Spitäler sein.“ Sie sollen dem Patienten vermitteln, wie er sich seinen Mitmenschen gegenüber benehmen soll, wie er sich wieder sozial in die Gesellschaft eingliedert, wenn er durch seine Krankheit aus einem bestimmten Lebenskreis herausgetreten und einsam geworden ist. Die Amerikaner sagen dafür treffend: „Getting along with others is a skili“ — „mit anderen zusammen sein ist auch nur Übungssache“.
Gruppenpsychotherapie kann Isolierung durchbrechen, kann den Patienten den Begriff der Gesellschaft wiedergeben, kann die Bereitschaft zur gegenseitigen Hilfe wach- mfen und ist daher ein wichtiges Sprung- br.ett für die nachgehende Fürsorge.
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